Viveka Chudamani – Vers 311

Deutsche Übersetzung:

311. Wer sich mit dem Körper identifiziert, ist gierig nach Sinnesfreuden. Wie könnte aber jemand, der frei von der Identifikation ist, gierig sein? Der ständige Gedanke an Sinnesobjekte ist die Ursache für das Festhalten an Dualität und Bindung an den Kreislauf von Geburt und Tod.

Sanskrit Text:

dehātmanā saṃsthita eva kāmī
vilakṣaṇaḥ kāmayitā kathaṃ syāt |
ato’rtha-sandhāna-paratvam eva
bheda-prasaktyā bhava-bandha-hetuḥ || 311 ||

देहात्मना संस्थित एव कामी
विलक्षणः कामयिता कथं स्यात् |
अतो ऽर्थसन्धानपरत्वमेव
भेदप्रसक्त्या भवबन्धहेतुः || ३११ ||

dehatmana samsthita eva kami
vilakshanah kamayita katham syat |
ato’rtha-sandhana-paratvam eva
bheda-prasaktya bhava-bandha-hetuh || 311 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • dehātmanā : mit einem mit dem Körper (Deha) identifizierten Geist (Atman)
  • saṃsthitaḥ : einer, der lebt („weilt“, Samsthita)
  • eva : nur (Eva)
  • kāmī : ist begierig (nach Sinnesfreuden, Kamin)
  • vilakṣaṇaḥ : einer, (dessen Geistesart) anders („verschieden“, Vilakshana) ist
  • kāmayitā : ein Begehrender (Kamayitri)
  • katham : wie (Katham)
  • syāt : könnte sein („wäre“, as)
  • ataḥ : daher, deshalb (Atas)
  • artha-sandhāna-paratvam : das Beschäftigtsein (Paratva) mit der Verbindung (Sandhana) mit Sinnesobjekten (Artha)
  • eva : gewiss (Eva)
  • bheda-prasaktyā : infolge des Hängens (Prasakti) an Unterscheidungen (Bheda)
  • bhava-bandha-hetuḥ : (ist) die Ursache (Hetu) für die Gefangenschaft (Bandha) in der (materiellen) Existenz (Bhava)     || 311 ||

Kommentar

Hier sind wir wieder bei den Kleshas die auch Patanjali erwähnt hat. Letztlich kann man sagen, dass Patanjali ja vor Shankara gelebt hat, bezieht Shankara sich immer wieder auf Patanjali. Er sagt, die Ursache allen Leidens sei Avidya, die Unwissenheit. Dann folgt Asmita, die Identifikation mit dem Körper. Wenn du dich identifizierst mit dem Körper, dann willst du angenehme Erfahrungen haben. Und der Körper gibt dir angenehme Erfahrungen.
Manche Erfahrungen des Körpers sind schön, wie z.B. sanfte Berührungen, angenehme weiche Kleidung auf der Haut. Es gibt schöne Klänge, die du magst, schöne Dinge, die du anschauen willst. Gerüche, die du gerne hast. Und es gibt auch Geschmäcker, die du gerne hast. Es spricht nichts dagegen, wenn du dich daran erfreust. Im Rahmen der Rolle, die du in dieser Welt hast, gehört das alles dazu. Es ist gut, dass du einen natürlichen Geschmackssinn hast, der dir sagt, dass es gut ist, bestimmte Dinge zu essen und andere nicht. Auch der Geruchssinn hat seinen Sinn. Kommunikation ist überhaupt erst möglich, wenn du sehen und hören kannst. So ist es gut, dass du sehen und hören kannst, so kannst du diesen Vortrag hören, vielleicht als Video sehen oder als Text lesen. Aber es ist die Gier, die das Problem ist. Wenn du dich mit dem Körper identifizierst kommt die Gier. Überwinde die Gier.
Wenn du keine Identifikation hast, dann bist du auch nicht gierig. Aber indem du an die Sinnesobjekte denkst, entsteht das Festhalten an die Dualität und die Bindung an den Kreislauf von Geburt und Tod.
So kannst du an verschiedenen Stellen ansetzen. Du könntest sagen: „Identifiziere dich nicht.“ Dann hört auch die Gier auf.
Du könntest aber auch an der Gier ansetzen. Wenn du nicht mehr gierig bist, dann wird die Identifikation weniger. Es gibt diese beiden Möglichkeiten. Du kannst an Raga und Dvesha beginnen, das hilft, Asmita und Avidya zu überwinden. Du kannst aber auch an Avidya und Asmita arbeiten und dann verringern sich Raga und Dvesha. Ich hoffe, du erinnerst dich an das, was ich zuvor gesagt habe. Avidya ist die Unwissenheit, Asmita heißt Identifikation, Raga heißt Mögen und Gier und Dvesha heißt Abneigung bis zu Hass.
Überwinde Raga und Dvesha. Nimm Wünsche als Handlungsempfehlungen mit Energie an und wisse, dass dein Glück nicht davon abhängt, ob du Wünsche erfüllst oder nicht. Es ist schön, gutes Essen zu genießen, aber dein Glück hängt nicht vom guten Essen ab. Es ist schön, Wohlgeruch zu haben, gute Düfte, Öle oder Blumen zu riechen, aber dein Glück hängt nicht von Sinnesobjekten ab. In diesem Sinne denke auch nicht über Sinnesobjekte nach, sondern sage: „Da sind Sinnesobjekte und daraus entstehen Mögen und Nichtmögen und ich kann dem folgen oder auch nicht. Mein Glück hängt davon nicht ab.“
Patanjali sagt ja auch, dass es wichtig ist Pratyahara zu lernen, dich zu lösen von den Sinnesobjekten, Tapas zu üben, d.h. Askese, bewusst mal deine Wünsche nicht zu erfüllen oder auch Dinge zu tun, die du nicht magst. Santosha zu üben, also auf etwas zu verzichten, was du glaubst zu brauchen, zufrieden zu sein. Und Shankara hat ja auch schon von Shama, Ruhe des Geistes gesprochen. Von Dama, der Sinneskontrolle, von Titiksha, etwas aushalten können.
Und tatsächlich ist die Aufgabe, sich von Sinnesobjekten zu lösen zu lernen, etwas Gutes. Du kannst es gleich trainieren. Überlege, was du jetzt gerade gerne magst. Angenommen du willst jetzt gerne einen schönen Nachtisch haben, verzichte auf ihn. Angenommen da ist eine wunderschöne Frucht, die du jetzt essen willst, iss sie mal nicht.
Angenommen du freust dich darauf, die Heizung aufzudrehen, lass sie unten und mache das Fenster auf usw. Lerne also zwischendurch bewusst Dinge zu tun, die du nicht magst und Dinge, die du nicht magst, bewusst zu tun. Und erkenne, dass dein Glücksgefühl deshalb nicht weniger wird. Lerne Zufriedenheit, beherrsche deine Sinne. Du musst sie nicht immer beherrschen, aber ab und zu mal, und lerne, dass das Glück nicht von den Sinnesobjekten abhängt. Was willst du jetzt gleich tun?

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