Viveka Chudamani – Vers 301

Deutsche Übersetzung:

301. Das Ego / Identifikation mit dem Ich ist ein Produkt von buddhi. Es entstand aus der Verblendung der Unwissenheit. Im menschlichen Körper wird es als „Das bin ich“ wahrgenommen. Wenn diese Verblendung der Ich-Identifikation völlig aufgelöst wird, erfährt das Selbst die vollkommene Verschmelzung mit Brahman, mit der absoluten Wirklichkeit.

Sanskrit Text:

yo vā pure so’ham iti pratīto
buddhyā prakḷptas tamasātimūḍhayā |
tasyaiva niḥśeṣatayā vināśe
brahmātma-bhāvaḥ pratibandha-śūnyaḥ || 301 ||

यो वा पुरे सो ऽहमिति प्रतीतो
बुद्ध्या प्रकॢप्तस्तमसातिमूढया |
तस्यैव निःशेषतया विनाशे
ब्रह्मात्मभावः प्रतिबन्धशून्यः || ३०१ ||

yo va pure so’ham iti pratito
buddhya prakliptas tamasatimudhaya |
tasyaiva nihsheshataya vinashe
brahmatma-bhavah pratibandha-shunyah || 301 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • yaḥ : die (Vorstellung), die (Yad)
  • vā : jedoch (Va)
  • pure : in bezug auf den Körper („Stadt“, Pura)
  • saḥ : der („dieser“, Tad)
  • aham : (bin) ich (Aham)
  • iti : als („so“, Iti)
  • pratītaḥ : wahrgenommen wird (Pratita)
  • buddhyā : vom Intellekt (Buddhi)
  • prakḷptaḥ : wird produziert (Praklipta)
  • tamasā : aufgrund der Unwissenheit („Finsternis“, Tamas)
  • atimūḍhayā : der überaus verwirrt ist (Atimudha)
  • tasya : dieses (Egos, Tad)
  • eva : eben (Eva)
  • niḥśeṣatayā : bis auf den letzten Rest (Nihsheshata)
  • vināśe : beim Verschwinden (Vinasha)
  • brahmātma-bhāvaḥ : die Erfahrung („Empfindung“, Bhava), dass das Selbst (Atman) das Absolute (Brahman) ist
  • pratibandha-śūnyaḥ : ist frei (Shunya) von Hindernissen (Pratibandha)     || 301 ||

Kommentar

Im Viveka Chudamani geht es um Viveka, die Unterscheidungskraft. Chudamani heißt Kleinod oder auch Kronjuwel. Mani heißt Juwel, Chuda heißt Krone oder auch Kopf. Viveka Chudamani ist also das Kronjuwel der Unterscheidung.
Es geht darum, etwas Wichtiges zu tun, zu unterscheiden zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen. Wie machst du das?
Du machst das, indem du überlegst, wer du bist. Dazu leitet uns Shankaracharya an. Wir sind jetzt im 301. Vers des Viveka Chudamani und hier sagt Shankara:

Das Ego / Identifikation mit dem Ich ist ein Produkt von buddhi. Es entstand aus der Verblendung der Unwissenheit. Im menschlichen Körper wird es als „Das bin ich“ wahrgenommen. Wenn diese Verblendung der Ich-Identifikation völlig aufgelöst wird, erfährt das Selbst die vollkommene Verschmelzung mit Brahman, mit der absoluten Wirklichkeit.
Einiges hast du schon öfters von mir gehört. Erst das Ego überwinden, dann erfährst du Brahman. Aber hier macht Shankara eine interessante Aussage, nämlich dass das Ego aus der Buddhi kommt. Das ist etwas, was auch moderne Biologen sagen. Wenn sie sagen, was den Menschen vom Tier unterscheidet, dann zählen sie zwei Dinge auf:
Zum einen ist es der Intellekt und zum anderen ist es das Ich-Gefühl. Zu wissen, dass ich dieser Mensch bin. Ich bin eine historische Persönlichkeit. Ich und Intellekt gehören beide zusammen.
Angenommen du hättest jetzt nicht diese Buddhi, dann wüsstest du nichts. Du könntest nicht überlegen, wer du bist, woher du kommst oder wohin du gehst. Du nimmst einfach nur wahr. Ein Wahrnehmungsstrom an sich heißt keine Identifikation. Buddhi heißt, etwas zu unterscheiden. Du analysierst. Mit der Buddhi weißt du, dass du irgendwann geboren sein musst und irgendwann sterben wirst. Kein Mensch kann sich an seine Geburt erinnern. Woher wissen sie, dass ich geboren wurde?
Tiere gehen davon aus, dass sie immer schon da waren. Tiere haben kein Konzept vom Tod, das nehmen wir zumindest an, ohne es genau zu wissen.
Angenommen wir haben niemanden, der uns sagen würde, dass wir irgendwann geboren wurden, müssten wir beobachten, wenn andere Babys geboren werden und uns fragen, ob wir auch schon mal ein Baby gewesen sind. Heutzutage haben wir ja sogar Fotos, wo wir uns als Babys sehen können. Das war früher nicht so. Früher haben die Menschen keine Fotos oder Gemälde von sich gehabt. Ab einem bestimmten Alter waren sie da und es wurde ihnen gesagt, dass sie auch mal ein Baby waren. Letztlich sind viele Erinnerungen, die wir haben, Erinnerungen aus Erzählungen oder von Fotos, die wir gesehen haben. Auch Menschen, von denen es keine Babyfotos gibt, haben trotzdem das Bewusstsein, dass es sie mal gab. Genauso schließt man aus dem Tod anderer, dass man selbst auch sterben wird. Das ist alles Buddhi. Und so ist die Buddhi, diejenige, die schließt, dass ich eine historische Person bin, ich irgendwann ins Leben gekommen bin, dass ich irgendwann sterben werde. Dann geht die Buddhi noch weiter und bezieht das, was andere sagen, auf sich selbst. Und dieses auf sich selbst beziehen ist auch wieder eine typische Form der Buddhi. Vermutlich werden Tiere nicht die ganze Zeit überlegen, was soll das heißen? Mag der mich oder mag der mich nicht? Ein Hund sieht einen anderen Hund und weiß sofort, ob er ihn mag oder nicht. Er kläfft oder wedelt mit dem Schwanz. Er überlegt nicht lange. Aber ein Mensch kann durchaus überlegen: Was meint er damit? Warum hat er das so und so gesagt?
Diese Buddhi, die die außergewöhnliche Fähigkeit hat zu überlegen, führt auch zum Ego. Aber die Buddhi kann auch dazu führen, das Ego zu überwinden. Da wird manchmal gesagt, dass das, was zur Bindung führt, auch zur Befreiung führt.
In diesem Sinne führt Buddhi zur Bindung, zur Identifikation. Buddhi führt auch zur Befreiung, wenn du sie richtig einsetzt.
Und so mache dir mal bewusst, wie viel du deine Buddhi auf dich selbst beziehst. Wie oft überlegst du, was heißt das für mich? Was denkt dieser Mensch von mir? Warum soll ich das machen? Was springt für mich dabei heraus? Was könnte mir passieren?
Überlege, wieviel Energie die Buddhi einsetzt, um letztlich Ahamkara, das Ich zu entwickeln und zu stärken. Und wenn du das erstmal verstanden hast, dann verstehst du umso mehr, warum Buddhi wieder zur Befreiung führen kann.
Buddhi ist also die Grundlage des Ego und Buddhi ist auch die Grundlage, um aus dem Ego wieder herauszukommen.

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