Viveka Chudamani – Vers 2

Deutsche Übersetzung:

2. Für alle Lebewesen ist eine menschliche Geburt in der Tat selten, noch schwieriger ist es, im Zustand des Menschseins zu verweilen und noch seltener gelingt es, ein weises nach hohen Idealen strebendes ethisches Leben zu führen. Selbst dann, wenn Einer diese seltene Möglichkeit bekommt, ist es schwierig, im Geist befestigt auf dem spirituellen Pfad der Veden/Vedanta zu bleiben. Noch schwieriger ist es, ein korrektes Verständnis zu der tiefen Bedeutung der Schriften zu erlangen, wie z.B. die Unterscheidung zwischen dem Selbst und Nichtselbst, und so durch die Selbsterfahrung der Gottesverwirklichung – ruhend auf der Identität mit Brahman -, zur Befreiung zu kommen. Die Befreiung kann jedoch ohne die guten Taten vieler Millionen Leben / Wiedergeburten nicht erreicht werden.

Sanskrit Text:

jantūnāṃ nara-janma durlabham ataḥ puṃstvaṃ tato vipratā
tasmād vaidika-dharma-mārga-paratā vidvattvam asmāt param |
ātmānātma-vivecanaṃ svanubhavo brahmātmanā saṃsthitiḥ
muktir no śata-janma-koṭi-sukṛtaiḥ puṇyair vinā labhyate || 2 ||

जन्तूनां नरजन्म दुर्लभमतः पुंस्त्वं ततो विप्रता
तस्माद्वैदिकधर्ममार्गपरता विद्वत्त्वमस्मात्परम् |
आत्मानात्मविवेचनं स्वनुभवो ब्रह्मात्मना संस्थितिः
मुक्तिर्नो शतजन्मकोटिसुकृतैः पुण्यैर्विना लभ्यते || २ ||

jantunam nara-janma durlabham atah pumstvam tato viprata
tasmad vaidika-dharma-marga-parata vidvattvam asmat param |
atmanatma-vivechanam svanubhavo brahmatmana samsthitih
muktir no shata-janma-koti-sukritaih punyair vina labhyate || 2 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • jantūnām : unter den Lebewesen (Jantu)
  • nara-janma : eine Geburt (Janman) als Mensch (Nara)
  • durlabham : ist selten („schwer zu erreichen“, Durlabha)
  • ataḥ : (seltener) als das (Atas) ist es
  • puṃstvam : ein Mann zu sein (das „Mannsein“, Pumstva)
  • tataḥ : (seltener) als das (Tatas) ist
  • vipratā : der Brahmanenstand (Viprata)
  • tasmāt : (seltener) als das (Tasmat) ist
  • vaidika-dharma-mārga-paratā : das vollständige Aufgehen (Parata) auf dem in den vedischen Schriften dargelegten (Vaidika) spirituellen Weg („Weg der Tugend“, Dharmamarga)
  • vidvattvam : Weisheit (Vidvattva)
  • asmāt : als das (Idam)
  • param : seltener („mehr, ferner“, Para)
  • ātmānātma-vivecanam : das Unterscheidungsvermögen (Vivechana) bezüglich Selbst (Atman) und Nichtselbst (Anatman)
  • svanubhavaḥ : rechte Wahrnehmung (Svanubhava)
  • brahmātmanā : mit einem auf das Absolute (Brahman) gerichteten Geist (Atman)
  • saṃsthitiḥ : stetes Verweilen („Beständigkeit“, Samsthiti)
  • muktiḥ : Befreiung, Erlösung (Mukti)
  • no : nicht (No)
  • śata-janma-koṭi-sukṛtaiḥ : in hundertmal (Shata) zehn Millionen (Koti) von Geburten (Janman) getane gute Werke (Sukrita)
  • puṇyaiḥ : heilige, reinigende (Punya)
  • vinā : ohne (Vina)
  • labhyate : wird erlangt (labh)     || 2 ||

 

Kommentar

Shankaracharya sagt uns im 2. Vers des Viveka Chudamani, dass Du etwas sehr Wertvolles und einiges Wertvolles bekommen hast, dass der spirituelle Weg nicht einfach ist, aber Du ihn gehen kannst. Gehe ihn mit Konsequenz, Enthusiasmus und vor allem dauerhaft.
Zunächst sagt er: „Menschliche Geburt ist in der Tat selten.“
Man könnte jetzt sagen, dass es Milliarden von Menschen auf der Welt gibt und dass menschliche Geburt nicht sehr selten ist. Es geht aber nicht nur um menschliche Geburt, sondern um ein menschenwürdiges Leben.

Shankaracharya schreibt „jantūnāṁ narajanma durlabham“.
jantūnāṁ: schwer zu erreichen
Durlabham heißt übersetzt „unter allen Lebewesen, alten Daseinsformen“. „Nara“ bedeutet wortgetreu Mensch, daher könnte man demnach „narajanma“ als „menschenwürdige Geburt“ übersetzen.
Höchstwahrscheinlich lebst Du irgendwo in einer westlichen Zivilisation, hast ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und musst keine Angst haben, dass am nächsten Tag mörderische, räuberische Banden dein Dorf überfallen und deine ganze Familie vernichten. Mit großer Wahrscheinlichkeit bist Du gerade nicht in einem Kriegsgebiet und weißt, dass du bei Krankheit zu einem Arzt gehen kannst. Diese Gegebenheiten sind etwas sehr Wertvolles und Seltenes.
Shankaracharya sagt, dass so ein menschenwürdiges Dasein selten sei.
Sei daher zunächst einmal dankbar dafür, denn Du hast keine Garantie, dass es so bleibt. Jederzeit kann ein Bürgerkrieg ausbrechen, eine Klimakatastrophe kommen, ein Komet oder Meteor auf die Erde fallen. Wahrscheinlicher wäre es natürlich, Du könntest einen Unfall oder eine schwere Krankheit bekommen.
Es ist vor allem etwas Wertvolles, wenn Du weißt, dass Du etwas Wertvolles hast. Dann kannst du Dich dafür entscheiden, es auch auf gute Weise zu verwenden.
Er sagt auch, dass es noch schwieriger sei, in diesem Zustand zu verweilen.
Demnach ist dir jetzt bewusst, dass du etwas Wertvolles hast. Allerdings weißt Du nicht, dass es dauerhaft ist.

Shankaracharya erklärt auch, dass es noch seltener gelinge es, ein weises, nach hohen Idealen strebendes, ethisches Leben zu führen.
Wenn Du schon eine menschenwürdige Geburt hast und Du nicht weißt, wie es zukünftig weitergeht, dann lebe ein ethisches Leben. Teile, was Du hast, mit anderen. Kümmere dich um andere. Aber sei auch wahrhaftig und gütig zu anderen.

Weiter bemerkt Shankaracharya, dass es selbst dann, wenn einer diese Möglichkeit bekäme, gut sei, auf dem spirituellen Pfad der Veden, also auf einem spirituellen Weg, zu gehen, in besonderem Maße nach Vedanta.
Also sei dankbar für ein menschenwürdiges Dasein, führe ein ethisches Leben, kümmere dich auch um andere, teile, was Du hast, mit andren und strebe nach dem Höchsten. So kannst Du die Befreiung erlangen. Sei Dir aber bewusst, dass diese Befreiung, die Moksha, die höchste Erkenntnis, die spirituelle Verwirklichung, die höchste Erkenntnis nicht einfach so kommt. Die höchste Verwirklichung kommt dann, wenn Du dich bemühst.

Aber wie kannst Du Dich bemühen?
Schaffe gutes Karma, indem Du Deine Pflichten tust, ein ethisches Leben führst, für andere da bist, indem Du die Wechselfälle des Lebens annimmst und das Beste daraus machst.
Verharre nicht in der Opferrolle, auch wenn Du große Gründe dafür hast. Nimm Dein Karma an, nutze und gestalte es. Teile, was Du hast, mit anderen, und strebe danach, die spirituelle Verwirklichung zu erlangen, die höchste Weisheit zu erfahren.

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