Kapitel 3, Vers 39

Deutsche Übersetzung:

Ist die Ursache der Bindung gelockert, und sind die Kanäle bekannt, kann der Geist in den Körper eines anderen eintreten.

Sanskrit Text:

bandha-kāraṇa-śaithilyāt pracāra-saṁvedanācca cittasya paraśarīrāveśaḥ ||39||

बद्न्हकारणशैथिल्यात् प्रचारसंवेदनाच्च चित्तस्य परशरीरावेशः ॥३९॥

bandha karana shaithilyat prachara sanvedanachcha chittasya parashariraveshah ||39||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • bandha = Bindung, Fesseln, hier die Bindung an den physischen Körper
  • kāraṇa = Ursache, Grundlage
  • śaithilya = durch die Lockerung, Lösung, Lockerheit
  • pracāra = Durchgänge, Kanäle, feinstoffliche Energie-Kanäle
  • saṁvedana = vom Wissen über
  • ca = und
  • citta = Geist
  • para = von einem anderen
  • śarīra = Körper
  • āveśa = Eingang, Zugang

Kommentar

Hier beschreibt Patanjali also, wie man seinen eigenen Körper verlassen und in den Körper eines anderen eintreten kann. Die Technik ist, daß man aufhören muß, sich an seinen eigenen Körper zu verhaften, sich mit seinem eigenen Körper zu identifizieren. Wenn wir erst einmal erkennen: Ich bin nicht der Körper, dazu noch die nadis (Energiekanäle) kennen und spüren, dann können wir durch bestimmte nadis mit unserem Astralkörper unseren physischen Körper verlassen und in den Körper eines anderen eintreten.

Wir können diesen Vers aber auch für etwas Freundlicheres benutzen, als den Körper eines anderen einzunehmen. Wir können uns nämlich in einen anderen Menschen hineinversetzen, was wiederum eine positive Eigenschaft eines spirituellen Aspiranten ist. Und dazu ist auch eine Voraussetzung, daß wir die Ursache der Bindung ausschalten.

Viele Menschen sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie sich nicht oder nur sehr wenig in einen anderen hineinversetzen können. Sie sind nur in sich selbst verliebt oder verstrickt oder im Konflikt mit sich selbst. Alles, was darüber hinausgeht, ist für sie nicht so wichtig. Viele Menschen können nicht zuhören. Sie warten nur darauf, daß sie unterbrechen und ihren eigenen Kommentar dazugeben können.

Anders erreicht man aber viel mehr: Wenn beispielsweise in einer Yogastunde ein Schüler ein ganz bestimmtes Problem hat und den Yogalehrer fragt, gibt es, wie wir von Patanjali schon wissen, verschiedene Möglichkeiten: Er kann die Frage an Gott weitergeben: Bitte, lieber Gott, sag mir, was ich diesem Schüler raten soll, oder lieber Swami Sivananda, du hast mir diesen Schüler gebracht, hilf mir, die richtige Antwort zu finden. Und plötzlich weiß man die Lösung.

Die andere Möglichkeit, auf die dieser Aphorismus jetzt zielt, wäre, sich ganz in den Menschen hineinzuversetzen, ihn ganz zu spüren, von innen heraus. Dann kommt auch ein bestimmtes Wissen darüber, was ihm helfen kann. Wenn wir uns wirklich vollständig in den Menschen hineinversetzen, können wir auf diese Art sogar heilen. Aber damit sollte man nun wieder vorsichtig sein. Denn das kann Kräfteverbrauch bis zur Kräfteverschwendung oder Mißbrauch der höheren Kräfte sein. Wir sollen nicht durch die Gegend laufen und ständig durch unser prana und unsere Willenskraft andere Menschen heilen. Wir können ruhig als Instrument des Göttlichen fungieren und dem anderen Menschen Energie schicken, aber nicht in Kombination mit dieser Technik, sich in den anderen Menschen, in seine Krankheit, hineinzuversetzen, ihn von innen heraus zu spüren und dann von innen heraus diese Krankheit zu heilen. Das wäre ein unzulässiger Eingriff in das Gesetz des karma.

Auch wenn man einmal Streit mit jemand hat, sich mit jemandem nicht mehr so gut versteht oder nicht mehr so gut zusammenarbeitet, kann es sehr helfen, sich in ihn hineinzuversetzen.

Als nächstes können wir lernen, wie man Levitation übt.

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