Viveka Chudamani – Vers 143

Deutsche Übersetzung:

143. Wie an einem trüben Tag, wenn dichte Wolken die Sonne verdecken und kalte Stürme die Wolken hin- und hertreiben, so geht es dem Menschen, der durch die Verblendung der Unwissenheit mit einer starken Kraft der Projektion (vikshepa-shakti) das Selbst verfinstern lässt.

Sanskrit Text:

kavalita-dina-nāthe durdine sāndra-meghair
vyathayati hima-jhañjhā-vāyur ugro yathaitān |
avirata-tamasātmany āvṛte mūḍha-buddhiṃ
kṣapayati bahu-duḥkhais tīvra-vikṣepa-śaktiḥ || 143 ||

कवलितदिननाथे दुर्दिने सान्द्रमेघै-
र्व्यथयति हिमझञ्झावायुरुग्रो यथैतान् |
अविरततमसात्मन्यावृते मूढबुद्धिं
क्षपयति बहुदुःखैस्तीव्रविक्षेपशक्तिः || १४३ ||

kavalita-dina-nathe durdine sandra-meghair
vyathayati hima-jhanjha-vayur ugro yathaitan |
avirata-tamasatmany avrite mudha-buddhim
kshapayati bahu-duhkhais tivra-vikshepa-shaktih || 143 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • kavalita-dina-nāthe : wenn die Sonne (Dinanatha) verhüllt wird („verschlungen“, Kavalita)
  • durdine : an einem bewölkten Tag (Durdina)
  • sāndra-meghaiḥ : von dichten (Sandra) Wolken (Megha)
  • vyathayati : vor sich hertreibt („peinigt“, vyath)
  • hima-jhañjhā-vāyuḥ : kalter (Hima) Sturm (Jhanjhavayu)
  • ugraḥ : (und) ein heftiger (Ugra)
  • yathā : so wie (Yatha)
  • etān : diese (Wolken, Etad)
  • avirata-tamasā : von der grenzenlosen („ununterbrochenen“, Avirata) Unwissenheit („Finsternis“, Tamas)
  • ātmani : (wenn) das Selbst (Atman)
  • āvṛte : verhüllt ist (Avrita)
  • mūḍha-buddhim : einem Toren, Dummkopf (Mudhabuddhi)
  • kṣapayati : (genau so) spielt übel mit (kṣi)
  • bahu-duḥkhaiḥ : mit vielen (Bahu) Leiden (Duhkha)
  • tīvra-vikṣepa-śaktiḥ : die Kraft der Projektion (Vikshepa Shakti)     || 143 ||

Kommentar

Projektion – ist wie ein Donnerwetter. Wolken, Regen, all das ist vor der Sonne, dieses Unwetter verdeckt die Sonne. Aber macht das Unwetter etwas mit der Sonne? Nein. Sind die Wolken weg, ist die gleiche Sonne da. So ähnlich projizierst du alle Eigenschaften des Ego und der Gedanken auf das Selbst. Aber das Selbst ist wie die Sonne, unberührt.

So gibt es also Donnerwetter, hohe Emotionen. Es gibt schöne Wolken, schöne Stimmungen, und es gibt Stürme und so weiter. Aber sei dir bewusst: all das ist nur, was vor dem Selbst ist. Schaue dir die Wolken an, schaue sie auch liebevoll an. Schaue dir das Spektakel an, das Spektakel in deinem eigenen Geist, das Spektakel im Geist von anderen – und dann kehre in die Tiefe deines Wesens zurück. Erfahre wer du wirklich bist. Du bist das unsterbliche Selbst. Du bist wie die Sonne immer da. Spüre das! Und wenn du das immer wieder spürst, dann kannst du dich auch lösen von den Projektionen.

Wenn du jetzt diese Projektionen anschaust und weißt `ich bin das Selbst`, passiert etwas Paradoxes. Die Projektionen lösen sich auf. Angenommen du bist furchtbar verärgert. In dem Moment wo du den Ärger wirklich wahrnimmst, sogar ohne ihn auflösen zu wollen, wird er plötzlich weniger. Er wird schwächer. Und vielleicht verschwindet er sogar ganz. Damit der Ärger aufrechterhalten wird, braucht er Identifikation. Und so ist eine der einfachsten Weisen, Ärger und Ängste aufzulösen, sie zu beobachten. Und selbst wenn du sie nicht vollständig auflöst, sie werden schwächer. Denn auch das Ego bekommt seine Kraft letztlich vom Selbst. Ohne Selbst, ohne Bewusstsein, gibt es auch keinen Ärger. Angenommen du bist ärgerlich aber da ist kein Bewusstsein, dann ist auch kein Ärger da. Natürlich könntest du sagen es gibt auch unterbewusste Prozesse, Menschen können z.B. aufgeregt sein ohne es zunächst zu bemerken und ohne sich dessen bewusst zu sein. Aber erst wenn Bewusstsein da ist, wird es bemerkbar.

In diesem Sinne übe wieder den Dreischritt.

  1. Schritt: Bemerke: „Da ist Emotion und Identifikation“.
  2. Schritt: Mache dir bewusst: „Ich bin nicht diese Gedanken und Emotionen, diese Wünsche“. Mache dir bewusst: „Ich bin der Beobachter“.
  3. Schritt: Spüre dich selbst als sat-chid-ananda.

Mache das mit dir selbst, aber mache es auch mit anderen.

Wenn dir z.B. jemand begegnet, der dich unverschämt behandelt, mache dir bewusst: Da ist die Unverschämtheit des Anderen. Sei dir bewusst: Der Andere ist nicht die Unverschämtheit. Sei dir bewusst: Tief im Inneren ist das Selbst im Anderen.  Und auf der Ebene des Selbst bist du mit dem Anderen voll verbunden. Dort ist Liebe, dort ist Einheit, dort ist ananda.

Danach kannst du dich auf einer relativen Ebene austauschen. Die eine Wolke spricht zur anderen Wolke. Kann auch interessant sein. Aber du bist das unsterbliche Selbst.

Teil 2:

Ein starkes Beispiel – dichte Wolken verdecken die Sonne. Kalte Stürme treiben die Wolken hin und her und die Sonne wird dadurch verdeckt.

So ähnlich kannst du dir auch bewusst machen ist es mit deinem Selbst. Angenommen du bist voller Wünsche, voller Emotionen, voller Gedanken, voller Getriebenheit… beobachte das eine Weile. Und sage dir: „Stürme stürmen in meinem Geist. Aber ich selbst, ich bin das unsterbliche Selbst.“ Beobachte die Stürme. Du kannst sie sogar auch genießen. In dir oder auch in anderen. Sei dir bewusst: Die Sonne ist weiterhin da. Auch wenn du an einem stürmischen Tag die Sonne nicht siehst, ist sie immer da und sie wird auch wieder strahlen.

Und so gibt es auch mal emotionale Stürme,  ein emotionales Donnerwetter oder auch ein gedankliches oder ein zwischenmenschliches Donnerwetter, Gewitter, Hagel, Stürme und so weiter…  Deine Sonne wird davon nicht berührt.

So ist es auch, wenn du mit anderen zusammen bist und den anderen geht es schlecht und du fühlst dich ohnmächtig, du würdest ihnen gerne helfen. Mache dir tief im Inneren bewusst: der andere tief im Inneren leidet nicht. Der andere ist in Wahrheit auch dieses Selbst, diese Sonne. Er wird nicht davon beeinflusst, was äußerlich geschieht. Und selbst wenn er subjektiv leidet, im Inneren ist er unberührt.

Es sollte dich nicht davon abhalten, Mitgefühl zu zeigen und anderen zu helfen. Aber manchmal kannst du das Leid anderer nur dann aushalten, wenn du weißt: tief im Inneren ist die Seele unberührt. Und du kannst Kontakt aufnehmen zu dieser Seele.

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