Viveka Chudamani – Vers 247

Deutsche Übersetzung:

247. Um die vollkommene Einheit des Absoluten und das individualisierten Selbst zu verstehen, muss man die implizierten Wortbedeutungen (lakshana) von „tat“ und „tvam“ heranziehen. Hierzu genügen nicht die beiden Jahati Lakshana und Ajahati Lakshana genannten Arten der implizierten Bedeutung, sondern diese müssen in einer dritten, beide einschließenden Art zur Anwendung kommen.*

Sanskrit Text:

tatas tu tau lakṣaṇayā sulakṣyau
tayor akhaṇḍaika-rasatva-siddhaye |
nālaṃ jahatyā na tathājahatyā
kintūbhayārthātmikayaiva bhāvyam || 247 ||

ततस्तु तौ लक्षणया सुलक्ष्यौ
तयोरखण्डैकरसत्वसिद्धये |
नालं जहत्या न तथाजहत्या
किन्तूभयार्थात्मिकयैव भाव्यम् || २४७ ||

tatas tu tau lakshanaya sulakshyau
tayor akhandaika-rasatvasiddhaye |
nalam jahatya na tathajahatya
kintubhayarthatmikayaiva bhavyam || 247 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tataḥ : daher, deshalb (Atas)
  • tu : nun (Tu)
  • tau : diese beiden, (das Absolute und das individualisierte Selbst, Tad)
  • lakṣaṇayā : anhand der (jeweils) implizierten Wortbedeutung (Lakshana)
  • su-lakṣyau : müssen richtig („wohl“, Su) verstanden werden („sind zu erkennen“, Lakshya)
  • tayoḥ : dieser beiden (Tad)
  • akhaṇḍaika-rasatva-siddhaye : für das Verständlichwerden (Siddhi) ihrer absoluten („vollständigen“, Akhanda) Identität (Ekarasatva)
  • na : nicht (Na)
  • alam : genügt (Alam)
  • jahatyā : die Jahati (genannte implizierte Bedeutung)
  • na : nicht
  • tathā : desgleichen (Tatha)
  • ajahatyā : die Ajahati (genannte implizierte Bedeutung)
  • kintu : sondern (Kintu)
  • ubhayārthātmikayā : (eine dritte Art*, die)  beide (Ubha) Bedeutungen (Artha) kombiniert („enthält“, Atmaka)
  • eva : tatsächlich (Eva)
  • bhāvyam : muss (angewendet) werden (Bhavya)     || 247 ||

*Anmerkung: Diese dritte Art, in der zwei Arten der implizierten Bedeutung (Jahati Lakshana und Ajahati Lakshana) kombiniert werden, wird Jahadajahallakshana bzw. Bhagalakshana genannt.

Kommentar

Wie erklärt man die Bedeutung von etwas? Wie kann man Kommunikation verstehen?
Es gibt im alten Indien eine Grammatik, genaue Instruktionen wie man etwas verstehen kann. Es gibt die direkte Bedeutung, die angedeutete Bedeutung usw. Bei manchen Bedeutungen muss man etwas wegnehmen und bei anderen etwas ergänzen. Angenommen man wettet und man überlegt gerade, wer gewinnt. Dann sagt jemand plötzlich, dass Weiß gewinnt. Natürlich gewinnt nicht die Farbe Weiß, sondern das Pferd mit der weißen Farbe. Man muss etwas ergänzen, um etwas zu verstehen.
Diese Möglichkeit ist die Jahati Lakshana Bedeutung.

Die zweite Möglichkeit, um die Bedeutung zu haben, muss man einen Teil der ursprünglichen Bedeutung wegnehmen, um dann zur eigentlichen Bedeutung zu kommen. Ein Beispiel, was im Sanskrit verwendet wird, ist z.B. Stadt auf dem Fluss, man könnte auch von Rothenburg ob der Tauber sprechen. Ob steht für auf – Rothenburg auf der Tauber – und weil es dort früher vielleicht einige Brückenhäuser gab und heute noch gibt, bestand Rothenburg hauptsächlich aus diesen Brückenhäusern.
Wenn man heute von Rothenburg ob der Tauber spricht, dann meint man Rothenburg an dem Fluss Tauber. Das ob wird weggenommen und durch an ersetzt.
Das ist die Ajahati Lakshana Bedeutung.
Das sind zwei indirekte Bedeutungen.

Swami Vishnu-devananda hat das in seinem Buch „Meditation und Mantras“ als Jaha Lakshana und Ajaha Lakshana bezeichnet.
Die dritte Möglichkeit, wie man einen Text verstehen kann, ist etwas wegzunehmen, um zur echten Bedeutung zu kommen. Also angenommen du – ich gebrauche jetzt ein modernes Beispiel – ein ähnliches Beispiel gibt es auch im Sanskrit, wo es heißt dieser ist Devadatta. Nehmen wir mal an, du hättest vor 20 Jahren beim Zahnarzt eine Behandlung gehabt, bei Dr. Müller. Nehmen wir mal an, du würdest jetzt in Frankfurt am Main unter der Brücke entlang gehen und da siehst du plötzlich, wie ein Penner aus seinem Karton herauskommt. Du schaust ihn an, er hat seinen ungepflegten Bart, er hat Falten etc. und du fragst ihn, ob er nicht Dr. Müller ist. Und tatsächlich ist es Dr. Müller. Aber um herauszufinden, wie du sagen kannst, dass dieser Mensch, dieser Obdachlose, der Zahnarzt Dr. Müller ist. Er ist kein Zahnarzt mehr. Nehmen wir mal an, er wäre zum Alkoholiker geworden, hätte Schwierigkeiten mit seiner Frau deswegen bekommen, die Frau hat ihn mit seinen Kindern verlassen, er ist darüber verzweifelt, hat seine Praxis verloren, hat alles verloren. Er ist kein Arzt mehr, nennt sich nicht mehr Doktor, wird nicht mehr Müller genannt, ist also weder Doktor noch Müller, noch ist er Zahnarzt, noch hat er eine Praxis, noch lebt er in dem Ort, wo du ihn kennengelernt hast. Stimmt es trotzdem, wenn du ihn als Doktor Müller ansprichst? Was ist gleich geblieben zwischen dem Menschen jetzt, der 20 Jahre älter ist, eine andere Hautfarbe hat, andere Haarfarbe hat, anders spricht etc.? Etwas ist gleich geblieben. Das, was gleich geblieben ist, nennt sich Bhagalakshana. Man nimmt alles weg und was direkt ist und man lässt nur das übrig, wenn man alles Gegenständliche wegnimmt. Nimm den Doktor weg, den Müller weg, die Haarfarbe weg, die Hautfarbe weg, vielleicht sogar die Art der Kommunikation weg, was bleibt ist der ursprüngliche Mensch. Der ist gleich geblieben. Das wird Bhagalakshana genannt oder auch Jahadajahallakshana.
Es gibt Lakshana, Jahadlakshana, Ajahadlakshana und Jahadajahallakshana. Und Jahadajahallakshana heißt, man nimmt alles weg, was die wörtliche Bedeutung ist und dann bleibt die eigentliche Bedeutung übrig.
Wenn es also Tat Tvam Asi heißt, und man sagt DAS bist du, dann ist mit DAS nicht das Universum gemeint als manifestes und mit DU ist nicht der Körper gemeint. Selbstverständlich ist dein Körper nicht das Universum. Du als Persönlichkeit bist nicht Gott. Du bist nicht allmächtig, allwissend usw. Du bist ein beschränktes Wesen. Aber innerhalb dieses beschränkten Wesens bist du trotzdem das unsterbliche Selbst.
Wenn du Körper, Psyche, Emotionen, Charakter, Prana, Intellekt wegnimmst, wenn du das weglässt, was das Wachbewusstsein vom Traumbewusstsein unterscheidet, was dann übrig bleibt, ist dein wahres Selbst.
Wenn du aus dem Universum alles wegnimmst, was der Veränderung unterworfen ist, bleibt nur das Bewusstsein. Und das TAT, dieses Bewusstsein hinter allem TVAM, du Asi bist. Tat Tvam Asi – die Essenz von dir ist eins mit der Essenz des Universums. Natürlich bist du als Individuum nicht Gott, du hast begrenzte Fähigkeiten. Aber du als das unsterbliche Selbst bist eins mit dem Göttlichen.

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