2. Kapitel, Vers 4

Deutsche Übersetzung:

Wenn die Energiekanäle verunreinigt sind kann die Lebensenergie (Prana) nicht durch den Haupt-Kanal (Sushumna) strömen. | Wie wird der Zustand der Erleuchtung (Unmani) sich einstellen, und wie stellen sich übernatürliche Kräfte (Siddhi) ein?

Sanskrit Text:

  • malākulāsu nāḍīṣu māruto naiva madhya-gaḥ |
    kathaṁ syād unmanī-bhāvaḥ kārya-siddhiḥ kathaṁ bhavet ||4||
  • मलाकुलासु नाडीषु मारुतो नैव मध्यगः ।
    कथं स्यादुन्मनीभावः कार्यसिद्धिः कथं भवेत् ॥४॥
  • malakulasu nadishu maruto naiva madhyagah |
    katham syad unmani bhavah karya siddhih katham bhavet ||4||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • mala : (mit) Verunreinigungen (Mala)
  • ākulāsu : angefüllt sind (Akula)
  • nāḍīṣu : (wenn die feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
  • mārutaḥ : (der Lebens-)Atem, Prana (“Wind”, Maruta)
  • na : nicht (Na)
  • eva : gewiss (Eva)
  • madhya-gaḥ* : geht (durch den) mittleren (Kanal, Madhya Ga)
  • kathaṁ : wie (Katham)
  • syāt : sollte (dann möglich) sein (as)
  • unmanī-bhāvaḥ : (der) Zustand (Bhava) jenseits des Geistes (Unmani)
  • kārya : (der) Absicht, (des) Zwecks (Karya)
  • siddhiḥ** : (der) Erfolg, (das) Gelingen, Erreichen (Siddhi)
  • kathaṁ : wie
  • bhavet : sollte (dann möglich) sein (bhū)     ||4||

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Prana „durch die Mitte geht“ (Madhya-ga), wenn er durch den Sushumna genannten Kanal („Weg“, Marga) fließt (vāhī): prāṇo madhya-gaḥ suṣumnā-mārga-vāhī.

**Anmerkung: Der letzte Zweck (Karya) des Hatha Yoga besteht laut Brahmananda „in Form“ (Rupa) der absoluten Freiheit (Kaivalya), dessen Erfolg (Siddhi) besteht in deren Vervollkommnung (Nishpatti): kāryasya kaivalya-rūpasya siddhir niṣpattiḥ.

Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 115 behandelt.

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Brahmananda

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Vishnu-devananda

Wenn die Nadis voll von Verunreinigungen sind, dann geht der Atem nicht in die mittlere Nadi, die Sushumna. Dann gibt es kein Erlangen des Gegenstandes und kein Erreichen von Unmani Avastha.

Moderne Leute, die solche Sachen lesen, mögen denken, dass der Autor eine lächerliche Behauptung aufstellt, dass er nichts über Physiologie oder Anatomie weiß. Wie ist es möglich, dass der Atem in ein Nadi geht, wo doch jeder weiß, dass er nur in die Lungen geht! Aber wenn ihr wieder Atem mit Prana übersetzt, wie ich erklärt habe, dann werdet ihr solche Dinge richtig verstehen.
Was sind die oben erwähnten „Unreinheiten“? Wenn ihr die falsche Nahrung esst, wenn ihr trinkt oder raucht, dann ist das Nervensystem überladen mit Unreinheiten, die Widerstand erzeugen. Wenn ihr dann Pranayama macht, wird Prana nicht in die Sushumna gehen. Wenn der Atem nicht in die Sushumna-Nadi geht, dann gibt es „kein Erlangen des Gegenstandes“. Was ist damit gemeint? „Der Gegenstand“ ist die Vereinigung von „Ha“ und „tha“, die zur Ruhe des Geistes führt. Wenn der Geist ruhig ist, sagen Raja-Yogis, dass der Sehende sein Selbst sieht. Er sieht sich als „Ich bin“.
Unmani Avastha ist Hatha Yoga Samadhi durch die Kontrolle von Prana. Im Raja Yoga wird derselbe Zustand Asamprajnata Samadhi genannt. In Jnana Yoga wird er Nirvikalpa Samadhi oder Turiya genannt. Im Bhakti Yoga wird er Bhava Samadhi oder Selbst-Aufgabe genannt. Alle sind derselbe Zustand.
Während Unmani Avastha bleibt der Atem stehen und der Geist wird so still, dass ihr das Selbst seht. Avastha bezieht sich auf einen Zustand des Geistes. In diesem Zustand gibt es keine Wellen (Vrittis) mehr auf dem Geist, weil das Prana nicht mehr durch Ida und Pingala arbeitet. Solange Prana durch diese Nadis wirksam wird, gibt es körperliches Atmen und Lebenskraft, Gefühle und Gedanken. Gewöhnlich können wir das nicht aufhalten; es kommt nur zum Stillstand, wenn Prana in die Sushumna fließt, so dass Ida und Pingala tot sind. Dann sind sie wie ein Kabel ohne Strom.

Sukadev

4. Wenn die Nadis voll von Verunreinigungen sind, dann geht der Atem nicht in die mittlere Nadi, die Sushumna. Dann gibt es kein Erlangen des Gegenstandes und kein Erreichen von Unmani Avastha.

Das ist jetzt eine dumme Übersetzung. Auf englisch heißt object nicht nur Gegenstand, sondern auch Ziel. Also so lange das Prana nicht in der Sushumna ist, erreichen wir nicht das Ziel des Lebens, und es gibt auch kein Erreichen von Unmani Avastha. Unmani Avasta. Avastha heißt Zustand. Für Unmani gibt’s zwei Übersetzungen. Zum Einen heißt es großartiger Juwel, der Zustand des großartigen Juwels. Von einem anderen Stamm aus, Manas heißt Geist, Unmani heißt jenseits des Geistes, Samadhi. Unmani Avastha ist ein Name für Samadhi im Hatha Yoga.

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