Schauen wir zuerst das korrekte Wissen an. Dazu will ich zunÀchst auf die Theorie des Geistes in seinen vier verschiedenen Aspekten eingehen.
Der Geist als Ganzes wird in der vedanta-Philosophie als antarkarana bezeichnet, als inneres Instrument (karana = Werkzeug, Instrument, Ursache; antar = innen), im Unterschied zum bahirkarana, dem Ă€uĂeren Instrument. Das ist der Körper. Beide sind nicht unser Selbst, sondern nur Instrumente â sehr wertvolle Instrumente, aber eben nur Instrumente; wir sind nicht der Körper und nicht der Geist. Das muĂ man sich immer wieder vor Augen fĂŒhren im tĂ€glichen Leben. Körper und Geist sind meine Instrumente, um mich auszudrĂŒcken, um Erfahrung zu sammeln, um die göttliche Energie durchzulassen und zu erfahren.
Der antarkarana besteht aus vier Teilen:
Chitta im engeren Sinne (im vedanta-System) bezieht sich nur auf das UnterbewuĂtsein. In einem weiteren Sinn (im samkhya-System) ist chitta der ganze Geist, entspricht also dem antarkarana. In âyogash chitta vritti nirodhahâ = âYoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der Gedanken im Geistâ ist mit chitta der gesamte Geistkomplex gemeint. Aber im Zusammenhang mit dem antarkarana-Modell steht chitta nur fĂŒr das UnterbewuĂtsein.
Manas ist das Denkprinzip an sich.
Buddhi ist sehr schwer zu ĂŒbersetzen, am ehesten mit Vernunft.
Ahamkara ist das Ego, die Ursache des âIch binâ, der Identifikation.
Unser normales Wissen ist geprÀgt durch diese vier Bestandteile des Geistes.
Die Sinnesorgane oder Organe des Wissens, die jnana indriyas, wirken durch Sinneswahrnehmungen auf manas ein. So funktioniert z.B. das Sehen: Schwingungen kommen auf die Augen. Die Pupille dreht alles um, verkleinert es, projiziert es auf die Netzhaut, in der Netzhaut wird es umgewandelt, in elektrische Ströme umgesetzt. Diese werden durch den Sehnerv auf das Gehirn projiziert, dann entstehen im Sehnerv nochmals andere elektrische Ströme, die im manas in ein Bild umgewandelt werden. Wie der ProzeĂ, durch den diese elektrischen Impulse als Bild wahrgenommen werden, genau ablĂ€uft, kann die moderne Wahrnehmungspsychologie bis heute nicht erklĂ€ren. Yogis wĂŒrden sagen, das geschieht auch nicht mehr im physischen Körper, sondern im Astralkörper, denn Bilder spielen sich auf der Astralebene ab, sind eine Funktion von manas.
AnschlieĂend geht manas ins UnterbewuĂtsein und fragt: âWas ist das?â Chitta, das UnterbewuĂtsein bringt alle möglichen Vorstellungen hoch, die dem Gesehenen entsprechen könnten. Dann tritt buddhi, das Urteilsvermögen, die Vernunft, in Aktion und sagt: âJa, das ist dieses oder jenes bzw. dies könnte es sein.â oder âNicht genĂŒgend Information.â Dann kommt das ahamkara, das Ego und sagt: âIch weiĂ, das ist DASâ. Man identifiziert sich damit und wenn man darin bestĂ€tigt wird, freut man sich.
Es kann aber auch falsch sein, denn die Sinne können uns tÀuschen, wie wir das zum Beispiel von optischen TÀuschungen her kennen:
>âââ< >âââ<
Der rechte Strich sieht lĂ€nger aus. Da wir aber wissen, daĂ die Striche genau gleich lang sind, wird unser buddhi, die Vernunft, in diesem Fall sagen, das kann nicht sein, beide Striche mĂŒssen gleich lang sein. Ein anderes Beispiel ist die Perspektive in der Malerei.
Unser Wissen kann uns tĂ€uschen, nicht nur durch die Sinneswahrnehmungen, sondern auch durch die Interpretationen, die wir hineinlegen. Menschen interpretieren ununterbrochen. Wenn zum Beispiel jemand einmal nachdenklich ist und deshalb nicht grĂŒĂt, denkt man vielleicht: âEr hat etwas gegen mich, was habe ich falsch gemacht?â u.s.w. Oder jemand hat sich ĂŒber irgend etwas geĂ€rgert, und viele Menschen beziehen das sofort auf sich, interpretieren den Gesichtsausdruck, den Ton etc. Jemand ist gestreĂt und daher im Moment fĂŒr unsere Begriffe nicht freundlich genug, und sofort haben wir das GefĂŒhl, er spiele Machtspielchen oder so Ă€hnlich. Das kommt, wenn man alles auf sich selbst bezieht, und hĂ€ngt auch mit dem eigenen SelbstbewuĂtsein, dem SelbstwertgefĂŒhl und dem eigenen GemĂŒtszustand zusammen. Das Ego braucht BestĂ€tigung. Wenn es sehr schwach ist, sucht es stĂ€ndig BestĂ€tigung von auĂen. Wenn es diese BestĂ€tigung nicht findet, fĂŒhlt es sich unsicher. Man kann jetzt natĂŒrlich daran arbeiten, sein SelbstwertgefĂŒhl zu stĂ€rken. Eine andere Möglichkeit ist, weiterzugehen und zu versuchen, die Verbindung zu Gott oder zum eigenen Selbst aufzubauen. Dann können wir lernen, gleichmĂŒtig zu bleiben, auch wenn die Dinge Ă€uĂerlich gerade nicht so schön sind oder nicht optimal laufen. Gott ist immer gleich und bestĂ€ndig.
Wir mĂŒssen uns immer bewuĂt machen, daĂ unser Geist uns tĂ€uscht. Swami Vishnu hat gerne gesagt: âNever trust your mindâ (Traue nie deinem Geist!) oder âMind your mindâ (Achte auf deinen Geist!). Oft hĂ€lt man einen auftauchenden Gedanken zu schnell fĂŒr richtig. Von vielen Menschen in der spirituellen Szene hört man hĂ€ufig, man mĂŒsse auf die innere Stimme hören â was in der Tat sehr wichtig ist. Aber man muĂ aufpassen, denn diese innere Stimme kann einen auch tĂ€uschen. Wenn sie rein ist, ist sie das Richtige. Sie kann jedoch auch falsch interpretiert oder mit einer Emotion verwechselt werden. Das ist nicht so leicht auseinanderzuhalten.
Beim korrekten Wissen können wir drei verschiedene Formen unterscheiden:
Die direkte Wahrnehmung durch die jnana indriyas, die Sinnes- und Wahrnehmungsorgane, SchluĂfolgerung ĂŒber den Intellekt und Aussagen anderer.
Aus welcher dieser drei Quellen stammt wohl der gröĂte Teil unseres Wissens?
Der gröĂte Teil unseres Wissens stammt aus Aussagen anderer, die man dann noch nachzuvollziehen versucht. Aber vieles ĂŒbernimmt man aus zweiter Hand, ohne es selbst wirklich nachzuprĂŒfen oder auch nachprĂŒfen zu können. Woher wissen wir zum Beispiel, daĂ die Erde rund ist, wieviel Einwohner unser Wohnort oder unser Land hat, wie der Körper funktioniert, wie das Herz genau arbeitet u.s.w.? Wir haben es irgendwo gehört oder gelesen, versucht, es durch Wahrnehmung und logische SchluĂfolgerung nachzuvollziehen. Aber selbst um die Erde geflogen sind wir nicht und haben auch nicht selbst den Brustkorb aufgeschnitten und versucht, das Herz zu untersuchen â und selbst wenn, wĂ€re die Erkenntnis wahrscheinlich nicht sehr brauchbar.
Aussagen anderer können natĂŒrlich auch eine Quelle inkorrekten Wissens sein. Ebenso kann unsere SchluĂfolgerung falsch sein. Man kann auf falsche Weise intellektuelle SchlĂŒsse ziehen oder man kann jemandem trauen, der etwas Unwahres sagt.
Und gerade auf dem spirituellen Weg erfahren wir vor allem am Anfang das meiste durch Aussagen anderer, also von spirituellen Meistern, deren SchĂŒlern oder aus BĂŒchern. Aus logischer SchluĂfolgerung oder direkter Wahrnehmung herauszubekommen, wie die asanas gehen, ist nicht möglich. Dazu mĂŒĂte man schon selbstverwirklicht sein, so daĂ sie von alleine aus einem herauskommen. Aber im Normalfall geht man in eine Yogastunde und bekommt die asanas erklĂ€rt, in welcher Reihenfolge sie zu ĂŒben, wie lange sie zu halten sind und worauf zu achten ist â und das ist zunĂ€chst einmal eine Zeugenaussage und Beobachtung. Dann ĂŒbt man selbst und das fĂŒhrt natĂŒrlich zu eigener Erfahrung, so daĂ eine direkte Wahrnehmung hinzukommt. Man stellt fest: âDas tut mir gut.â Und dann kommt vielleicht noch die SchluĂfolgerung dazu: âDas tut mir gut, also muĂ der Yogalehrer irgendwie Recht haben und in Ordnung sein.â
Den gröĂten Teil des Wissens auf dem spirituellen Weg bekommen wir von groĂen Meistern und manchmal auch von weniger groĂen Meistern, also ĂŒber mehr oder weniger kompetente Aussagen anderer. Dabei muĂ man besonders aufpassen, wem man traut. Das ist einer der GrĂŒnde, warum SpiritualitĂ€t manchmal in Verruf kommt. Es gibt genĂŒgend Leute, die das Vertrauen der SchĂŒler ausnutzen und miĂbrauchen â man denke zum Beispiel an die Massenselbstmorde einiger Gemeinschaften in Amerika oder die GiftgasanschlĂ€ge in Japan vor einiger Zeit. Diese Leute sind von ihren Ideen ĂŒberzeugt. Ob der Meister jeweils davon ĂŒberzeugt ist, weiĂ man nicht. Er kann bewuĂt verfĂŒhren oder eine Wahrnehmungsverzerrung haben. Und weil es schon immer Pseudomeister gegeben hat, geben die Yogis Kriterien an, die man prĂŒfen und beachten muĂ, bevor man einen Meister annimmt. Und je höher der Anspruch des Meisters â also wenn er von sich sagt, er sei selbstverwirklicht â, desto höher muĂ man die MeĂlatte anlegen. Umgekehrt, wenn ein Meister die Selbstverwirklichung erreicht hat, dann verlangt er von seinen SchĂŒlern mit Recht bedingungslosen Gehorsam. Wenn er sich dagegen selbst auch nur als einfacher Aspirant auf dem Weg bezeichnet, kann man ihm einige Fehler durchgehen lassen. Dabei muĂ der SchĂŒler auch immer ĂŒberlegen, was von dem Gesagten tatsĂ€chlich Weisheit ist und was auf Unvollkommenheit und menschlichen Irrtum des Lehrers zurĂŒckzufĂŒhren ist.
In jedem Fall, auch bei denjenigen, von denen es heiĂt, sie seien selbstverwirklicht, muĂ man PrĂŒfungen anwenden. Man weiĂ es zwar nie ganz genau, denn es heiĂt âIt takes one to know oneâ, man muĂ also selbst verwirklicht sein, um zu erkennen, ob jemand anderes dies ebenfalls ist. Trotzdem gibt es einige Indizien, an denen man erkennen kann, ob jemand weiterentwickelt ist oder nicht. Das ist Aufgabe der buddhi. Man darf das Herz nicht zu frĂŒh sprechen lassen, sondern muĂ erst ein paar kritische Fragen stellen:
- Der Lehrer/die Lehrerin muĂ sich auf alte Schriften beziehen, die man auch selbst nachlesen kann â nicht irgendwelche obskuren Schriften, die er/sie angeblich irgendwo in einer Höhle gefunden hat und die leider niemandem zugĂ€nglich sind. Wenn ein Lehrer sagt: âGestern ist mir Krishna erschienen und hat gesagt, die Bhagavad Gita und die Upanishaden bzw. die Evangelien waren nur fĂŒr das frĂŒhere Zeitalter, er verkĂŒndet jetzt das neue Evangeliumâ â dann renne lieber weg!
Man muĂ also prĂŒfen, auf welche Schriften sich das Ganze bezieht. Denn es gibt eigentlich nichts Neues auf dieser Erde. Der Fortschrittsglaube ist einer der IrrtĂŒmer unserer westlichen Zivilisation. Die westliche Psychologie hat vielleicht noch ein paar Sachen entdeckt, die uns die Grundlagen der SpiritualitĂ€t etwas erklĂ€ren können, aber sobald es zu tiefer SpiritualitĂ€t kommt, hat sie gegenĂŒber Patanjali, Buddha, den Upanishaden oder den altchristlichen Meistern nichts Neues zu bieten.
- Die zweite PrĂŒfung bezieht sich auf das ethische Verhalten. Wenn ein Meister toleriert, daĂ Gewalt angewendet wird, dann sollte man ihm nicht trauen! Man sollte sein ethisches Verhalten, die Einhaltung von yamas und niyamas (ethische Prinzipien, siehe zweites Kapitel), Nichtverletzen, Achtung der MenschenwĂŒrde und Menschenrechte prĂŒfen. Man sollte schauen, inwieweit er verantwortungsvolle RatschlĂ€ge gibt und welche Folgen diese fĂŒr die SchĂŒler haben.
- Das dritte Kriterium ist, ob der Meister/die Meisterin selbst praktiziert, was er/sie predigt. Manchmal ĂŒben Meister andere Praktiken als die SchĂŒler, aber sie sollten fĂŒr sich selbst nicht zu viele Ausnahmen von den fĂŒr andere aufgestellten Regeln machen.
- Er/sie sollte grundsĂ€tzlich ein einfaches Leben fĂŒhren. Wenn der Meister in Luxus lebt und die SchĂŒler am Hungertuch nagen, dann stimmt irgend etwas nicht.
- Der Meister muĂ dem SchĂŒler die Verantwortung fĂŒr den spirituellen Weg geben. Er muĂ dem SchĂŒler klar sagen, daĂ er nicht die Arbeit fĂŒr ihn tun kann, sondern daĂ er selbst praktizieren muĂ. Ein Lehrer, der sagt: âIch mache alles fĂŒr dich, du brauchst nichts zu tunâ, ist unglaubwĂŒrdig. Es gibt Lehrer, die behaupten: âDu brauchst nur bei mir zu sein, ich erwecke dir die kundalini, alles andere geschieht von selbst.â Allerdings darf man hier auch nicht nur nach dem ersten Eindruck urteilen, sondern muĂ unterscheiden, was zunĂ€chst einmal plakativ gesagt wird. Um Menschen ansprechen zu können, muĂ man letztlich vereinfachen, man kann nicht alles in die erste Information hineinschreiben. So gibt es auch Meister, von denen gesagt wird, sie erwecken die kundalini. Aber wenn man genauer hinschaut, raten sie einem, zu meditieren, anderen zu dienen, das Herz zu öffnen, Liebe zu entwickeln u.s.w. Jeder kann selbst beurteilen, wie sich die Leute entwickelt haben, die eine Weile bei einer Organisation oder einem Meister gewesen sind, und kann sich ĂŒberlegen, ob das die Richtung ist, in die er sich selbst auch entwickeln möchte.Swami Sivananda
hat humorvoll den âSB 40â-Test empfohlen, um einen selbstverwirklichten Meister zu prĂŒfen. âSBâ fĂŒr âshoe beatingâ und â40â fĂŒr 40 Mal. Wenn jemand von sich sagt, âIch bin ein groĂer Meisterâ, dann soll man einen alten Schuh nehmen und ihn 40 Mal damit schlagen â nicht zu stark, aber schon merkbar! Wenn er dann immer noch lĂ€chelt und sagt, âIch bin ein selbstverwirklichter Meisterâ, dann ist er es tatsĂ€chlich. Swami Vishnu hat immer, wenn er uns das erzĂ€hlte, hinzugefĂŒgt: âAber ich bin kein selbstverwirklichter Meister!â
All das muĂ man beachten und prĂŒfen, weil eben auf dem spirituellen Weg vor allem am Anfang viel auf Vertrauen basiert. Je niedriger der Anspruch des Lehrers, desto mehr kann man durchgehen lassen, aber man muĂ immer darauf achten, daĂ es authentisch ist.
Eine andere Quelle des Wissens ist die direkte Wahrnehmung. Es gibt drei Arten der direkten Wahrnehmung:
Die sinnliche Wahrnehmung ĂŒber die jnana indriyas, die Sinnesorgane: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, FĂŒhlen. Sie können zu SinnestĂ€uschungen fĂŒhren oder auch zu Fehlinterpretationen.
Die unterbewuĂte oder instinktive Intuition, d.h., irgendwelche Ahnungen oder GefĂŒhle.
Diese Ahnungen und GefĂŒhle können echt sein, sie können aber auch tĂ€uschen, wenn sie gefĂ€rbt oder gefiltert sind. Auf der Ebene des UnterbewuĂtseins sind wir nicht auf die sinnliche Wahrnehmung angewiesen. Wir können Gedanken wahrnehmen, in die Vergangenheit und in die Zukunft gehen.
Daneben gibt es auch noch eine höhere Form der Intuition, nĂ€mlich die ĂŒberbewuĂte Intuition, die wirklich aus dem purusha, dem Selbst, kommt.
Sie kann auch vom guru kommen oder in Form einer Vision von einem groĂen Meister, der einem klar sagt, was zu tun ist. Vielleicht hat man auch die Vision einer Manifestation Gottes wie Jesus, Krishna oder Shiva. Oder man spĂŒrt einfach: Das ist meine Aufgabe, so ist es.
Diese ĂŒberbewuĂte Intuition kommt dann, wenn buddhi und ahamkara zur Ruhe kommen. Eine ĂŒberbewuĂte Intuition erkennen wir im Gegensatz zu einer Ahnung daran, daĂ sie uns zu unserem eigenen Selbst bringt, uns fĂŒr unser eigenes Selbst öffnet. Und das Selbst, der purusha, ist sat-chit-ananda, Sein, Wissen und GlĂŒckseligkeit. ĂberbewuĂte Intuition ist immer verbunden mit einem GefĂŒhl der Ausdehnung, der Unendlichkeit und der Verbundenheit als einem Aspekt des reinen Seins (sat), sowie mit reinem Wissen (chit), das man vorher nicht hatte und das kein intellektuelles, sondern intuitives, direktes Wissen ist, und schlieĂlich mit Wonne, Liebe, Licht (ananda), auch mit Kraft und Energie. Es kann sein, daĂ das eine oder andere GefĂŒhl stĂ€rker ausgeprĂ€gt ist, aber im Prinzip sollte von allen dreien etwas dabei sein; dann ist es um so weniger vom UnterbewuĂtsein gefiltert. Wenn nur ein Aspekt stark fĂŒhlbar ist, dann ist es vielleicht schon gefiltert und nicht ganz klar. Dann ist es eher eine instinktive Intuition. Wenn wir eine solche ĂŒberbewuĂte Intuition haben, sollten wir ihr folgen. Wir mĂŒssen nur aufpassen, wie wir sie interpretieren. Auch wenn wir wissen, was wir machen sollen, ist noch lĂ€ngst nicht klar, auf welche Weise. Und es heiĂt auch nicht, daĂ diese Intuition dann alles fĂŒr uns macht. Um sie umzusetzen, muĂ man anschlieĂend seinen Verstand und seine FĂ€higkeiten benutzen.
Als ich zum Beispiel vor etwa neun Jahren gerade die Yogazentren von Swami Vishnu-devananda verlassen hatte und mich im Sivananda-Ashram in Rishikesh aufhielt, wuĂte ich nicht so recht, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen sollte. Ich hatte dann eine Vision von Swami Sivananda, in der er mir klar gesagt hat, ich solle nach Deutschland zurĂŒckkehren, in Frankfurt ein Yogazentrum eröffnen, in fĂŒnf Jahren werde es einen ashram (wörtl. âEinsiedeleiâ; Yoga-Seminarhaus, Ort, wo Yoga gelebt und gelehrt wird) geben und dann wĂŒrde sich auch noch einiges andere entwickeln. Ich war vorher jahrelang in Amerika gewesen und wollte eigentlich nicht mehr nach Deutschland zurĂŒck. Aber nach dieser Vision hatte ich keine Wahl. Wenn Swami Sivananda mir das sagt, dann mache ich es natĂŒrlich. Gut, die Vision war klar. Aber als ich dann nach Frankfurt kam, war es bei weitem nicht so, daĂ alles von selbst gegangen wĂ€re. Ich muĂte mit Maklern Kontakt aufnehmen, verschiedene Objekte anschauen, MietvertrĂ€ge abschlieĂen, nach einem halben Jahr waren alle Finanzreserven erschöpft. Aber Schritt fĂŒr Schritt ging es dann doch voran und etwa fĂŒnf Jahre spĂ€ter entstand dann tatsĂ€chlich das Haus Yoga Vidya. Aber auch das kam nicht von selbst. Sondern es kam auch wieder diese Intuition, jetzt ist es Zeit, sich um einen ashram zu kĂŒmmern. Dann muĂ wieder der Intellekt arbeiten und alles in die Wege leiten. Es reicht nicht aus, nur eine solche Wahrnehmung zu haben, sondern es mĂŒssen Taten folgen. Aber man kann loslassen, beten und bekommt dann FĂŒhrung auch bei der praktischen Umsetzung.
Joseph Campbell, der in Amerika die alten Mythen durch eine eigene, sehr populĂ€re Fernsehsendung salonfĂ€hig gemacht hat, sagt: âFollow your blissâ, also folge dem, was ein GefĂŒhl der Freude und Wonne in dir auslöst.
Wenn wir auf dem Weg fortschreiten, nimmt diese höhere Intuition irgendwann den Hauptstellenwert ein, wie wir Entscheidungen treffen. Swami Vishnu hatte sehr viele solcher Eingebungen und hat danach gehandelt. Manchmal kam es dabei auch zu FehlschlĂ€gen. Also selbst bei jemand wie ihm ist das nicht immer ganz sicher. Wobei man nicht sagen kann, ob er wirklich daneben gelegen hat oder ob es ihn nur zu einer bestimmten Erfahrung fĂŒhren sollte und uns alle damit auch. Er hatte auch keine Schwierigkeiten, sofort loszulassen, wenn er gemerkt hat, daĂ etwas nicht geht. Und dann kam bald die nĂ€chste Geschichte! Aber er hat eben dadurch, daĂ er der Intuition gefolgt ist und ihr vertraut hat, immer mehr Zugang zum Göttlichen bekommen.
Die direkte Wahrnehmung umfaĂt also die sinnliche Wahrnehmung, die instinktive und die ĂŒberbewuĂte Intuition. An spĂ€terer Stelle, sowohl am Ende des 1. wie auch im 3. Kapitel sagt Patanjali, nur die unmittelbare Wahrnehmung aus der Intuition heraus ohne den Umweg ĂŒber die Sinne ist die eigentliche, richtige direkte Wahrnehmung. Sinneswahrnehmung an sich ist irriges Verstehen, birgt Fehlerquellen in sich. Wir können die Wahrheit nicht ĂŒber Sinne wahrnehmen, auch nicht ĂŒber das Denken. Selbst wenn uns Meister davon erzĂ€hlen, verstehen wir sie immer noch nicht. Es braucht die direkte Wahrnehmung, pratyaksha, die eigene, unmittelbare Erfahrung der Wahrheit. Wahrnehmung im ĂŒberbewuĂten Zustand, in samadhi, unter Ausschaltung der Sinne und Gedanken, lĂ€Ăt uns die Wirklichkeit direkt wahrnehmen.
In manas werden die einfachen Gedanken widergespiegelt. Intuition kommt dann, wenn ahamkara und buddhi durchlĂ€ssig sind. Ein Ziel muĂ also sein, unser Ego auszudĂŒnnen. Und auch unser Intellekt muĂ mal Ruhe geben, denn im Grunde genommen steht er uns im Weg â wie auch das chitta â , wenn wir zu purusha, unserem Selbst, kommen wollen. Nur dann kann wahrhafte Intuition oder direkte Wahrnehmung der Wirklichkeit entstehen.
Die buddhi hat besonders wichtige Funktionen.
Als niedrige buddhi hilft uns die praktische Vernunft bei der BewĂ€ltigung unserer Alltagsaufgaben. Wenn wir zum Beispiel ein Bild aufhĂ€ngen wollen, mĂŒssen wir ĂŒberlegen, wie wir das am besten machen: Aus was fĂŒr einem Material besteht die Wand, kann ich einfach einen Nagel einschlagen oder brauche ich eine Bohrmaschine oder SpezialnĂ€gel, wen könnte ich fragen, wo bekomme ich die nötigen Werkzeuge und Hilfsmittel u.s.w. Man benutzt also das logische Denken, um etwas zu erreichen. Die meisten Menschen benutzen ihren Intellekt nur dafĂŒr. Wenn sie etwas haben wollen, wird der Intellekt in Bewegung gesetzt, um es zu bekommen.
Aber der höhere Intellekt ist ein anderer, nĂ€mlich viveka, die Unterscheidungskraft. Sie ist sehr wichtig auf dem spirituellen Weg. Viveka gibt es auf verschiedenen Ebenen: zum einen die grundlegende Unterscheidungskraft zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, dem Ewigen und dem VergĂ€nglichen, zwischen dem, was uns glĂŒcklich macht und dem, was uns Leid bringt. Was ist wirklich wichtig angesichts der Tatsache, daĂ wir irgendwann diesen physischen Körper verlassen? Was macht mich wirklich glĂŒcklich? Manche Menschen laufen ihr Leben lang hinter dem GlĂŒck her, ohne nachzudenken. Ein Yogi denkt zuerst nach und begibt sich dann auf die Suche. Dazu benutzen wir die Unterscheidungskraft der buddhi. Sie ist auch dazu da, die anderen Quellen der Wahrnehmung zu ĂŒberprĂŒfen. Und, wie bereits erwĂ€hnt, setzen wir die Unterscheidungskraft ein, ehe wir uns einem Meister anvertrauen.
Wenn wir schlieĂlich einen Meister gefunden haben, der vollkommen ist, mĂŒssen wir bei allem, was er sagt, ĂŒberlegen und unterscheiden lernen, was es ĂŒberhaupt bedeutet. Manchmal interpretiert man auch zuviel in eine Aussage oder eine Handlung hinein. Swami Vishnu hat gerne die Geschichte erzĂ€hlt, in der ein Meister zum Baden an den FluĂ ging. Um seine Kleider vor den vielen Affen, die dort waren, zu schĂŒtzen, verbarg er sie unter einem SandhĂŒgel. Kurz danach kamen seine SchĂŒler ebenfalls zum FluĂ. Sie hatten nicht gesehen, daĂ der Meister seine Kleider vergraben hatte. Sie sahen nur den SandhĂŒgel und hielten dies fĂŒr eine besondere rituelle Handlung. Also gingen sie alle hin und bauten ebenfalls SandhĂŒgel. Als der Meister nach seinem Bad aus dem FluĂ kam, dauerte es eine ganze Weile, bis er den richtigen HĂŒgel mit seinen Kleidern wiedergefunden hatte âŠ.
Ist der Meister nicht ganz so perfekt, mĂŒssen wir unsere Unterscheidungskraft einsetzen, um zu beurteilen, was von dem, was er tut und lehrt, tatsĂ€chlich eine Manifestation von Weisheit ist und was einfach nur menschliche UnzulĂ€nglichkeiten sind, die er noch hat.
Auch bei einer höheren Erfahrung, einer Intuition, Inspiration oder Vision, mĂŒssen wir mit unserer Unterscheidungskraft nochmals ĂŒberlegen, ist es tatsĂ€chlich eine Intuition oder einfach nur eine Emotion, was hat es zu bedeuten und wie setze ich es im richtigen Sinn am besten um.
Der Intellekt spielt also immer eine groĂe Rolle. Er kann uns aber auch in die Irre fĂŒhren.
Wie zum Beispiel im 2. Kapitel der Bhagavad Gita, wo Arjuna (der SchĂŒler) Krishna (dem Lehrer) genau erklĂ€rt, warum er nicht kĂ€mpfen sollte und nicht kĂ€mpfen will. Gleichzeitig ist er aber trotzdem nicht sicher und sagt zu Krishna: âOh Krishna, bitte, ich weiĂ nicht, was richtig ist und was meine Pflicht ist. Nimm mich an, der ich mich dir hingebe. Nimm mich als SchĂŒler an, ich nehme zu dir Zuflucht.â Aber nachdem er so darum gebeten hat, belehrt und gefĂŒhrt zu werden, sagt er paradoxerweise: âIch will nicht kĂ€mpfenâ. Der SchĂŒler geht zum Meister: âBitte sage mir, was ich tun soll, aber ich mache lieber das âŠâ â Und Krishna lĂ€chelt liebevoll. Das machen Meister oft. Man kommt ganz verzweifelt zu ihnen, und sie lĂ€cheln einfach und sagen dann etwas sehr Einfaches. In den wenigsten FĂ€llen geben sie eine eindeutige Antwort.
Ich kann mich noch an meine vielleicht erste âgroĂeâ spirituelle Krise erinnern. Ich hatte ja recht frĂŒh, mit 16 Jahren, begonnen zu meditieren. Mit 17 entdeckte ich den Yoga und habe dann viel praktiziert. Meistens bin ich schon um vier Uhr oder frĂŒher aufgestanden, habe vor der Meditation zwei Stunden pranayama geĂŒbt, nach der Meditation nochmals asanas und pranayama, tagsĂŒber studiert und bei Arbeiten im Yogazentrum, in das ich eingezogen war, mitgeholfen, und abends wieder meditiert. Aber nach ein paar Jahren war ich mit meinem spirituellen Fortschritt unzufrieden. Ich fing an zu denken: Ich praktiziere so viel, aber die Selbstverwirklichung lĂ€Ăt auf sich warten. Ich spĂŒre weder die kundalini noch mache ich tiefe Meditationserfahrungen â wĂ€hrend andere oft von ihren wunderbaren Erfahrungen erzĂ€hlten! SchlieĂlich begann ich an allem zu zweifeln, an meiner eigenen Praxis, ob ich wohl den richtigen Weg gewĂ€hlt hatte usw. Die Leiterin des Zentrums wuĂte von meinen Zweifeln und empfahl mir, Swami Vishnu zu fragen. Gut, als also Swami Vishnu das nĂ€chste Mal nach MĂŒnchen kam, gingen wir wie immer alle zu ihm, es wurde satsang (Zusammensein mit Weisen, mit Gleichgesinnten auf dem spirituellen Weg) gehalten, gemeinsam meditiert und gesungen und anschlieĂend sprach er mit den Teilnehmern. Da sagte die Leiterin zu mir: âSo, und jetzt fragst du ihn!â Ich war damals ziemlich schĂŒchtern und wagte eigentlich kaum, mit Swami Vishnu zu reden. Naja, jedenfalls habe ich ihm dann meine Probleme in Kurzform geschildert. Da hat er zuerst einmal gelacht und zu den anderen gesagt: âHier ist ein Junge, der keinen inneren Frieden findet. Was machen normalerweise Jungen in seinem Alter? Sie gehen in die Disko, rauchen, betrinken sich oder nehmen Drogen (alles Sachen, die ich nie im Leben gemacht habe!), aber er sucht die Lösung im Yoga!â Ich war leicht irritiert und habe mich ausgelacht und nicht ernstgenommen gefĂŒhlt. Aber dann hat er mir noch gesagt: âWas du machst, ist richtig. Du muĂt nur Geduld ĂŒben.â Dann hat er die Geschichte vom Mangobaum erzĂ€hlt, der viele Jahre braucht, bis er FrĂŒchte trĂ€gt und den man nicht zwingen kann, schneller zu wachsen. Aber ich solle alle Praktiken so fortsetzen wie bisher. Vielleicht könne ich ja einmal in der Woche einen Morgenspaziergang machen statt zu meditieren. Am nĂ€chsten Morgen ging ich natĂŒrlich gleich hinaus. Es regnete in Strömen, aber dieser meditative Spaziergang in der morgendlichen Stille ist mir als ein wunderbares Erlebnis in Erinnerung geblieben!
Es ist eben auch die Kunst, wenn SchĂŒler einen um Rat fragen â und wenn man lĂ€nger Yoga praktiziert oder gar unterrichtet, wird man öfter um Rat gefragt â, daĂ man zwar MitgefĂŒhl zeigt, aber trotzdem versucht, das Ganze von einer höheren Warte aus zu sehen, um einen ĂŒbergeordneten Ratschlag geben zu können. Dem anderen ist nicht gedient, wenn man selbst vor lauter MitgefĂŒhl auch traurig und niedergeschlagen wird.
Und so sagt Krishna im 11. Vers des 2. Kapitels der Bhagavad Gita zu Arjuna: âWeise Worte sprichst du, oh Arjuna, doch nicht zu Beklagende beklagst du. Die Weisen klagen nicht um Leben oder Tod der Wesen, denn in Wahrheit waren weder du noch ich noch diese FĂŒrsten jemals nicht, noch werden jemals wir nicht sein in dem, was hierauf folgt.â Er holt Arjuna aus seiner Froschperspektive heraus, in der er nur die engen WĂ€nde des Froschbrunnens sieht. NatĂŒrlich sagt er ihm nicht nur: Es ist egal, was du machst, es spielt keine Rolle. Sondern er erklĂ€rt ihm anschlieĂend 16 Kapitel lang, nach welchen GrundsĂ€tzen und wie er handeln kann, ohne Verhaftung und ohne Ego. Und ganz zum SchluĂ sagt er: Es spielt in Wirklichkeit doch keine Rolle, was du machst. Opfere einfach alles nur Gott.
Bei allen drei Arten des Wissenserwerbs mĂŒssen wir aufpassen. Unser Geist fĂŒhrt uns in die Irre. Auch unser logisches Denken kann uns in die Irre fĂŒhren.
Viele Menschen benutzen ihr logisches Denken nicht, um tatsĂ€chlich zu SchluĂfolgerungen zu kommen, sondern um ihre emotional bedingten Haltungen und Einstellungen zu rechtfertigen. Ein typisches Beispiel sind hypnotische Experimente. Jemand fĂŒhrt eine Handlung aus, die ihm unter Hypnose suggeriert wurde, und findet dann im Nachhinein eine logische, vernĂŒnftige ErklĂ€rung dafĂŒr, warum er das tut. Unser Geist ist oft nicht wirklich rational. Wir benutzen unser logisches Nachdenken selten dazu, wirklich die Wahrheit ĂŒber die Dinge herauszufinden, sondern eher, um etwas irgendwie rational erscheinen zu lassen, das eigentlich nicht rational ist.
Da wir jetzt einiges ĂŒber korrektes Wissen gelernt haben, wissen wir natĂŒrlich auch das Gegenteil, nĂ€mlich was viparyaya, also inkorrektes Wissen, Irrtum, ist.