Viveka Chudamani – Vers 22

Deutsche Übersetzung:

22. Der ruhige, friedvolle Zustand des Geistes, – nachdem er sich von den zahllosen Gegenständen der Sinneswahrnehmung losgelöst und durch einen Prozess fortlaufender Beobachtung ihre Unvollkommenheit erkannt hat und dabei seine Achtsamkeit unablässig auf das Ziel richtet – wird innere Stille / Ruhe des Geistes (shama) genannt.

Sanskrit Text:

virajya viṣaya-vrātād doṣa-dṛṣṭyā muhur muhuḥ |
sva-lakṣye niyatāvasthā manasaḥ śama ucyate || 22 ||

विरज्य विषयव्राताद्दोषदृष्ट्या मुहुर्मुहुः |
स्वलक्ष्ये नियतावस्था मनसः शम उच्यते || २२ ||

virajya vishaya-vratad dosha-drishtya muhur muhuh |
sva-laksye niyatavastha manasah shama uchyate || 22 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • virajya : nachdem er sich abgewandt hat („gleichgültig geworden seiend“, vi + raj)
  • viṣaya-vrātād : von den zahllosen („der Menge der“, Vrata) Sinnesobjekten (Vishaya)
  • doṣa-dṛṣṭyā : in Anschauung (Drishti) ihrer Mängel (Dosha)
  • muhur muhuḥ : immer wieder (Muhur)
  • sva-lakṣye : auf seinem eigentlichen (Sva) Ziel (Lakshya)
  • niyatāvasthā : das konstante (Niyata) Verweilen („Bestehen“, Avastha)
  • manasaḥ : des Geistes (Manas)
  • śamaḥ : Gemütsruhe (Shama)
  • ucyate : wird genannt (vac)     || 22 ||

Kommentar

Wie kommt Ruhe des Geistes?
Shankara empfiehlt Ruhe des Geistes als Grundlage, um nachher die Gottverwirklichung, die Selbstverwirklichung, Erleuchtung zu erlangen.

Wie kannst du diese Ruhe des Geistes erlangen?
Shankara gibt hierfür mehrere Hinweise.
„virajya“ bedeutet wörtlich übersetzt „sich innerlich abgewandt haben“ oder auch „gleichgültig geworden sein“. „raj“ heißt letztlich „verhaftet sein“ und „Viraj“ bedeutet „gleichgültig geworden sein“. Daraus lässt sich ableiten, eine gewisse Gleichgültigkeit zu entwickeln.

Gegenüber wen oder was soll eine Gleichgültigkeit entwickelt werden?
„Viśhayavrātād“ – „Gleichgültigkeit gegenüber der Menge an Sinnesobjekte“
„Vrata“ heißt übersetzt „Menge“ und „Viśhaya“ „Sinnesobjekte“.

Wie kann man sich davon abwenden? – „dośhadriśhṭyā“.
„driśhṭyā“ heißt übersetzt „Anschauung“ und „dośha“ bedeutet hier „Mängel“.
„muhur muhuḥ“ bezeichnet „immer wieder“.

„Svalakśhye“ – „auf seinem eigentlichen Ziel“.
„Niyatāvasthā” – “kommt immer wieder, verweilen oder auch bestehen“. „Niyata“ heißt übersetzt „konstant“ und „avasta“ wird übersetzt als „bestehen“. Und so kommt „manasaḥ śama“, die „Gemütsruhe des Geistes“.

Wie kommen wir zur Gemütsruhe des Geistes? – In dem wir uns von den zahllosen Sinnesobjekten abwenden und erkennen, dass sie Mängel aufweisen. Shankara erklärt, dass sich durch die Besinnung auf das eigentliche Ziel die Ruhe des Geistes ergibt.
Dies ist auch ein passender Anknüpfungspunkt zu allen vier Eigenschaften eines Aspiranten -„Vairagya“, „Viveka“, „Samādiśhaṭkam“ und „mumukśhutvam“. Letztlich hängen alle zusammen.

Wie kommen wir zu „Sama“, „zur Ruhe des Geistes“? – Shankaracharya sagt durch das Abwenden von den Sinnesobjekten und Hinwenden auf das eigentliche Ziel, die Erleuchtung. Wenn Du Dir bewusst machst, dass Dein Ziel die Erleuchtung ist, dann überlege vor dem Hintergrund Deines Ziels, was Du in bestimmten Situationen denken könntest.
Angenommen jemand beschimpft Dich. Normalerweise würdest Du entweder ärgerlich, enttäuscht, deprimiert, neidisch, eifersüchtig reagieren. Stelle Dir in solch einer Situation die Frage: „Vor dem Hintergrund meines Zieles, der Erleuchtung, was wäre jetzt eine angemessene Vorgehensweise?“
Angenommen Du hast Dir ein tolles Essen gekocht und in letzter Minute ist es verbrannt. Du hast keine Zeit mehr neu zu kochen und musst als Alternative ein paar rohe Tomaten, vielleicht ein Vollkornbrot essen. Dann überlege: „Was wäre eine angemessene Vorgehensweise vor dem Hintergrund meines Zieles, der Erleuchtung?“

In diesem Sinne helfen Dir zur Ruhe des Geistes einerseits immer wieder die Verankerung am Ziel und andererseits das Bewusstwerden, dass Sinne und Wünsche ihre Schwächen und Mängel aufweisen.

Wenn Du einen Wunsch hast, gibt es oft mehrere Möglichkeiten. Erste Möglichkeit ist, einen unerfüllten Wunsch zu haben, der zum Leiden führen kann. Bei der zweiten Möglichkeit wird Dein Wunsch erfüllt, aber er verschwindet wieder. Die Konsequenz daraus ist Leiden. Im Rahmen der dritten Möglichkeit wird Dein Wunsch erfüllt, bleibt auch erfüllt, aber in der Konsequenz stellst Du fest, dass er Dich nicht dauerhaft glücklich macht. Daher folgt auch daraus Leiden. Im Grunde genommen kann Dir kein Wunsch dauerhaftes Glück schenken.

Angenommen Du hast ein schmackhaftes Essen zubereitet. Würdest Du Glücklicher werden, wenn Du sehr viel davon essen würdest? – Nein. Bist Du glücklich, wenn Du nur wenig davon isst? – Nein, auch nicht, denn Du würdest gerne mehr haben. Essen macht Dich in diesem Sinne nicht glücklich.

Oder angenommen Du hörst irgendwelche schöne Musik. Macht Dich das Hören der Musik glücklich? – Vorübergehend ja, aber nicht dauerhaft.

Das gleiche gilt für die Zuneigung durch die Menschen. Ist es möglich von Menschen dauerhafte Zuneigung zu bekommen? – Nein, Menschen gehen durch Höhen und Tiefen. Heute ist jemand nett zu dir, morgen nicht mehr. Angenommen jemand ist immer nett zu dir, dann wertschätzt Du das nett sein nicht mehr.

Sei Dir in diesem Sinne bewusst und reflektiere, dass die Sinnesobjekte vergänglich sind und ihre Fehler haben.

Krishna sagt in der Bhagavad Gita: „Vergnügen und Schmerz kommen vom Kontakt mit den Sinnesobjekte. Sie kommen und gehen. Ertrage sich tapfer, oh Arjuna.“

Schaue in die Defekte der Sinnesobjekte und Wünsche. Betrachte das, was ewig ist. Sei Dir ihr immer wieder des Zieles bewusst. Diese beide Sachen, Loslösen von den Sinnesorganen und die stetige Besinnung auf das Ziel, führen zu „Sama“, „zur Ruhe des Geistes“.

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3 Gedanken zu „Viveka Chudamani – Vers 22“

  1. Nur zur info, zwei Rechtschreibfehler: Ertrage SIE tapfer, oh arjuna (statt sich)
    Letzter Absatz: diese beideN Sachen (statt beide)
    Bin nur drüber gestolpert.
    Danke für die interessante Reihe!

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