Viveka Chudamani – Vers 10

Deutsche Übersetzung:

10. Die Weisen, die fest entschlossen und standhaft sind, geben alle Handlungen auf, um sich von den Fesseln der physischen Existenz zu befreien und streben nach Selbsterkenntnis.

Sanskrit Text:

saṃnyasya sarva-karmāṇi bhava-bandha-vimuktaye |
yatyatāṃ paṇḍitair dhīrair ātmābhyāsa upasthitaiḥ || 10 ||

संन्यस्य सर्वकर्माणि भवबन्धविमुक्तये |
यत्यतां पण्डितैर्धीरैरात्माभ्यास उपस्थितैः || १० ||

sannyasya sarva-karmani bhava-bandha-vimuktaye |
yatyatam panditair dhirair atmabhyasa upasthitaih || 10 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • saṃnyasya : nachdem sie aufgegeben haben („aufgegeben habend“, sam + ni + as)
  • sarva-karmāṇi : alle (Sarva) Werke (Karman)
  • bhava-bandha-vimuktaye : um die Befreiung (Vimukti) aus den Fesseln (Bandha) der (materiellen) Existenz (Bhava)
  • yatyatām : mögen sich bemühen (yat)
  • paṇḍitaiḥ : die Weisen, Gelehrten (Pandita)
  • dhīraiḥ : entschlossen (Dhira)
  • ātmābhyāse : auf die Praxis (Abhyasa) (der Erkenntnis) des Selbst (Atman)
  • upasthitaiḥ : ausgerichtet (Upasthita)     || 10 ||

Kommentar

„Saṁnyasya“ bedeutet übersetzt „aufgegeben haben“. Um auf dem spirituellen Weg voranzukommen, gilt es auch, etwas aufzugeben. Du kannst nicht alles haben. Ich propagiere den ganzheitlichen Yoga und sage, dass es möglich ist, ein zufriedenes, erfolgreiches Leben zu haben, seine Persönlichkeit zu entwickeln, Gott zu erfahren.

Im Yoga gibt es das Konzept der vier Purushatas, der vier Ebenen, Motivebenen, auf denen sich der Mensch letztlich entwickeln kann: „Kama“ heißt übersetzt „Sinnesbefriedigung“, „Artha“ bedeutet „Reichtum, Ansehen“, „Dharma“ heißt „Persönlichkeitsentwicklung, seine Pflichten zu tun, Gutes zu bewerten“ und „Moksha“ drückt wortgetreu „Befreiung“ aus. Für die Mehrheit der Aspiranten ist es gut, alle vier Ebenen auf sattvige Weise anzustreben.
Zusammengefasst erinnert Dich das Konzept der vier Purushatas daran, dass Du Dich um eine sattvige Sinnesbefriedigung sorgst, auf sattvige, ethische, mitfühlende, ökologische Weise nach Wohlstand, Absicherung, auch nach einem gewissen Ansehen strebst, Deine Persönlichkeit, Talente und Fähigkeiten auf sattvige Wege entfaltest, Gutes in der Welt bewirkst, ohne Fanatiker zu sein, und nach Gottverwirklichung, Erleuchtung, „moksha“, strebst. Diese vier Ebenen bilden zusammen das Charakteristikum des ganzheitlichen Yoga.

Auf YouTube oder im Podcast von Yoga Vidya findest Du weitere Vorträge über den spirituellen Weg zum Konzept der vier Purushatas.

Shankara ist allerdings kein Vertreter des ganzheitlichen Yoga. „Saṁnyasya“ bedeutet hier „gib alles auf, lass alles los“. Das muss jetzt aber auch kein Widerspruch zum Konzept der vier Purushatas sein. Für den Alltag kannst Du das Leben so leben, dass Du grundsätzlich zufrieden bist. Und durch diese grundsätzliche Zufriedenheit hast Du die Kraft, nach dem Höchsten zu streben.
Mein Tipp zum Konzept der Purushatas ist, so sattwig, wie möglich zu befriedigen, aber nicht daran zu hängen und auch zu lernen, einfacher zu leben.

Wenn Du zum Beispiel weißt, was du zum Leben hinsichtlich der Ernährung brauchst, dann ernähre Dich gesund von Salaten, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Nüssen und so weiter. Finde heraus, was für Dich gut ist, aber hänge nicht daran. Manchmal ist es auch gut, etwas aufzugeben, loszulassen und zu verinnerlichen, dass es auch ohne gehen muss.
In diesem Sinne lasse zwischendurch los.
Genauso auch es ist gut, einen Lebensunterhalt zu verdienen, aber hänge nicht daran. Tue, was Du kannst, um erfolgreich im Beruf zu sein, aber lass es auch los.

„Saṁnyasya“ kann auf in zweierlei Weise entwickelt werden – zum einen im Sinne eines Mönchs-, Nonnenleben. Shankara war Mönch und Begründer eines ganzen Mönchsordens, den Dashanami Orden, weshalb er auch orangene Kleidung trägt, denn das Feuer der Entsagung lässt alles los.

Zum anderen sagt Krishna in der Bhagavad Gita: „Saṁnyasya ist der Verzicht auf die Früchte allen Handelns und auch das Loslassen des Ergebnisses.“ Wenn Du Dich nicht mit den Handlungen identifizierst und gleichmütig mit Erfolg und Misserfolg bist, nicht an den Früchten der Handlungen hängst und die Früchte loslässt, dann hast Du auch saṁnyasya geübt.

Wenn Du Saṁnyasya im Sinne der vollständigen Entsagung eines Mönchs- oder Nonnenleben üben willst, gibt es bei Yoga Vidya im Ashram auch die Möglichkeit Nonne oder Mönch zu werden. Ich bin das zwar nicht, da ich verheiratet bin. Aber wir haben auch Nonnen, so genannte Swamis, im Ashram.

Zum anderen könntest Du auch Saṁnyasya im Sinne einer weitgehend physischen Entsagung üben, indem Du Mitglied einer spirituellen Gemeinschaft wirst. Dies bedeutet den Verzicht auf viel persönlichen Komfort und viel Geld zu verdienen.

Du kannst aber auch ein scheinbar normales, ethisches Leben führen, aber nicht daran hängen.

In jedem Fall ist diese Form von saṁnyasya wichtig. Shankaracharya sagt „sarvakarmāṇi“, was übersetzt bedeutet „gib alle Werke auf oder alle Identifikation von allen Werken“. „Verzichte auf die Früchte der Handlungen“: sagt Krishna.

Warum machst du das? – Um die Befreiung zu erreichen.

bhavabandhavimuktaye – „Mache Befreiung aus den Fesseln der materiellen Existenz, mache das zu deinem vorherrschenden Motiv“.
Yatyatam – “bemühe Dich”.
Und wie?
Dhirair – “Bemühe Dich entschlossen.”

Und worum soll es sich bemühen entschlossen?
Atmabhyasa – “auf die Praxis, Abhyasa, die Erkenntnis des Selbst.”

Shankara schrieb in seinem Kommentar zur Bhagavad Gita, dass Abhyasa und Vairagya wichtig sind, um die Gottverwirklichung zu erreichen. Auch im Patanjali Yoga Sutra werden Abhyasa und Vairagya als Mittel zur Befreiung genannt.

Er sagt, Vairagya oder auch Saṁnyasya, „Loslassen“, aber auch Abhyasa, „sich bemühen“, seien wichtig – genauso wichtig wie die beiden Flügel, Schwingen, des Vogels zur Befreiung. Die Praxis ist somit einerseits auf das Loslassen und zum anderen auf die Erkenntnis des Selbst ausgerichtet.

Überlege jetzt einen Moment lang ist, ob Dein Alltag vom Loslassen alle Verhaftungen, von dem, was nicht gut ist, geprägt ist und ob Du Dich um die Erkenntnis des Selbst bemühst.

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