Kapitel 2, Vers 23

Deutsche Übersetzung:

Der Zweck der Verbindung von purusha und prakriti ist, daß purusha Bewußtsein seiner wahren Natur erlangt und die Kräfte erkennt, die in ihm und in prakriti liegen.

Sanskrit Text:

svasvāmi-śaktyoḥ svarūp-oplabdhi-hetuḥ saṁyogaḥ ||23||

स्वस्वामिशक्त्योः स्वरूपोप्लब्धिहेतुः संयोगः ॥२३॥

svasvami shaktyoh svarup oplabdhi hetuh sanyogah ||23||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sva = eigene, hier: das wandelbare, Chitta, Prakriti
  • svāmi = Meister, das wahre Selbst, Drashtu, Atma
  • śakti = Kraft, Energie, das wandelbare Selbst, Chitta
  • svarūpa = eigene Form, wahre Natur
  • upalabdhi = erfahren, hervortreten, sich zeigen
  • hetu = Ursache, Grund, Zweck
  • saṁyoga = Verbindung, Vereinigung, Identifikation

Kommentar

Purusha, das Selbst, das Bewußtsein, verbindet sich mit prakriti. Jeder einzelne von uns identifiziert sich mit einem Teil der prakriti, mit Körper und Geist, und anschließend kommt er wieder heraus. Nun kann man sich fragen, was macht das Ganze für einen Sinn. Warum sind wir überhaupt in die Identifikation, in das Leid gegangen? Verschiedene Philosophiesysteme geben verschiedene Antworten, sogar innerhalb des Yoga. Buddha sagte: Stelle diese Frage nicht, sie ist transzendent und kann mit dem Intellekt nicht beantwortet werden. Die vedanta-Philosophie sagt: Es macht keinen Sinn, so etwas zu fragen, denn es ist gar nichts passiert. Alles war und ist immer Bewußtsein. Die Vorstellung, wir seien im Leiden, ist nur eine Illusion. Die Frage: „Warum sind wir in der Identifikation?“ ist wie zu fragen: „Warum hat eine Krähe Zähne und was ist deren Zweck?“ Die Krähe hat keine Zähne, daher haben sie auch keinen Zweck, und es gibt auch keinen Grund dafür. Genauso ist es mit dem Universum. Es existiert nicht als etwas Getrenntes, ist einfach nur eine Illusion. Zu fragen, welchen Grund, welchen Sinn es haben soll, ist daher sinnlos. Diese Philosophie ist logisch, stringent, aber sie befriedigt einen nicht. Im Bhakti Yoga (Yoga der Hingabe) wird gesagt, das Universum ist lila, Spiel Gottes. Das befriedigt emotional, aber nicht intellektuell. Was wäre das für ein Gott, der spielen will?

Patanjali wählt hier einen Zwischenstandpunkt. Er sagt, purusha und prakriti kommen zusammen, damit purusha wieder das Bewußtsein seiner wahren Natur erlangt, indem er zunächst aus sich heraus- und nachher zu sich zurückkommt. Erst so erkennt er wirklich, wer er ist. Und außerdem erkennt er die Kräfte, die latent in ihm und in der prakriti liegen. Das Ganze hat also einen Sinn. Er kommt nachher zurück zu sich selbst, klüger als vorher. Das befriedigt uns emotional, ist aber logisch nicht ganz schlüssig. Denn wenn purusha tatsächlich reines Bewußtsein an sich ist, dann ist in diesem Bewußtsein alles Wissen immer schon vorhanden. Trotzdem, purusha geht aus irgendeiner avidya (Unwissenheit) heraus ins Universum hinein, und durch den Lebenszyklus erkennt er seine wahre Natur immer mehr. Er erkennt die Kräfte, die in ihm und in der prakriti liegen. In diese Identifikation hinein- und dann wieder hinauszugehen ist etwas Sinnvolles. Den meisten Menschen fällt es leichter, eine solche Erklärung und Sichtweise anzunehmen als die des vedanta.

Patanjali fährt fort:

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