Kapitel 1, Vers 32

Deutsche Übersetzung:

Zur Beseitigung dieser Hindernisse sollte man einen Aspekt der Wahrheit üben.

Sanskrit Text:

tat-pratiṣedha-artham-eka-tattva-abhyāsaḥ ||32||

तत्प्रतिषेधार्थमेकतत्त्वाभ्यासः ॥३२॥

tat pratishedha artham eka tattva abhyasah ||32||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tat = das
  • pratiṣedh = vermindern
  • artam = Inhalt, Sinn, Zweck
  • eka = ein
  • tattva = Prinzip, Wahrheit
  • abhyāsa = Übung

 

Kommentar

Er empfiehlt hier eigentlich die Ablenkung. Wenn man erkennt, es sind Hindernisse und ein verwirrter Geisteszustand da, braucht man nicht zu versuchen, zu analysieren und die Ursache herauszufinden, sondern sollte stattdessen seine Konzentration auf einen Aspekt der Wahrheit richten.

Aber er empfiehlt nicht die Ablenkung auf irgend etwas, also zum Beispiel, ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen, Achterbahn zu fahren, Bier zu trinken oder den Fernseher einzuschalten. Sondern er empfiehlt uns, über einen Aspekt der Wahrheit zu meditieren. So erheben wir den Geist wieder.

Wir haben schon darüber gesprochen, wie Krishna in der Bhagavad Gita mit Arjuna umgeht. Arjuna ist in großer Verzweiflung. Er weiß nicht, was er machen soll und zeigt alle Symptome eines verwirrten Geisteszustandes: geistigen Schmerz, Depression, er ist nervös und wirft die Waffen weg. Über seine Atmung wird zwar nichts ausgesagt, aber es ist anzunehmen, daß sie auch nicht ruhig und tief war. Arjuna ist in vollkommener Verzweiflung und paradoxerweise erzählt Krishna ihm als erstes von der Unsterblichkeit der Seele! Das ist notwendig und hilfreich. Und natürlich bleibt es nicht dabei, sondern anschließend erklärt er ihm alles mögliche.

Damit kann man nicht jedem kommen. Wenn du beispielsweise einen alten Bekannten von früher triffst, dem es schlecht geht, wird er wenig damit anfangen können, wenn du ihm sagt: „Mach dir nichts daraus, dein wahres Selbst ist unberührt, und überhaupt bist du Sein, Wissen und Glückseligkeit.“ Aber generalisieren kann man das auch nicht. Eine Psychotherapeutin unter den Seminarteilnehmern hat mir mal erzählt, sie hätte Menschen, die mit Yoga gar nichts zu tun haben, auch schon den Rat gegeben: „Egal, was passiert, irgend etwas in dir bleibt doch gleich, versuch das mal zu spüren. Diesen stillen Pol in dir gibt es, und er gibt dir Kraft. Versuche, zu diesem ruhenden Pol zu kommen, den es in aller Verzweiflung und in allen Emotionen gibt.“ Das kann helfen, daß Menschen dann besser zurechtkommen.

Wenn wir über einen Aspekt der Wahrheit meditieren, erheben wir den Geist. Ist der Geist erhoben, kann man anders arbeiten und die Probleme sind leichter zu lösen.

Im 2. Kapitel zählt Patanjali als Methoden zur Überwindung von Leiden und einem verwirrten Geisteszustand noch kriya yoga (yogische Reinigungstechniken), tapas (Askese), swadhyaya (Selbststudium), ishvara pranidhana (Hingabe an Gott), Verständnis von karma (Gesetz von Ursache und Wirkung, Sinn des Lebens, die Einstellung, die wir zum Leben haben können), sowie die acht Stufen des Raja Yoga auf. Aber zuerst meditieren wir über einen Aspekt der Wahrheit und erheben so unseren Geist. Erst dann ist wirklich etwas mit uns anzustellen.

Patanjali will sich mit niemandem abgeben, der nicht meditiert. Meditation ist die Voraussetzung, daß man sich ein bißchen erheben und die Probleme anders angehen kann. Wenn jemand nicht meditiert, kann man mit dem Problem nicht umgehen. Er hat ja schon vorher gesagt: Die Wiederholung eines mantras bringt erleuchtete Innenschau und überwindet alle Hindernisse. Auf diese Weise ist er überhaupt auf die Hindernisse gekommen. Erst wenn wir meditieren, ein mantra wiederholen, wird die Introspektion erfolgreich. Ansonsten kommen wir aus unserem eigenen Tümpel nicht heraus. Wenn wir ein mantra wiederholen, erhebt uns die Kraft des mantras, wir kommen zu einer erleuchteten Innenschau und überwinden die Hindernisse. Dem sutra-Stil folgend, erklärt Patanjali dann die Hindernisse, die Symptome der Hindernisse und vorher hat er die Mantrameditation als Heilmittel erwähnt. Hier sagt er, wir können über einen Aspekt der Wahrheit meditieren und damit schließt sich der Kreis.

Von Vers 33 bis 39 gibt er uns verschiedene Techniken, wie wir meditieren können.

Audio

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert