Viveka Chudamani – Vers 23

Deutsche Übersetzung:

23. Beide Arten von Sinnesorganen (des Wissens und der Handlung) von ihren Sinnesobjekten wegzusteuern, und sie in ihrem entsprechenden Aktivitätszentrum zu platzieren, wird dama (Selbstkontrolle, Sinnesbeherrschung) genannt. Vollkommene Gemütsruhe (uparati) bedeutet, dass die Gedankenwellen (vrittis) sich zurückziehen und das Denkorgan (manas) auf äußere Sinneseindrücke nicht reagiert/ von den Sinnesreizen der Umwelt unberührt bleibt.

Sanskrit Text:

viṣayebhyaḥ parāvartya sthāpanaṃ sva-sva-golake |
ubhayeṣām indriyāṇāṃ sa damaḥ parikīrtitaḥ |
bāhyānālambanaṃ vṛtter eṣoparatir uttamā || 23 ||

विषयेभ्यः परावर्त्य स्थापनं स्वस्वगोलके |
उभयेषामिन्द्रियाणां स दमः परिकीर्तितः |
बाह्यानालम्बनं वृत्तेरेषोपरतिरुत्तमा || २३ ||

vishayebhyah paravartya sthapanam sva-sva-golake |
ubhayesham indriyanam sa damah parikirtitah |
bahyanalambanam vritter eshoparatir uttama || 23 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • viṣayebhyaḥ : von den Sinnesobjekten (Vishaya)
  • parāvartya : nachdem man sie abgewendet hat (abgewendet habend, parā + vṛt)
  • sthāpanam : das Platzieren, Unbeweglichmachen (Sthapana)
  • sva-sva-golake : in ihrem jeweils eigenen (Sva) Bereich („Sphäre“, Golaka)
  • ubhayeṣām : beider (Gruppen, Ubhaya)
  • indriyāṇām : der Sinnesorgane (Indriya, d.h. derer der Erkenntnis und des Handelns)
  • saḥ : das (Tad)
  • damaḥ : Selbstbeherrschung (Dama)
  • parikīrtitaḥ : wird genannt (Parikirtita)
  • bāhyānālambanam : das Zurückziehen („sich nicht stützen auf“, Analambana) vom Äußerlichen (Bahya)
  • vṛtteḥ : des Denkens („der geistigen Tätigkeit“, Vritti)
  • eṣā : das (ist, Etad)
  • uparatiḥ : Anhalten (Uparati)
  • uttamā : (in seiner) höchsten, vorzüglichsten (Form, Uttama)     || 23 ||

Kommentar

Shankaracharya definiert im 23. Vers der Viveka Chudamani zwei dieser sechs Tugenden, nämlich „Dama“ – Sinnesbeherrschung – und „Uparati“.

„Indriyās“ heißt übersetzt „Sinnesorgane“. Im Vedanta werden zwei Arten von Sinnesorganen unterschieden – die Wahrnehmungsorgane, „Jnana indriyās, Jnanendriya“ und die Handlungsorgane, „Karma indriyās, Karmendriyas“. Wenn im Westen von Sinnesorganen die Rede ist, dann sind normalerweise die Wahrnehmungsorgane gemeint – sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen.
Die Organe des Handels sind Füße, Hände, Mund, Geschlechtsorgane, Ausscheidungsorgane und stehen für fünf Arten von Dingen, die wir gern tun wollen: Mit den Füße möchtest du dich fortbewegen, mit den Hände etwas tun oder bewirken, mit dem Mund sprechen, essen, kommunizieren – der Wunsch zu essen hängt natürlich eng zusammen mit dem Wahrnehmungsorgan Schmecken – , die Geschlechtsorgane stehen für den Wunsch nach Sexualität, Familie, auch Kreativität, und über die Ausscheidungsorgane möchten wir etwas loswerden.

Auf all diesen Ebenen existieren Wünsche. Der Wunsch, etwas sehen oder hören zu wollen, wie zum Beispiel Lob, schöne Klänge und so weiter. Es gibt den Wunsch nach angenehmen Geräuschen, nach angenehmem Schmecken, nach angenehmer Kleidung, nach einem angenehmen Bett, schönen Temperaturen, aber auch nach schönen Berührungen, nach Streicheln, usw.

Das sind alles Wünsche nach Sinnesobjekten. Zudem existiert der Wunsch nach Handlung. Wir wollen uns bewegen, irgendwohin gehen, sprechen, kommunizieren, einiges bewirken und tun, haben den Wunsch nach Geschlechtsverkehr, kreativ zu sein. Aber Ausscheidung und etwas loswerden zu wollen sind auch Wünsche.

Es gilt sich zu lösen von all diesen Sinnesobjekten und nicht davon beherrscht zu werden. Shankaracharya benennt es als „sich von ihnen abwenden“ – „parāvartya“. Wir wollen uns von ihnen abwenden, und gleichzeitig „platzieren in“ – „sthāpanaṁ“ – „ihrem jeweiligen Bereich“ – „svasvagolake“.

Wenn unsere Energie, unser Prana, unsere Gedanken, unsere Vrittis in Richtung eines Sinnesobjektes geht, merken wir, sie werden nach außen gezogen.

Stattdessen können wir sie mithilfe einer Pratyahara-Technik nach innen ziehen. Wenn du siehst, dass du sofort etwas tun musst, bringe dein Bewusstsein nach Innen, zum Beispiel zum Herzen. Wenn du merkst, dass du unbedingt irgendwohin gehen willst, bringe dein Bewusstsein z. B. in die Mitte der Beine oder der Füße. Oder wenn du unbedingt etwas tun willst, bringe dein Bewusstsein in die Mitte der Hände. Angenommen, geschlechtliche Gier übermannt dich. Bringe dein Bewusstsein zurück zum Kreuzbein, Svadisthana Chakra, ziehe die Energie nach oben. Oder angenommen, du willst unbedingt etwas sagen. Bringe dein Bewusstsein zum Mund und zurück zur Kehle und damit zur Halswirbelsäule. Oder wenn du unbedingt etwas tun willst, bringe die Energie zurück zum Manipura Chakra. Wenn du unbedingt gehen willst, bring deine Energie zurück zum Muladhara Chakra.
Ziehe deine Sinne, oder die Energie deiner Sinne, zurück und renne nicht einfach nach außen, übe „Dama“. Beherrsche auf diese Weise deine Sinnesorgane.
Und das ist eine Übung, die du machen kannst. Das nächste Mal, wenn du merkst, dass du einen Wunsch oder eine Gier verspürst, dann beherrsche sie mal, indem du nichts tust und deinen Geist nach innen richtest. Diese Übung ist möglich und etwas sehr Gutes.
Shankaracharya spricht natürlich auch über einen weiteren Aspekt, nämlich „Uparati“. „Uparati“ heißt „anhalten“ oder „etwas nicht tun“. Manchmal wird es auch mit „Überdruss“ übersetzt, es heißt aber auch „das Meiden“.
Es gibt verschiedene Interpretationen. Er spricht aber hier von „Uparati Uttama“, d. h. die Höchstform des Uparati. Hierbei handelt es sich um das Zurückziehen der Gedankenwellen; das Denkorgan reagiert nicht auf äußere Eindrücke.
Diese Interpretation ähnelt in gewisser Weise „Sama“. Aber man könnte es auch als Konsequenz von „Dama“ bezeichnen. du merkst, da ist Gier. „Dama“ wäre, wenn du dein Bewusstsein ins entsprechende Zentrum zurückziehst. Vielleicht beobachtest du die Gier zunächst, und dann ziehst du die Strahlen deines Bewusstseins nach innen zurück. Und dann werden die Vrittis, die Gedankenwellen, ruhig. Hier wird das so ausgedrückt: „Vrittis, die angehalten werden“ und „Vrittis, die sich nicht mehr an äußere Dinge halten“. Und dann folgt Ruhe des Geistes.
„Uparati“ kann man also auf mehrere Weisen interpretieren. Einfach ausgedrückt heißt „Uparati“, Situationen zu vermeiden, wo du in Versuchung geführt wirst. In einem größeren Kontext heißt es, nach „Dama“, Sinnesbeherrschung, zu streben und die Strahlen des Geistes nach innen zu richten, d.h. dein Geist wird von seinen Wünschen nach Sinnen nicht mehr beherrscht.
Überlege, wie du das nächste Mal, wenn dich Dinge aus dem Gleichgewicht bringen, damit umgehen kannst. „Sama“: Ruhe des Geistes; „Dama“: Sinnesbeherrschung; „Uparati“: die Ruhe nach der Sinnesbeherrschung oder auch: Meide die Situation; „Titiksha“: Halte es aus, „Shraddha“: Habe Vertrauen; und schließlich „Samadhana“: Genieße die tiefe Gelassenheit.

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