1. Kapitel, Vers 15

Deutsche Übersetzung:

Überessen, Überanstrengung, Schwätzen und Regelhörigkeit; | oberflächliche Geselligkeit und Unbeständigkeit, durch diese sechs [Untugenden] geht das Yoga verloren.

Sanskrit Text:

  • atyāhāraḥ prayāsaś ca prajalpo niyama-grahaḥ |
    jana-saṅgaś ca laulyaṁ ca ṣaḍbhir yogo vinaśyati ||15||
  • अत्याहारः प्रयासश्च प्रजल्पो नियमाग्रहः ।
    जनसङ्गश्च लौल्यं च षड्भिर्योगो विनश्यति ॥१५॥
  • atyaharah prayasash cha prajalpo niyama grahah |
    jana sangash cha laulyam cha shadbhir yogo vinashyati ||15||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • atyāhāraḥ : Übermaß im Essen (Atyahara)
  • prayāsaḥ : (unangemessene) Anstrengung, Überanstrengung (Prayasa)
  • ca: und (Cha)
  • prajalpaḥ : Geschwätz, unbesonnene Worte (Prajalpa)
  • niyama : (unangemessene) Regel(n), Gelübde, Observanz(en, Niyama)
  • grahaḥ : Sichklammern (an), Bestehen, Versessensein (auf, Graha)
  • jana : (mit) Leute(n, Jana)
  • saṅgaḥ : (unpassender) Umgang, Verkehr (Sanga)
  • ca: und
  • laulyaṁ : Unruhe, Unbeständigkeit, Gier, Verlangen (Laulya)
  • ca : und
  • ṣaḍbhiḥ : durch (diese) sechs (Shash)
  • yogaḥ : (der) Yoga
  • vinaśyati : geht verloren, wird zunichte, wird wirkungslos (vi + naś)   ||15||

Kommentare – Audio – Video

Brahmananda

Die Gelübde sind solche Dinge, wie z. B. in kaltem Wasser früh am Morgen zu baden, Mahlzeiten (nur) in der Nacht einzunehmen, und Fasten.

Vishnu-devananda

15. Der Yogi geht durch Überessen, harte körperliche Arbeit, zu viel Reden, das Einhalten von (unpassenden) Gelübden, schlechte Gesellschaft und Unbeständigkeit zugrunde.

Das sind Warnungen. Gewisse Dinge werden euch keinen Erfolg bringen; ihr werdet das Ziel nicht erreichen. Harte körperliche Arbeit z. B. Wenn ihr intensiv Asanas und Pranayama praktiziert, könnt ihr nicht zehn Stunden Holz fällen. Reduziert es eben. Ein kaltes Bad kann zu einer bestimmten Zeit gut sein, aber nicht während intensivem Pranayama. E s wird eure Nerven zertrümmern. In solchen Zeiten ist nur ein warmes Bad erlaubt. Ebenso solltet ihr nicht nahe beim Feuer sitzen. So wie ihr euch während dieses intensiven Sadhanas nicht mit Nahrung überladen könnt, dürft ihr zu einer solchen Zeit nicht länger als drei bis vier nichts essen, da dies den Körper schwächt. Ihr solltet eine leichte, ausgewogene, festgelegte Diät einhalten. Geht nicht in Extreme. Ebenso esst auch nicht vor dem Schlafengehen, weil ihr sonst am frühen Morgen nicht fähig seid, richtig Pranayama auszuführen.

Sukadev

15. Der Yogi geht durch Überessen, harte körperliche Arbeit, zuviel Reden, das Einhalten von unpassenden Gelübden, schlechte Gesellschaft und Unbeständigkeit zugrunde.

Was jetzt jeder Einzelne darunter verstehen will, das muss jedem Einzelnen überlassen sein.

Das heißt nicht, dass man deshalb stirbt. Aber die Yogaschwingung des Yogis, dann ist man nämlich kein Yogi mehr. Das gilt natürlich in besonderem Maße, wenn man intensiv praktiziert. Aber diese Verse über die Grundlagen, im Grunde genommen auch die nächsten Verse gehen alle über die Yamas und Niyamas. Da sind erst mal zwei Vorverse, und dann ein Vers über die Yamas und dann eine Vers über die Niyamas. Gut, also all das gilt es zu vermeiden. Natürlich, das erste ist Überessen.

– Es gilt zu vermeiden zu Überessen.

Wenn man zuviel isst, dann ist es schwierig, anschließend den Geist zu erheben, Skorpion zu machen und Pfau zu machen und solche Sachen, aber über den Essensaspekt will ich jetzt nicht zu viel reden. Auch wenn er immer der faszinierendste ist. Die klassische Menge der Speise ist, den Magen halb mit fester Nahrung zu füllen, ein Viertel mit flüssiger Nahrung zu füllen und ein Viertel zur Verehrung von Shiva freizulassen. Also, der Swami Sivananda schreibt, es wäre immer gut, ein klein wenig hungrig zu sein. Kleiner Hunger ist auch so was wie ein kleines Prana, das man immer hat. Also nicht Überessen.

– Harte körperliche Arbeit

das freut jetzt einige, zumindest einige Mitarbeiter vom Haus, die schon immer gedacht haben, die Kisten zu tragen wäre schwere körperliche Arbeit, also man muss sehen, was harte körperliche Arbeit ist. Harte körperliche Arbeit. Wobei ihr wissen müsst, was im alten Indien als harte körperliche Arbeit bezeichnet wird, das ist was anderes, als was Menschen heute als harte körperliche Arbeit bezeichnen. Also wenn ihr mal einen Schrank von hier nach dort transportiert, oder einen großen Kochtopf ein bisschen umrührt, das ist nicht harte körperliche Arbeit. Aber wenn ihr von morgens bis abends auf dem Feld arbeitet, und zwar nicht mit Maschinen, sondern von acht Uhr morgens bis zwanzig Uhr abends dort schwer die Erde umwühlt, vielleicht mit einer Schaufel, noch dazu mit einer Holzschaufel, das ist dann schwer, die Energie zu finden, spirituell zu praktizieren und Pranayama oder Asanas zu machen. Also zu harte körperliche Arbeit, dass man dann nur noch kaputt und geschafft nach Hause kommt, das ist jetzt nicht so geeignet.

Es gilt jetzt im besonderen Maße, wenn man die Pranayamapraxis intensivieren will, dass man dann nicht zu viel macht, was zu intensiv auch körperlich ist. Also angenommen, ihr wollt jetzt mal eine intensive Pranayamapraxis machen, so zwei bis sechs Stunden am Tag, dann würdet ihr auch keinen Hochleistungssport parallel machen, dann würdet ihr auch nicht in die Sauna gehen, obgleich die sonst sehr positiv ist, man würde auch eiskalte Duschen vermeiden, obgleich ihr wisst, dass ich normalerweise Wechselbäder empfehle gegen Kreislaufbeschwerden, schlechte Durchblutung, Erkältung usw. Aber wenn man intensiv praktiziert, dann will man den Körper nicht noch zusätzlich schockieren. Genauso, wenn man intensiv Pranayama übt, sollte man auch nicht fasten, obgleich Fasten allgemein was Gutes ist. Aber wenn ihr mehr als zwei Stunden am Tag Pranayama macht, dann ist das Fasten nicht angebracht, es sei denn ihr habt das schon länger gemacht und kennt euren Körper ausreichend gut.

– Zu viel reden

natürlich auch. Manche Menschen reden wie ein Wasserfall. Der Swami Sivananda hat mal auch lustig gesagt: „Manche Menschen leiden unter lingual diarrhoea“, das ist so wie Wortdurchfall. Sie hören nicht mehr auf zureden. Und so sollte man öfters auch schweigen. Nicht zuviel reden. Natürlich auch nicht zu wenig reden. Ich glaube, im Koran steht etwas, was auch in der Manu Smriti steht. Manchmal auch interessant, das man die gleichen Dinge an verschiedenen Stellen findet. Dort heißt es: Wenn man was sagen will, sollte man erst überlegen, ob’s korrekt ist. Wenn’s nicht korrekt ist, wenn’s nicht Satya ist, sollte man den Mund halten. Zweite Frage: Entspricht es Ahimsa, Nicht-verletzen? Wenn es Ahimsa nicht entspricht, dann Schweigen. Und als Drittes fragt man: „Ist es notwendig, das zu sagen?“ Und wenn es nicht notwendig ist, dann schweigt man. Wenn man das jetzt wörtlich nähme, dann würde man wahrscheinlich kaum mehr sprechen. Also, nicht zu viel reden. Das gilt natürlich mehr für Menschen, die eine Neigung haben, viel zu reden. Menschen, die eher schüchtern sind, könnten lernen, mutiger zu sein.

– Das Einhalten von unpassenden Gelübden.

Z.B. kann man sagen: „Von heute an werde ich nie mehr ärgerlich werden.“ Was bringt ein solches Gelübde? Nur ein schlechtes Gewissen. Es gibt eine Geschichte von jemandem, der hat jahrelang sich damit beschäftigt, seinen Geist zur Ruhe zu bringen. Und eines Tages dachte er, jetzt habe ich meinen Ärger bezwungen. Und er schrieb an seine Hütte oben drauf: Ich habe den Ärger bezwungen. Und freudestrahlend ging er raus und hielt Vorträge darüber, über die Überwindung des Ärgers. Und dann kamen Leute zu ihm und der eine sagte: „Oh Großer, wie hast du deinen Ärger bezwungen?“ „Ja, ich habe alles Gott anvertraut, ich habe zu Gott gebetet, und durch die Gnade Gottes bin ich ohne Ärger geworden.“ Da kam der nächste und sagte: „Hast du wirklich deinen Ärger bezwungen? Das kann ich gar nicht glauben.“ „Ja, hab ich.“ „Was hast denn du noch gemacht?“ „Ich hab meditiert und jeden Tag zwanzig Minuten gesagt: „Ich bin geduldig, OM, OM, OM.“ Da kam der Nächste und sagte: „War das wirklich alles? Und du hast den Ärger wirklich bezwungen?“ Und so kamen ständig Leute und fragten: „Hast du den Ärger bezwungen?“ Und schließlich, nach dem Hundertsten: „WIE OFT SOLL ICH EUCH DENN NOCH SAGEN, DASS ICH DEN ÄRGER BEZWUNGEN HAB!“ Also, bestimmte Gelübde sind nicht passend. Oder ihr macht das Gelübde: Ich werde jetzt dreimal am Tag sechs Stunden hintereinander meditieren.

Auf Sanskrit steht dort Vrata. Und Vrata ist so ein Vorsatz. Und eben einen nicht passenden Vorsatz zu fassen hilft nicht. Es ist schon gut, einen Vorsatz zu fassen. Das gehört zu den Niyamas im Hatha Yoga, aber ein unpassender Vorsatz ist nicht gut. Es gibt natürlich auch in der andern Richtung unpassende Gelübde. Z.B. lege ich jetzt das Gelübde ab: Ich werde in diesem Jahr keine Zigarette rauchen. Wäre das sinnvoll? Noch nie habe ich auch nur eine Zigarette an meinen Lippen gehabt, die angezündete war. Es macht jetzt keinen Sinn, dass ich ein solches Gelübde ablege. Wenn ich jetzt ein solches Gelübde ablege: Ich werde jetzt zwei Monate lang keine Süßigkeiten essen. Würde ich auch hinkriegen, ich hab so was schön öfters gemacht, das wär eine sinnvolle Vrata. Aber es wäre jetzt auch nicht sinnvoll, wenn ich sagen würde: „Von heute an esse ich gar nichts mehr.“ Oder ich sage: „Von heute an meditiere ich sechs Stunden am Stück.“ Im besten Fall kriege ich ein schlechtes Gewissen, im schlimmsten Fall halte ich’s durch und breche mir alle Knie.

Das führt nur dazu, dass ihr die Lust verliert. Man muss in dem Maße üben, wie es einem selbst entspricht. So sollte man passende Vorsätze fassen. Es ist durchaus gut, sich Vorsätze zu fassen. Der Swami Vishnu hat uns gerne gefragt: Wisst ihr, warum man Vorsätze fasst? Um sie zu brechen. Warum? Vorsätze zu fassen für etwas, was einem leicht fällt, macht keinen Sinn. Ich habs noch nie geschafft, mehr als zwei Schlucke Wein über die Lippen zu bringen, da wurd mir immer übel. Was mir in der Schulzeit immer ein böses Auslachen der anderen gebracht hat, aber es ging einfach nicht. Von daher besteht hier keine Rückfallgefahr. Also wenn man sich einen Vorsatz fasst, dann sollte das was sein, was realistisch zu machen ist, aber was doch auch nicht ganz so leicht fällt. Und der Swami Vishnu hat noch gesagt, wenn man sich einen Vorsatz fasst, dann sollte man gleich eine Konsequenz einbauen, falls man sich nicht an den Vorsatz hält. Ihr kennt das vielleicht von eurer Kindheit noch. Gute Eltern haben gesagt: „Das darfst du nicht machen, und wenn du später nach Hause kommst, dann . . .“ – fruchtete nichts, dann sind sie nicht konsequent gewesen – dann kann man zB. sagen: „Am nächsten Morgen gibt’s kein Frühstück.“ Gut, da könnt ihr euch was Passendes einfallen lassen. Gut, dann

– durch schlechte Gesellschaft.

Was ist schlechte Gesellschaft? Müsst ihr selbst entscheiden. Im engsten Sinne ist schlechte Gesellschaft, wenn ihr in der Umgebung seid von Mafiosi, die alle drogensüchtig sind und jeden Tag jemand anders umbringen. Das ist sehr schlechte Gesellschaft, und diese Gesellschaft ist nicht so sehr geeignet, um Yoga zu praktizieren. Nur ob wir in schlechter Gesellschaft noch lange Yogis sein werden, ist eine andere Frage. Es hängt jetzt von der eigenen Stärke ab. Und genau so auch – vorher wurde von zu viel reden gesprochen. Es nutzt auch nichts, zu viel mit so Leuten zu diskutieren. Oft machen die einem dann mehr Zweifel, als dass man sich inspirieren lässt. Man muss schauen, wem kann man was sagen und mit wem kann man über was sprechen. Wir brauchen nicht der Mülleimer von anderen Menschen zu sein, wir brauchen nicht der – Swami Sivananda hat gesagt, mental gymnastics machen, geistige Gymnastiken mit ständiger Diskussion, überhitzten Diskussionen, ist alles überflüssig. Anderen helfen zu wollen, anderen dienen zu wollen, gut, und damit seinen ständigen Broterwerb zu tätigen, das ist alles gut.

Der Aristoteles hat gesagt: wir sind ein zoon politicon econ. Der Mensch ist ein zoon politicon, das heißt ein geselliges Wesen. Viele Menschen würden sich als unpolitisch bezeichnen, aber das ist nur unvollständig. Politik ist das, was die Geselligkeit des Menschen regelt. Also wir sind ein geselliges Wesen. Und econ hat er such gesagt: vernunftbegabt. Nicht ein vernünftiges, wohlgemerkt. Die Biologen haben uns zwar als homo sapiens sapiens bezeichnet, das heißt, der doppelt kluge Mensch. Aber wenn wir uns die Menschen angucken, so doppelt klug sind sie nicht. Aber wir sind vernunftbegabt. Wir könnten die Vernunft einsetzen, wenn wir wollten. Man kann sich das so überlegen: Man kann die Vernunft einsetzen, es ist möglich. Zu Unrecht wird in spirituellen Kreisen die Vernunft manchmal etwas abgewertet. Und es wird manchmal behauptet, in unserer Gesellschaft würde die Vernunft entwickelt und die Emotion nicht. Meine Behauptung ist: Weder die Vernunft noch das Herz wird entwickelt. Wenn man sich die Welt anschaut, was dort gemacht wird, ist das vernünftig? Wenn man sich eine Speisekarte anguckt, ist das vernünftig? Wenn wir uns angucken, wie Menschen ihr Leben verbringen, ist das vernünftig? Aber wir sind vernunftbegabt. Ich kann euch mal erzählen, ich habe mal auf einem ganz anderen Gebiet so ein Schlüsselerlebnis gehabt. Ich hatte unglücklicherweise keinen Vater, der wie Väter es normalerweise machen, mir beigebracht hätte, wie man mit Hämmern und Schraubenziehern usw. umgeht. Die Mutter hat uns beigebracht, wie man mit Staubsauger und Klobürste umgeht. Man Vater hat zwar mit uns Fußball gespielt, aber Handwerker war er nicht. Und so hab ich lange die Schwierigkeit gehabt, wenn irgendwo in einem Yogazentrum was zu tun war, war ich reichlich hilflos. Und das ist etwas schwierig. Ich hab festgestellt, Frauen haben es da manchmal leichter. Wenn die hilflos wirken, dann finden die manchmal Männer, die für sie im Haus etwas richten. Ich hatte dort große Schwierigkeiten gehabt, jemand zu finden. Und dann hat mir mal jemand was ganz Banales gesagt. Er hat mir ne Aufgabe gegeben. Da hab ich gesagt: Ich kann das nicht. Ich bin kein Handwerker. Da hat er gesagt: Du musst nur deine Logik verwenden. Und dann geht das schon. Das war so ein Schlüsselerlebnis. Ich hab gedacht, alles ist logisch. Und tatsächlich, anschließend konnt’ ich Einiges reparieren, mehr oder weniger gut. Es ist mir dann sogar gelungen, im Frankfurter Zentrum einige Lampen einzubauen, weil ich mir überlegt habe, wie es logisch ist. Da habe ich heroische Heldentaten gekonnt. Das kann man auf vielen Ebenen anwenden, diese Logik. Zu viele Menschen machen sich zu schnell eine Blockade im Kopf, denken, das kann ich nicht, das geht nicht, aber Vieles geht, in dem man einfach seine Vernunft einsetzt. Gut, aber ich wollte eigentlich von der schlechten Gesellschaft sprechen. Zoon politicon – wir sind ein geselliges Wesen. Das, was die Menschen denken, mit denen wir zu tun haben, davon werden wir ohne Zweifel beeinflusst. Das ist ganz einfach. Daher ist es so wichtig, was wir jetzt im Moment tun, nämlich Satsang.

Man braucht natürlich auch was für seine Emotionen, aber um so wichtiger ist es, öfters mal in eine spirituelle Gemeinschaft zu kommen, Satsangha zu pflegen. Im engeren Sinne ist das Meditationen, Mantras singen und Vortrag. Im weiteren Sinne heißt Sangha Zusammenkunft mit Sat, mit Menschen, die nach der Wahrheit streben. Und dann wird dieser Teil in uns stärker. Und wenn wir mit Menschen zusammen sind, die andere Ideale haben, dann wird dieser Teil stärker. Jetzt können wir in unserer Gesellschaft nicht gänzlich die Gegenwart von Menschen meiden, die nicht spirituell sind, noch wäre das übermäßig ratsam. Aber es ist durchaus eine Hilfe auf dem Weg. Und das ist gut, das öfters zu pflegen.

Die Kinder werden sehr stark davon beeinflusst, mit wem sie in die Schule gehen. Ich habe es in fast allen Yogafamilien festgestellt: Die Kinder, die sehr yogisch großgezogen werden, leben dann vegetarisch, spielen Harmonium, singen Jaya Ganesha, machen wunderbare Asanas, die sehen ganz glücklich und zufrieden aus. Wenn die zwölf, dreizehn sind, dann wollen die mit Yoga nichts mehr zu tun haben. Dann wollen die machen, was die anderen auch machen. Gut, und da typischerweise Yogaeltern tolerante Eltern sind, verbieten die das auch nicht, und mit einem Seufzen unterstützen sie dann die Kinder in dem, was sie machen. Wenn man yogische Kinder yogisch großziehen will, brauchen sie auch andere yogische Kinder, das ist ganz banal und ganz einfach.

– und durch Unbeständigkeit.

Unbeständigkeit heißt? Heute machen, morgen nicht machen. Manche Menschen üben ein Jahr, und dann ein Jahr nicht. Und dann machen sie ein paar Monate ganz viel, und dann ein paar Wochen nichts. Auf Englisch heißt das: rolling stone gathers no mose. Wie sagt man auf Deutsch? Rollender Stein sammelt kein Moos, das klingt nicht übermäßig gut. Ist aber logisch, oder? Auch Moos im übertragenen Sinne. Also, wir müssen beständig sein. Jetzt dürfen wir das mit der Beständigkeit auch nicht missverstehen. Das heißt nicht, dass wir für den Rest des Lebens jeden Tag das Gleiche machen. Ich halte das für eine gewisse Falle. In unserer modernen Gesellschaft ist es wahrscheinlich keine Falle, die realistisch ist. Wer hat solch ein Leben, dass er über Jahre hinweg das Gleiche machen könnte. Aber es wäre auch nicht gut, weil’s dann zur Gewohnheit wird. Es ist gut, eine Grundpraxis zu haben, einen Minimalpraxis, die man jeden Tag macht bis zur Selbstverwirklichung. Und auf dieser Grundpraxis aufgebaut gibt es Phasen, wo man mehr übt, und Phasen, wo man weniger übt. Da gibt’s son Wochenende für die meisten so wie jetzt, wo man mehr übt, und dann wieder ein paar Wochen, wo man weniger übt.

Es ist schon gut, wenn es Phasen gibt, wo ihr intensiver übt. Nur sollte man auch nicht die Praxis gänzlich lassen. Es sollte immer so eine Grundpraxis geben, die man täglich macht. Patanjali sagt es auch so: Eine Praxis sollte sein Dirgakala, Nairantarya und Sakshatkara Dirgakala – über eine lange Zeit. Nairantarya – ohne Unterbrechung, und Sakshatkara – mit aufrichtiger Hingabe und Enthusiasmus. So kann man praktizieren. Dann gibt es beständigen Fortschritt. Ein großes Hindernis bei all dem ist die Alles-oder-Nichts-Philosophie. Ich werde nicht müde, das immer wieder zu erwähnen. Manche Mitarbeiter sagen: „Jetzt fängt er schon wieder an.“ Manche Menschen sagen: „Entweder, ich habe eine Stunde Zeit für die Asanas, oder ich mache gar nichts.“ So eine Analogie: Meine Mutter hat immer gesagt: „Entweder richtig oder gar nicht.“ Was in diesem Universum kann man richtig machen? Ich habe noch nichts entdeckt. Jede Asana könnte man besser machen, jede Meditation könnte besser sein, dann wäre man nämlich selbstverwirklicht. Jedesmal, wenn man mit Menschen spricht, könnte man noch herzlicher, noch liebevoller, noch strikter und gleichzeitig liebevoller sein – es geht immer etwas besser. Vielleicht war es in der früheren Zeit mal möglich, das Optimale zu machen.

Ich muss gerade eine Geschichte erinnern. Eine Geschichte von einem Ingenieur. Der ging mal in ein Dorf, um da ein paar Wochen zu arbeiten, Elektrizität aufzubauen. Und in der Zeit ging er auch zu einem Dorfschneider und bat ihn, ihm einen Anzug zu machen. Nach einem Monat wollte der Ingenieur nach Hause gehen und den Anzug abholen. Der Schneider sagte: „Der Anzug ist noch nicht fertig.“ Zwo Monate später kam der Ingenieur wieder, und der Schneider sagte: „Noch nicht fertig.“ Ein Jahr später kam der Ingenieur wieder, und er hatte den Anzug schon vergessen, da kam der Schneider und hat ihm den Anzug gebracht. Da sagte der Ingenieur: „So lange hast du gebraucht. Gott hat die Welt in sechs Tagen geschaffen.“ Da lächelte der Schneider, liebevoll strich er um den Anzug und sagte: „Schaut euch den Zustand dieses Anzugs an, und schaut euch den Zustand der Welt an.“

Auf einer anderen Ebene ist die Welt aber vollkommen. Es gibt dafür so einen Beweis, den hat Leibniz mal gebracht. Der hat gesagt: „Damit eine solch große Welt überhaupt in die Existenz kommen konnte, dazu bedarf es eines Demiurgen, eines Schöpfers, der so wahnsinnig intelligent ist. Und wenn der so wahnsinnig intelligent ist, dann wird er auch die bestmögliche aller Welten schaffen. Also leben wir in der bestmöglichen aller Welten.“ Der Kant hat zwar nachher gesagt, dass das ein Zirkelschluss sei, aber das sei an einer anderen Stelle besprochen. Aber da wir nicht mehr in der Zeit sind von diesen alten Schneidern, die vielleicht ausreichend Zeit hatten, auch zufrieden waren mit dem kleinen Häuschen ohne Heizung, ohne Fenster, mit zehn Kindern und der Frau, alle in einem Bett klassischerweise, ist es allgemein im Leben nicht mehr möglich, irgendetwas Vollkommenes zu machen, wenigstens wenig kann man nur noch fast vollkommen machen – die Yogapraxis auch nicht. Und so sollte man seine Minimumpraxis jeden Tag machen und ansonsten tun, was man kann. Und nicht vergessen, ab und zu mal zu intensivieren.

Es gibt übrigens zwei gute Zeitpunkte, um die Praxis zu intensivieren. Zum Einen, wenn man große Lust drauf hat. Und zum Zweiten, wenn man überhaupt keine Lust drauf hat. Wenn die Praxis überhaupt nicht mehr inspiriert ist, dann braucht man so einen Kickstart. Also einen Tritt in den Hintern kann man auch sagen. Und wenn man’s allein nicht schafft, was macht man dann? Man kommt ins Haus Yoga Vidya und fasst den festen Entschluss, man haut nicht ab. Auch deshalb, auch typischerweise, wenn man keine Lust hat, dann hat man’s ja vorher schleifen lassen oder mechanisch gemacht. Und wenn man dann in eine spirituelle Umgebung kommt, kommen alle möglichen Unreinheiten heraus, und nach einem Tag hat man nur einen großen Wunsch, nämlich: Weg! Es nervt einen alles. Ich kann mich erinnern, ich habe in einem Yogazentrum gewohnt, aber ich war noch Student an der Uni, und hatte gerade meine Diplomarbeit geschrieben. Und dadurch hatte ich die Yogapraxis auf mein Minimum, reduziert. Was durchaus eine regelmäßige Praxis war, aber nicht mehr so wie vorher mehrere Stunden. Nun hat mir die Zentrumsleiterin geraten, ich solle mir vorher einen Flug buchen in den Ashram, und zwar einen nicht zurückgebbaren Flug. Ich war damals ein gehorsamer Schüler, habe die Vorschläge angenommen und habe das also auch gemacht. Und als ich das Ende der Diplomarbeit erreicht hatte – es war sogar eine Diplomarbeit mit einem yogischen Thema: Determinanten der Arbeitsmotivation in indischer und westlicher Psychologie – da habe ich also alle möglicher Rajayogabücher gelesen dafür. Aber Lesen ist eine, Praktizieren ist eine andere Sache. Und so war ich doch etwas mit meinem Geist in einer anderen Welt, in der akademischen Welt gewesen, und ich hab gedacht, ich brauch jetzt Ruhe, nicht in diesen Ashram, noch dazu hab ich mich dort als Mithelfer gemeldet. Und wenn ihr denkt, dass das hier Chaos ist, dann wart ihr noch nicht in dem Ashram gewesen. Das hat damit angefangen, als ich ankam, wusste keiner, dass ich kommen würde. Es war zwar vom Zentrum her angesagt, und geschrieben, die Zentrumsleiterin hat sogar noch telefoniert. Und da hab ich die erste Nacht oben an der Rezeption verbracht, und die zehn Tage da hab ich jede Nacht woanders geschlafen. In zehn Tagen hab ich 14 verschiedene Betten gehabt, wo ich meinen Schlafsack reingesteckt habe, es war also schon schlimm genug, Und dann kam dazu, ich wollte ja zum Swami Vishnu, der hatte eine Erkältung gehabt und war drei Tage lang nicht da. Und, fand ich, der dort die Vorträge gegeben hat, da brauchte ich auch nicht hin. Gut, jedenfalls nach einem Tag wollte ich sowieso abreisen, aber ich blieb, und nach sechs Tagen gings mir richtig gut. Wenn ich vorher abgereist wäre, hätt ich den Dreh vielleicht nicht gekriegt. Aber nach zehn Tagen, trotz 14 Mal umziehen, nach fünf Tagen hatte ich mich dran gewöhnt, habe ich nur noch lachen müssen. Wenn dann der Rudra mir gesagt hat: „Sukadev, I think you have to move again“, dann wurd’s schon lustig. Und ich hab geemerkt, all das waren die Aufgaben, die im Ashram zu machen waren. Es war so gut, wie es war, es war genau richtig, es war das, was ich lernen musste, und ich hatte dann die letzten Tage mehr Zeit gefunden zu meditieren. Also eine gewisse Beständigkeit ist notwendig, und dann ab und zu mal intensivieren. So, jetzt hat er gesagt, wodurch wir zugrunde gehen. Er sagt uns aber auch noch, wodurch wir Fortschritte erzielen.

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