Kapitel 4, Vers 11

Deutsche Übersetzung:

Da sie (die Wünsche und Eindrücke) durch Ursache, Wirkung, Unterstützung und Objekte zusammengehalten werden, verschwinden zusammen mit diesen Faktoren auch die Wünsche.

Sanskrit Text:

hetu-phala-āśraya-ālambanaiḥ-saṁgṛhītatvāt-eṣām-abhāve-tad-abhāvaḥ ||11||

हेतुफलाश्रयालम्बनैःसंगृहीतत्वातेषामभावेतदभावः ॥११॥

hetu phala ashraya alambanaih sangrihitatvat esham abhave tad abhavah ||11||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • hetu = Ursache
  • phala = Wirkung, Frucht
  • āśraya = Unterstützung, beruhend auf, aufeinander beruhen
  • ālambanaiḥ = Stütze, Objekt, Berührung
  • saṁgṛhītatvāt = Zusammenhang
  • eṣām = von diesen
  • abhāve = beim Verschwinden, nicht sein
  • tad = von diesen
  • abhāvaḥ = Verschwinden

Kommentar

Hier gibt Patanjali uns Tipps, wie wir die Wünsche beseitigen können. Wenn wir eines dieser vier Dinge ausschalten, können wir die Wünsche ausschalten.

Fangen wir von hinten an, mit den Objekten. Wünsche werden durch Objekte zusammengehalten. Wenn wir einen Wunsch längere Zeit nicht mehr befriedigen, was passiert dann mit dem Wunsch? – Irgendwann hört er auf. Das gibt uns auch einen gewissen Trost. Wenn wir etwas vermissen, wissen wir, irgendwann wird dieses Gefühl schwächer. Es heißt ja auch so schön: Die Zeit heilt alle Wunden. Wenn man sich als Kind weh getan hat, haben einem die Eltern gesagt: Spätestens wenn du heiratest, hast du es vergessen. Da liegt etwas Wahres drin.

Das andere ist Unterstützung. Ein Wunsch wird unterstützt, wenn wir ständig an ihn denken. Wenn wir etwas nicht haben und jahrelang daran denken, es haben zu wollen, dann hört der Wunsch natürlich nicht auf. Wir können versuchen, diese Unterstützung loszulassen, nicht daran zu denken. Zum Beispiel, indem wir uns ablenken, an etwas anderes denken oder auch einen Wunsch nach etwas anderem entwickeln. Im ersten Kapitel hat Patanjali uns ja auch diesen Tip gegeben: Wenn irgendwelche Hindernisse auftauchen, sollte man an etwas Positives denken. So ähnlich können wir auch hier verfahren. Es reicht nicht aus, nur zu sagen: Ich will oder sollte diesen Wunsch nicht mehr haben. Den Trick kennt du vielleicht: „Versuche jetzt mal, nicht an eine grüne Ameise zu denken.“ – An was denkst du? – Zum ersten Mal in deinem Leben an eine grüne Ameise! Es nützt nicht viel, sich ständig zu sagen, ich darf daran nicht denken.

Wenn wir einen Wunsch loswerden wollen, sollten wir zuerst den klaren Entschluß fassen, diesen Wunsch nicht mehr zu haben. Nach diesem klaren Entschluß müssen wir aufhören, jeden Tag von neuem mit uns selbst zu debattieren. So geht es vielen Menschen. Sie wollen irgend etwas aufgeben, fassen einen Entschluß, und am nächsten Tag fangen sie wieder an, mit sich selbst zu diskutieren. Kennst du das? – „Nur einmal, und so schlecht ist es ja nun auch wieder nicht, und der andere macht es ja auch, und ich könnte ja auch erst nächste Woche anfangen…..“

Darüber haben wir gesprochen bei der Schulung des Willens und Entwicklung von vairagya (Leidenschaftslosigkeit, Wunschlosigkeit; siehe I 16). Wir sollten einen Entschluß fassen. Und wenn wir für den Entschluß noch nicht ganz reif sind, verschieben wir ihn und machen ihn etwas kleiner. Zum Beispiel, statt ganz mit etwas aufhören, nehmen wir uns vor: Ich mache es nur noch dreimal die Woche. Aber das, was wir uns vorgenommen haben, halten wir auch ein.

Aber der Entschluß allein reicht nicht aus. Wir müssen ein Konzept für den Moment entwickeln, wenn der Wunsch kommt. Denn er wird mit Sicherheit kommen. Wir müssen uns also überlegen, was will ich machen bzw. denken, wenn der Wunsch wieder auftaucht. Wir müssen den Wunsch bzw. den Gedanken daran durch etwas Positives ersetzen, an etwas anderes denken oder innerlich ein mantra wiederholen. Wenn wir so vorgehen, gelingt es uns, unseren Entschluß Schritt für Schritt umzusetzen.

Und schließlich: Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung ist letztlich Handlung und Reaktion. Ursprünglich tun wir irgend etwas, erfüllen uns einen Wunsch, und als Wirkung bekommen wir ein Vergnügen. Dieses Vergnügen schafft dann wieder eine Ursache: Irgendwie ist es gut, schmeckt gut, tut gut und wir wollen es noch mal haben. Dadurch unterstützen wir den Wunsch und sorgen dafür, daß wir das nötige Objekt wieder bekommen. Und so geht es immer weiter. Das Objekt ist wieder eine neue Ursache, es hat Spaß gemacht, wir unterstützen es wieder, wollen es wieder haben, setzen eine neue Ursache, die wieder eine Wirkung nach sich zieht, und so sind wir ständig in dieser Kette. Diese Kette können wir überall erkennen. Werbung ist zum Beispiel eine Ursache. Als Wirkung kommt der Wunsch. Wir denken öfter daran, schließlich beschaffen wir uns das Objekt. Das Objekt führt, wenn wir Pech haben, dazu, daß es uns gefällt. Die Konsequenz ist Vergnügen. Das ist eine neue Ursache, die zu neuen Wirkungen führt. Wir wollen es nochmals haben, denken öfter daran, und erfüllen den Wunsch wieder …. So entsteht eine endlose Kette.

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