Kapitel 3, Vers 31

Deutsche Übersetzung:

Durch samyama auf die Kehlhöhle hören Hunger und Durst auf.

Sanskrit Text:

kanṭha-kūpe kṣutpipāsā nivṛttiḥ ||31||

कन्ठकूपे क्षुत्पिपासा निवृत्तिः ॥३१॥

kantha kupe kshutpipasa nivrittih ||31||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • kaṇtha = Kehle
  • kūpa = Höhle, Brunnen, Loch, Grube
  • kṣudh = Hunger
  • pipāsā = Durst
  • nivṛttiḥ = Aufhören

Kommentar

Sich regelmäßig auf die Höhlung unterhalb des Kehlkopfes zu konzentrieren – vielleicht auch eine Methode, eine Schlankheitskur zu begleiten!

Interessant ist: In diesem Bereich liegt ja auch die Schilddrüse. Und die Schilddrüse steuert den Metabolismus, den Stoffwechsel des Körpers, und auch den Appetit. Indem man sich darauf konzentriert, kann sich die Schilddrüsenfunktion verändern.

Patanjali geht sogar so weit zu sagen, daß Hunger- und Durstgefühl ganz schwinden können.

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Kapitel 3, Vers 32

Deutsche Übersetzung:

Durch samyama auf kûrma-nadi (feinstofflicher Rückenmarkskanal) wird Festigkeit erlangt.

Sanskrit Text:

kūrma-nāḍyāṁ sthairyam ||32||

कूर्मनाड्यां स्थैर्यम् ॥३२॥

kurma nadyam sthairyam ||32||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • kūrma = Schildkröte
  • nāḍyām = Energiekanal
  • Kūrma-Nāḍī = Energie-Kanal am Brustbein oder entlang der Wirbelsäule je nach Schrift
  • sthairyam = Festigkeit, Stabilität

Kommentar

Die Schildkröten-Nadi ist letztlich die gleiche wie die sushumna (feinstofflicher Kanal in der Wirbelsäule). Wenn wir das prana (Lebensenergie) in der sushumna beherrschen, erlangen wir Festigkeit. Insbesondere Menschen, die körperlich, emotionell oder geistig labil sind, können mit Konzentration auf die Wirbelsäule als Ganzes eine gute Stabilität erreichen.

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Kapitel 3, Vers 33

Deutsche Übersetzung:

Durch samyama auf das Licht am Scheitel des Kopfes erhält man die Vision vollkommener Meister.

Sanskrit Text:

mūrdha-jyotiṣi siddha-darśanam ||33||

मूर्धज्योतिषि सिद्धदर्शनम् ॥३३॥

murdha jyotishi siddha darshanam ||33||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • mūrdha = Scheitel, höchster Punkt im Körper
  • jyotiṣi = Licht
  • siddha = vollkommene Wesen, Meister im Besitz überirdischer Kräfte, Siddhas
  • darśana = Vision, Schau, Kontakt

Kommentar

Siddhas sind vollkommene Wesen, große Meister, die uns weiter segnen, auch nachdem sie ihren Körper verlassen haben. Es gibt eine Tradition, in der manche Meister, wenn sie fast selbstverwirklicht waren, sich entschieden haben, nicht ganz mit brahman (das Absolute) zu verschmelzen, sondern statt dessen auf subtile Weise weiter zu existieren, um Menschen inspirieren zu können. Diese werden siddhas genannt. Hanuman zum Beispiel gilt als einer der bekanntesten, auch Dattatreya, Gorakhnat und verschiedene Hatha-YogaMeister. Und es heißt, immer wenn ein ernsthafter Aspirant, ein Schüler auf dem spirituellen Weg, in Schwierigkeiten ist und um Hilfe bittet, sind diese siddhas da, um ihm zu helfen. Wenn wir uns in einer solchen Situation auf das Licht am Scheitel des Kopfes konzentrieren, kann es passieren, daß wir sie tatsächlich sehen.

Dieser Vers ist auch ein Hinweis darauf, daß wir die Gnade der Meister spüren können, indem wir uns vorstellen, daß Licht von oben in uns hineinströmt. Dadurch bekommen wir tatsächlich die Gnade der Meister. Wir können uns den Meister im Geist auch vorstellen, wie er über uns ist, wie er uns segnet, die Hand hochhält, die Hand auflegt, uns anschaut und Licht schickt oder – für Menschen im Westen nicht unbedingt eine geeignete Vorstellung –, daß er die Füße über uns hält. Letzteres hat den Hintergrund, daß der Meister ein Kanal göttlicher Energie ist und die Energie über seine Füße weitergibt. Es kann aber auch ausreichen, sich einfach Licht oberhalb des Scheitels vorzustellen, und plötzlich ist diese Vision da, der Meister ist da.

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Kapitel 3, Vers 34

Deutsche Übersetzung:

Aus Intuition kommt alles Wissen.

Sanskrit Text:

prātibhād-vā sarvam ||34||

प्रातिभाद्वा सर्वम् ॥३४॥

pratibhad va sarvam ||34||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • prātibhā = von Intuitivem (Wissen)
  • vā = oder
  • sarvam = alles, jedes

Kommentar

Das ist ein Generalvers, der anschließend näher ausgeführt wird.

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Kapitel 3, Vers 35

Deutsche Übersetzung:

Durch samyama auf das Herz kommt Verstehen des Geistes.

Sanskrit Text:

hrḍaye citta-saṁvit ||35||

ह्र्डये चित्तसंवित् ॥३५॥

hrdaye chitta sanvit ||35||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • hṛdaya = Herz
  • citta = das Wandelbare des Menschen, Verstand, Geist
  • saṁvit = Verstehen, Wahrnehmung, genaues Wissen

Kommentar

Nicht über den Intellekt, sondern über das Herz können wir den Geist auf intuitive Art verstehen. Wenn wir einen anderen Menschen verstehen wollen, muß das Herz dabei sprechen. Und wenn wir uns selbst verstehen wollen, auch.

Wenn es einem schwerfällt, sich auf den Geist eines anderen Menschen zu konzentrieren, weil man ihn sich eben körperlich vorstellt, kann man versuchen, sich statt dessen auf das Herz zu konzentrieren. Wir können versuchen, uns von unserem Herzen her in den anderen hineinzuversetzen und so die Natur seines Geistes über das Herz zu erfassen. Oder wir können gleichzeitig unser Herz und das Herz des anderen spüren, uns darauf konzentrieren, dann stellen wir eine Herz-zu-Herz-Verbindung her, über die wir den anderen besser verstehen können.

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Kapitel 3, Vers 36

Deutsche Übersetzung:

Vergnügen kommt durch Nicht-Unterscheidung zwischen purusha und sattva, die doch ganz verschieden sind. Durch samyama auf die Interessen des Selbst statt auf die Interessen des Individuums kommt das Wissen um purusha (Seele).

Sanskrit Text:

sattva-puruṣāyoḥ atyantā-saṁkīrṇayoḥ pratyayāviśeṣo-bhogaḥ para-arthat-vāt-sva-arthasaṁyamāt puruṣa-jñānam ||36||

सत्त्वपुरुषायोः अत्यन्तासंकीर्णयोः प्रत्ययाविशेषोभोगः परार्थत्वात्स्वार्थसंयमात् पुरुषज्ञानम् ॥३६॥

sattva purushayoh atyanta sankirnayoh pratyayavishesho bhogah para arthat vat sva arthasanyamat purusha jnanam ||36||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sattva = Reinheit, eine der drei Gunas, physische Welt
  • puruṣa = Bewusstsein, Selbst, Seele, das wahre Selbst, der unveränderliche Aspekt des Menschen
  • atyantā = äußerst, besonders, sehr
  • a-saṁ-kīrṇayoḥ = nicht verbunden, verschieden, unvermischt
  • pratyayaḥ = Bewusstseinsinhalt, Gedanke, Wahrnehmung, Mentaler Eindruck
  • aviśeṣaḥ = Nicht-Unterscheidung, Nicht-Objekt, Nicht-Thema
  • bhogaḥ = Vergnügen, Genießen
  • para = äußeres, extern
  • artha = Interesse, Wunsch, Ziel
  • vāt = statt
  • sva = eigenes
  • artha = Interesse, Wunsch, Ziel
  • saṁyama = tiefe Versenkung, Meditation
  • puruṣa = Bewusstsein, Selbst, Seele, der unveränderliche Aspekt des Menschen
  • jñāna = Wissen, Verständnis, Erkenntnis

Kommentar

Jetzt geht Patanjali tiefer.

Es gibt die verschiedenen Eigenschaften (gunas) in uns: sattva, rajas und tamas. Wenn wir uns träge und müde fühlen, überwiegt tamas. Wenn wir sehr unruhig sind, ist rajas vorherrschend, und wenn wir sehr ruhig und ausgeglichen sind, ist hauptsächlich sattva da. Auch wenn wir uns über etwas freuen, überwiegt sattva. Denn die Eigenschaft von sattva ist Freude. Und selbst eine sinnliche Freude, wie es hier mit bhogah gemeint ist, kommt letztlich aus sattva heraus. Wir identifizieren uns mit diesem Gefühl der Freude, also mit sattva, und haben deshalb den Eindruck, dieses oder jenes Objekt hat mir Vergnügen gegeben.

Aber das ist nur ein Irrtum. Denn wir vergessen zu unterscheiden zwischen purusha und sattva. Sattva spiegelt die Freude des Selbst wider; purusha, das Selbst, ist Freude an sich. Zur Erkenntnis des purusha gelangen wir, indem wir samyama ausführen auf die Interessen des Selbst statt des Individuums.

Man könnte es auch als Gebet formulieren: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“

Man könnte auch darüber meditieren: „Was wäre im Interesse meines wahren Selbst?“

Immer wenn man in einer Situation nicht weiß, was ist jetzt das Richtige, was soll ich tun, dann kann man mit dieser Frage anfangen: Was liegt im Interesse meines individuellen Selbst, auf der Ebene, wo ich alles Mögliche haben will, Sicherheiten brauche u.s.w., und was wäre im Interesse meines höheren Selbst? Wenn wir darüber meditieren, lernen wir, uns nicht mehr mit unseren Interessen als Individuum, als diese eine körperliche Erscheinungsform, zu identifizieren mit ihrem individuellen Denken, Gemüt und Emotionen, sondern statt dessen mit dem, was unser tieferes Selbst sagt.

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Kapitel 3, Vers 37

Deutsche Übersetzung:

Daraus entstehen intuitives Hören, Fühlen, Sehen, Schmecken und Riechen.

Sanskrit Text:

tataḥ prātibha-srāvāṇa-vedana-ādarśa-āsvāda-vārtā jāyante ||37||

ततः प्रातिभस्रावाणवेदनादर्शास्वादवार्ता जायन्ते ॥३७॥

tatah pratibha sravana vedana adarsha asvada varta jayante ||37||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tataḥ = daher, davon
  • prātibha = intuitiv, Essenz
  • śrāvaṇa = Gehör
  • vedana = Fühlen
  • ādarśa = Sehen
  • āsvāda = Schmecken
  • vārtā = Geruch, riechen
  • jāyante = erzeugt, geboren, geht hervor, entsteht

Kommentar

Swami Vishnu gibt in seinem Kommentar zu diesem Vers noch ein kosmisches Gesetz an, das wir auch schon kennengelernt haben, nämlich das Gesetz der Entsagung. Wenn wir einer Sache wirklich vom Herzen her entsagt haben – nicht aus Egoismus, um zu zeigen, wie großartig wir sind, worauf wir alles verzichten können, auch nicht aus einer Laune heraus –, sondern für Gott, für das Selbst, für das, was wir von innen heraus spüren, was getan werden muß – wenn wir das tun, dann kommt alles im Überfluß auf uns zu. Wir bekommen sowohl äußere Dinge, die wir brauchen oder haben wollen, als auch Intuition, geistige Kräfte, u.s.w. Wenn wir geistigen Kräften hinterherrennen, bekommen wir durch Übung zwar auch eine gewisse Meisterschaft, aber eigentlich gerade dann, wenn wir sie vermeiden, kommen sie.

Patanjali sagt also hier, wenn es uns nur um das Höhere Selbst geht, bekommen wir intuitives Gehör, Blick, Geschmack und Geruch und letztlich auch feineres Gefühl.

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Kapitel 3, Vers 38

Deutsche Übersetzung:

Für samadhi sind diese (Fähigkeiten) Hindernisse; für den nach außen Gerichteten sind sie übernatürliche Kräfte.

Sanskrit Text:

te samādhav-upasargā-vyutthāne siddhayaḥ ||38||

ते समाधवुपसर्गाव्युत्थाने सिद्धयः ॥३८॥

te samadhav upasargah vyutthane siddhayah ||38||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • te = sie, diese, jene
  • samādaui = für die in Samadhi, für Erleuchtete, für die, die Erkenntnis schon erlangt haben
  • upasargā = Hindernis, Nebenwirkung, nebensächlich
  • vvyutthāna = für die auf dem Weg, für die nach Äußerem strebenden, materiell orientierte Menschen
  • siddhayaḥ = Kräfte

Kommentar

Hier warnt er uns. Die verschiedenen Kräfte, die kommen, sind eigentlich Hindernisse. Übernatürliche Visionen, die man sehen kann, übernatürliche Dinge, die man hören kann – man spricht gemeinhin von hellsichtig, aber das gilt für alle Sinne, es gibt hellsehen, hellhören, hellriechen, hellschmecken – erscheinen der Welt als Kräfte und daher auch als erstrebenswert, aber sie sind Versuchungen. Es gibt ja alle möglichen Seminare, wo man Hellsichtigkeit und verschiedenes anderes erlernen können soll. Aber all das sind Hindernisse, oder man kann auch sagen, es sind Zerstreuungen, Ablenkungen vom eigentlichen spirituellen Weg und Ziel. Die Menschen sind dann nur noch daran interessiert, Auras zu sehen, ihren physischen Körper zu verlassen, Bilder, Lichter zu sehen, irgendwelche übersinnliche Erfahrungen zu machen u.s.w. Das hält einen auf einer Zwischenebene, statt daß man zum eigentlichen Ziel, der Einheit mit dem Absoluten, weiter voranschreitet. Es kann sogar gefährlich sein, sich in der Astralwelt zu verlieren. Wenn man nicht ganz gefestigt ist, kann man letztlich von Astralwesen beherrscht werden. Es kann sein, daß niedere Astralwesen einem Energie wegsaugen und daß die spirituelle Kraft, ojas, die man durch jahre-, vielleicht jahrzehntelange spirituelle Praxis angesammelt hat, relativ schnell verschwindet.

Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Wenn man zu samprajnata samadhi kommt, entsteht so etwas wie absolute Macht. Da muß man sich vor Machtmißbrauch hüten.

Ungeachtet dessen, daß er uns davor warnt, fährt Patanjali fleißig fort, uns andere siddhis zu erklären:

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Kapitel 3, Vers 39

Deutsche Übersetzung:

Ist die Ursache der Bindung gelockert, und sind die Kanäle bekannt, kann der Geist in den Körper eines anderen eintreten.

Sanskrit Text:

bandha-kāraṇa-śaithilyāt pracāra-saṁvedanācca cittasya paraśarīrāveśaḥ ||39||

बद्न्हकारणशैथिल्यात् प्रचारसंवेदनाच्च चित्तस्य परशरीरावेशः ॥३९॥

bandha karana shaithilyat prachara sanvedanachcha chittasya parashariraveshah ||39||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • bandha = Bindung, Fesseln, hier die Bindung an den physischen Körper
  • kāraṇa = Ursache, Grundlage
  • śaithilya = durch die Lockerung, Lösung, Lockerheit
  • pracāra = Durchgänge, Kanäle, feinstoffliche Energie-Kanäle
  • saṁvedana = vom Wissen über
  • ca = und
  • citta = Geist
  • para = von einem anderen
  • śarīra = Körper
  • āveśa = Eingang, Zugang

Kommentar

Hier beschreibt Patanjali also, wie man seinen eigenen Körper verlassen und in den Körper eines anderen eintreten kann. Die Technik ist, daß man aufhören muß, sich an seinen eigenen Körper zu verhaften, sich mit seinem eigenen Körper zu identifizieren. Wenn wir erst einmal erkennen: Ich bin nicht der Körper, dazu noch die nadis (Energiekanäle) kennen und spüren, dann können wir durch bestimmte nadis mit unserem Astralkörper unseren physischen Körper verlassen und in den Körper eines anderen eintreten.

Wir können diesen Vers aber auch für etwas Freundlicheres benutzen, als den Körper eines anderen einzunehmen. Wir können uns nämlich in einen anderen Menschen hineinversetzen, was wiederum eine positive Eigenschaft eines spirituellen Aspiranten ist. Und dazu ist auch eine Voraussetzung, daß wir die Ursache der Bindung ausschalten.

Viele Menschen sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie sich nicht oder nur sehr wenig in einen anderen hineinversetzen können. Sie sind nur in sich selbst verliebt oder verstrickt oder im Konflikt mit sich selbst. Alles, was darüber hinausgeht, ist für sie nicht so wichtig. Viele Menschen können nicht zuhören. Sie warten nur darauf, daß sie unterbrechen und ihren eigenen Kommentar dazugeben können.

Anders erreicht man aber viel mehr: Wenn beispielsweise in einer Yogastunde ein Schüler ein ganz bestimmtes Problem hat und den Yogalehrer fragt, gibt es, wie wir von Patanjali schon wissen, verschiedene Möglichkeiten: Er kann die Frage an Gott weitergeben: Bitte, lieber Gott, sag mir, was ich diesem Schüler raten soll, oder lieber Swami Sivananda, du hast mir diesen Schüler gebracht, hilf mir, die richtige Antwort zu finden. Und plötzlich weiß man die Lösung.

Die andere Möglichkeit, auf die dieser Aphorismus jetzt zielt, wäre, sich ganz in den Menschen hineinzuversetzen, ihn ganz zu spüren, von innen heraus. Dann kommt auch ein bestimmtes Wissen darüber, was ihm helfen kann. Wenn wir uns wirklich vollständig in den Menschen hineinversetzen, können wir auf diese Art sogar heilen. Aber damit sollte man nun wieder vorsichtig sein. Denn das kann Kräfteverbrauch bis zur Kräfteverschwendung oder Mißbrauch der höheren Kräfte sein. Wir sollen nicht durch die Gegend laufen und ständig durch unser prana und unsere Willenskraft andere Menschen heilen. Wir können ruhig als Instrument des Göttlichen fungieren und dem anderen Menschen Energie schicken, aber nicht in Kombination mit dieser Technik, sich in den anderen Menschen, in seine Krankheit, hineinzuversetzen, ihn von innen heraus zu spüren und dann von innen heraus diese Krankheit zu heilen. Das wäre ein unzulässiger Eingriff in das Gesetz des karma.

Auch wenn man einmal Streit mit jemand hat, sich mit jemandem nicht mehr so gut versteht oder nicht mehr so gut zusammenarbeitet, kann es sehr helfen, sich in ihn hineinzuversetzen.

Als nächstes können wir lernen, wie man Levitation übt.

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Kapitel 3, Vers 40

Deutsche Übersetzung:

Durch Meisterung des udana entsteht die Fähigkeit, nicht von Wasser, Schmutz, Dornen etc. berührt zu werden sowie Levitation.

Sanskrit Text:

udāna-jayāat jala-paṇkha-kaṇṭakādiṣv-asaṅgo-‚tkrāntiśca ||40||

उदानजयाअत् जलपण्खकण्टकादिष्वसङ्गोऽत्क्रान्तिश्च ॥४०॥

udana jayaat jala pankha kantakadishv asango ‚tkrantischa ||40||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • udāna = eines der fünf Prânas, Lebensströme
  • jayāt = Meisterung
  • jala = Wasser
  • paṇkha = Moor, Sumpf, Schlamm
  • kaṇṭaka = Dornen
  • ādiṣu = und so weiter, und andere
  • asaṅgaḥ = kein Kontakt, Unberührbarkeit
  • utkrānti = aufwärts steigen, nach oben fliegen, leicht sein
  • ca = und

Kommentar

Die Verse im dritten Kapitel geben jeweils Techniken für bestimmte Kräfte an. Gleichzeitig sind sie auch mantras. Durch die Wiederholung des mantras mit voller Konzentration und Glauben an seine Macht entfalten sich die durch das mantra beschriebenen Qualitäten. Man kann also entweder die beschriebene Technik benutzen oder das mantra wiederholen. Dieses wäre also zum Beispiel das „Flugmantra“.

In diesem Vers besteht die Technik darin, udana zu meistern. Udana, die Energie hinter den Steuerungssystemen des Körpers, hinter dem Nervensystem, verantwortlich für Schlafen, Träumen, das Verlassen des physischen Körpers mit dem Astralkörper sowohl im Moment des Schlafens als auch bei der Meditation oder Tiefenentspannung als auch im Moment des Todes, ist eines der fünf Hauptpranas (siehe Kommentar zu II 38).

Und hier sagt Patanjali interessanterweise, durch Meisterung dieses udanas entsteht Levitation. Udana vayu ist, wie gesagt, dazu da, den physischen Körper zu verlassen, ist eigentlich mehr verantwortlich für den Astralkörper als für den physischen Körper. Von daher würde man eher dazu neigen anzunehmen, daß damit weniger die körperliche Levitation gemeint ist als vielmehr die Fähigkeit, mit dem Astralkörper den physischen Körper zu verlassen. Das wiederum ist eine Erfahrung, die viele Menschen schon gemacht haben. Wahrscheinlich haben etwa 20% aller langjährig Yoga und Meditation Übenden schon die Erfahrung gemacht, ihren Körper verlassen zu haben. Wer udana meistert, kann das bewußt herbeiführen.

Aber es mag sein, daß sich auch der physische Körper erheben kann. Ich habe das zwar noch nie erlebt, außer Hüpfen – aber Hüpfen ist eben Hüpfen und keine Levitation. Aber es gibt Beschreibungen, wo es manchen Menschen passiert sein soll. Dem Padre Pio soll das ab und zu mal geschehen sein. Und auch vom heiligen Franziskus gibt es Geschichten, nach denen er sich während des Gottesdienstes erhoben und plötzlich ein, zwei Meter über dem Boden geschwebt haben soll. Und von einem anderen Heiligen heißt es, er habe sich immer Backsteine oder Metall in die Taschen gesteckt, weil es ihm unangenehm war, während des Gottesdienstes zu schweben.

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