Viveka Chudamani – Vers 199

Deutsche Übersetzung:

199. Die Welt der Erscheinungen ist nicht ewig. Obgleich sie keinen Anfang hat, ist sie nicht ewig. Wenn Erkenntnis da ist, löst sie sich im Nichts auf, wie der Traum beim Erwachen.

Sanskrit Text:

prabodhe svapna-vat sarvaṃ saha-mūlaṃ vinaśyati |
anādy apīdaṃ no nityaṃ prāg-abhāva iva sphuṭam || 199 ||

प्रबोधे स्वप्नवत्सर्वं सहमूलं विनश्यति |
अनाद्यपीदं नो नित्यं प्रागभाव इव स्फुटम् || १९९ ||

prabodhe svapna-vat sarvam saha-mulam vinashyati |
anady apidam no nityam prag-abhava iva sphutam || 199 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • prabodhe : beim Erwachen (Prabodha)
  • svapna-vat : wie (Vat) ein Traum (Svapna)
  • sarvam : alles (Sarva)
  • saha-mūlam : samt (Saha) der Wurzel (Mula)
  • vinaśyati : verschwindet (vi + naś)*
  • anādi : anfangslos (Anadi)
  • api : obwohl (Api)
  • idam : (dass) dieses (Universum, Idam)
  • no : nicht (No)
  • nityam : ewig (ist, Nitya)
  • prāg-abhāvaḥ : die vorherige Nicht-Existenz (einer später existierenden Sache, Pragabhava)
  • iva : so wie (Iva)
  • sphuṭam : es ist klar (Sphuta)     || 199 ||

*Anmerkung: Der erste Halbvers setzt den im vorangehenden Vers (198) begonnenen Satz fort.

Kommentar

Prabodhe – beim Erwachen, erscheint alles wie (vat) ein Traum (svapna). Alles (sarvam) verschwindet (vinasyati), zusammen mit der Wurzel (saha-mulam) obwohl (api) es alles anfanglos ist (anadi).
Genauso ist es auch mit diesem Universum. Das Universum ist nicht ewig. No (nicht) nitya (ewig). Prag-abhavah – es gab auch schon vorher eine Nichtexistenz. Und so ist es klar (sphuta).
Angenommen du hast geträumt, ein guter oder schlimmer Traum, und du wachst auf und erkennst, dass alles nur ein Traum war. Im Moment des Erwachens ist die ganze Traumwelt verschwunden und mit ihr all die Dinge, die im Traum geschehen sind.
Es kann auch sein, dass du langsam aufwachst und noch die Wärme deines Bettes genießt, also quasi in einem Halbtraum bist. Du träumst noch aber du weißt, dass du träumst. Dieser Zustand kann durchaus schön sein. Du nimmst die Traumwelt wahr und weißt gleichzeitig `ich bin nicht diese Traumwelt und sie existiert nicht´.
So ist es auch mit dieser Welt. So wahr sie auch scheint, sie ist nur ein Traum. Du weißt inzwischen, dass sie nicht so ist wie du denkst, dass sie sei. Du nimmst in Farben und Formen wahr, aber die Welt hat keine Farben und Formen. Es sind nur geistige Produktionen. Du nimmst die Welt in Klängen wahr, aber die Welt hat keine Klänge. Du machst dir Konzepte über die Welt mit Worten, und die Worte begrenzen. So ist die Welt die du wahrnimmst, nicht so wie du sie wahrnimmst.
Du kannst erkennen, dass dem nicht so ist. Und du kannst erfahren, dass es ein unsterbliches Selbst gibt. In dem Moment wo du aufwachst, erkennst du, dass die ganze Welt nur ein Traum ist. Es ist nicht dein persönlicher Traum. Die Welt ist Traum von Brahma, dem Schöpfer. Und innerhalb dieses Traums von Brahma schaffst du dir deine eigene Welt, in dem du dir dein eigenes Bild machst, mit eigenen Worten und Überzeugungen und mit eigenen Gedanken. Du hast deine eigenen Glaubenssätze und deine eigenen Identifikationen. Innerhalb des Traums von Brahma schaffst du dir deinen eigenen kleinen Traum. Aber du kannst aufwachen.
Leichter fällt es, aus deinem eigenen kleinen Traum aufzuwachen und zu erkennen, dass vieles nur Selbstbild ist. Auch wie du andere Menschen siehst ist eine Täuschung. Wie du die Welt siehst, wie du deine Aufgaben siehst und was du gemacht hast, sind alles subjektive Identifikationen. Es ist gar nicht so schwer da herauszukommen. Mindestens daraus solltest du rauskommen.
Und dann irgendwann kommst du in Nirvikalpa samadhi. Du wachst vollständig aus diesem Traum der Welt auf und die ganze Welt verschwindet. So wie du im Moment des Aufwachens aus der Traumwelt heraus kommst. Vielleicht bist du nach dem Aufwachen noch eine Weile in diesem luziden Traumbewusstsein, ein Jivanmukta, ein lebendig Befreiter. Er weiß zum einen, dass er das unsterbliche Selbst ist, zum anderen kann er die Welt begrenzt sehen wie wir auch. Bis das Karma des Körpers zu Ende ist, bleibt er in diesem Doppelzustand. Ähnlich wie bei dir, wenn du aufwachst bevor es Zeit ist aufzustehen, wirst du noch eine Weile im Bett liegen bleiben und teilweise wieder in den Traum eintauchen. Aber du weißt, dass die Traumwelt nicht wirklich ist.
Deine besondere Aufgabe ist nun, dir mindestens der kleinen Bilder und Täuschungen bewusst zu sein, die du erschaffst. Was du über deinen Partner denkst, sind deine Gedanken über deinen Partner. So ist er nicht, noch nicht einmal auf einer relativen Ebene. Sei dir bewusst, dass du dir Bilder machst von deinen Kindern, deinen Eltern, deinen Aufgaben, von dem was du gemacht hast. Und hinterfrage das. Ein Vedantin sollte mindestens das können. Hinterfragen der kleinen Selbstbilder, Fremdbilder, der kleinen Identifikationen.

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