Kapitel 3, Vers 44

Deutsche Übersetzung:

Durch samyama auf nicht vorstellbare jenseitige Seinsweisen kommt die Fähigkeit, außerhalb des Körpers zu verweilen. Der Schleier vor dem Licht verschwindet.

Sanskrit Text:

bahir-akalpitā vṛttiḥ mahā-videhā tataḥ prakāśa-āvaraṇa-kṣayaḥ ||44||

बहिरकल्पिता वृत्तिः महाविदेहा ततः प्रकाशावरणक्षयः ॥४४॥

bahir akalpita vrittih maha videha tatah prakasha avarana kshayah ||44||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • bahiḥ = außen, außerhalb
  • akalpitā = unvorstellbar
  • vṛtti = Welle, Gedankenwelle
  • maha = groß, maximal
  • videhā = Körperlosigkeit
  • tataḥ = daher, davon
  • prakāśa = Licht, hier das wahre Selbst
  • āvaraṇa = Verhüllen, Schleier, Hülle
  • kṣayaḥ = Verschwinden, Vernichtung, Reduzierung

Kommentar

Jetzt erklärt Patanjali, wie man den physischen Körper verläßt, wenn man will, ohne daß der physische Körper gleich stirbt. Das geht auch dann, wenn das karma noch nicht vollständig abgearbeitet ist.

Im ersten Kapitel hatten wir von jivanmukti und videhamukti gesprochen. Jivanmukti ist die lebendige Befreiung, die Befreiung, während man weiter in seinem physischen Körper lebt, videhamukti ist die Befreiung ohne den Körper.

Maha-videha, wahrhafte Nichtkörperlichkeit, wird erreicht, wenn der Yogi es schafft, jenseits der eigenen vrittis zu kommen. Man kann den Körper einfach so verlassen, indem man sich nicht mehr mit dem physischen Körper, dem Ego und dem Intellekt identifiziert – und damit ist man dauerhaft davon befreit.

Es gibt noch eine zweite, vielleicht schönere Interpretation dieses Aphorismus. Die Fähigkeit, sich mit dem physischen, mentalen und anderen Körpern nicht mehr zu identifizieren, entsteht, wenn wir jenseits von Ego und Intellekt spüren, wer wir wirklich sind. Wir spüren dann diese maha-videha, diese große Körperlosigkeit. Und es ist wiederum ganz praktisch, sich öfter mal selbst zu fragen: Was ist jenseits von Ego und Intellekt? Diese Frage geht ja schon über Emotion und prana und was sich da sonst noch alles anklammert, hinaus.

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