Kapitel 1, Vers 50

Deutsche Übersetzung:

Die daraus entstandenen Eindrücke (samskaras) ersetzen alle anderen.

Sanskrit Text:

tajjas-saṁskāro-’nya-saṁskāra pratibandhī ||50||

तज्जस्संस्कारोऽन्यसंस्कार प्रतिबन्धी ॥५०॥

tajjas sanskaro ’nya sanskara pratibandhi ||50||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tadja = aus ihm entstanden
  • saṁskāra = Eindruck
  • anya = von anderen
  • saṁskāra = Eindrücke
  • pratibandha = verhindern, ersetzen

Kommentar

Samskaras sind Eindrücke im Unterbewußtsein. Manche Eindrücke im Unterbewußtsein beziehen sich auf bestimmte Fähigkeiten und Möglichkeiten. Manche Menschen sind musikalisch, andere haben eine besondere handwerkliche, mathematische oder schriftstellerische Begabung, natürliche Menschenkenntnis oder Führungsfähigkeiten, mit denen sie schon auf die Welt gekommen sind, also angeborene samskaras.

Samskaras sind auch Wünsche und Neigungen. Oft ergänzen sich Fähigkeiten und Neigungen, aber nicht immer. Manche Kinder mögen zum Beispiel von klein auf eine Farbe mehr als andere, manche mögen dieses, andere jenes lieber. Manche Menschen können etwas ganz gut, haben aber keine Lust dazu, sondern wollen gerne etwas anderes machen.

Es gibt auch Menschen mit alten Yoga-samskaras. Sie belegen aus irgendwelchen eigenartigen Gründen einen Yogakurs – weil ein Freund, eine Freundin sie mitschleppt, weil sie zufällig ein Buch darüber sehen, weil sie sich gestreßt fühlen oder Rückenschmerzen haben, weil sie einfach mal etwas Neues ausprobieren möchten oder jemand ihnen erzählt hat, wie toll Yoga ist – und dann gefällt es ihnen so gut, sie wollen einfach mehr machen. Swami Vishnu hat gesagt: Wer in diesem kali yuga (eisernes, materialistisches Zeitalter) ein spirituelles Leben wirklich konsequent leben kann, der muß schon tiefe spirituelle samskaras haben, der muß schon in einigen Leben vorher ab und zu mal Yoga geübt haben! Und wenn die Zeit reif ist, drücken sich diese samskaras von selbst aus.

Nun kann man natürlich fragen: Wenn das so ist, warum passiert es mir dann erst jetzt mit 35 oder 40 Jahren oder noch später, daß ich anfange, Yoga zu üben? – Das kommt daher, daß man aus früheren Leben auch noch andere samskaras hat, Wünsche oder Neigungen, die man nicht ausgelebt und daher bedauert hat. Vielleicht hat man in seinem früheren Leben gedacht: „Jetzt habe ich 20 Jahre oder mehr geübt, aber das und das habe ich verpaßt.“ Wenn man diese Vorstellung hatte, dann wird man eben im gegenwärtigen Leben erst all diese Sachen ausleben und vielleicht erst mit 40, 60, 80 Jahren oder sogar noch später zum Yoga kommen. Aber dann geht es in der Regel recht schnell und konsequent, das Leben wird sich recht zügig umwandeln, eben wegen dieser bereits vorhandenen Eindrücke.

Natürlich sind unsere samskaras nicht nur vom letzten Leben abhängig, sondern sie werden auch in diesem Leben weitergeprägt – durch unsere Erziehung, unsere Eltern, unsere Klassenkameraden, unsere Lehrer und durch das, was wir bewußt im Leben tun.

Wir können unsere samskaras ändern. Ein großer Teil des spirituellen Fortschritts besteht darin, die samskaras Schritt für Schritt zu verändern. Das ist einer der Gründe, warum das spirituelle Wachstum so lange dauert. In unserem Unterbewußtsein ist so viel gespeichert – Ärger, Eifersucht, Angst, Selbstsucht, Gier, Zorn, Neid, Haß. All das müssen wir Schritt für Schritt umwandeln. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern dauert seine Zeit. Yoga gibt uns Techniken an die Hand, wie wir bewußt daran arbeiten können. Wir müssen positive Denkgewohnheiten schaffen, unser Unterbewußtsein Schritt für Schritt transformieren.

Auch alle Wünsche, die wir noch haben, prägen uns und unser Leben. Es heißt, daß jeder Wunsch auf irgendeine Art und Weise erfüllt werden muß. Wenn der Wunsch klein ist, kann er auch manchmal im Traum erfüllt werden. Andere können in der Zeit zwischen zwei Leben auf der Astralebene erfüllt werden. Und wieder andere müssen sich auf der physischen Ebene manifestieren. Es ist also wichtig, aufzupassen, welche Wünsche man kultiviert, welche man in sich stark werden läßt. All das hält uns davon ab, zur Wahrheit zu kommen.

Es gibt drei Ursachen, die unseren spirituellen Fortschritt bremsen: die samskaras, das karma und Mangel an ojas, spiritueller Energie.

Unseren Geist auf eine höhere Ebene zu bringen, zu samadhi (überbewußter Zustand), braucht sehr viel ojas, das wir durch systematische spirituelle Praxis und Sublimierung aller anderen Energien erst ansammeln müssen.

Dabei handelt es sich erst einmal um die Grundenergien prana, apana, samana, udana, vyana als Manifestationen des pranas. Durch systematische Yogapraktiken sublimieren wir diese. Auch Wünsche können wir durch Nichterfüllung sublimieren. Und auch andere Impulse und Emotionen können wir sublimieren, in spirituelle Energie umwandeln, indem wir ihnen nicht nachgeben.

Und dann wirkt natürlich karma. Wir haben verschiedene Lektionen zu lernen. Solange wir noch sehr viel karma haben, wird auch die Selbstverwirklichung auf sich warten lassen. Trotzdem heißt es: Wenn es uns trotz allen karmas doch irgendwie gelingt, zu samadhi zu kommen, dann werden die Eindrücke von samadhi so stark sein, daß sie alle anderen Eindrücke ersetzen. Eine tiefe spirituelle Erfahrung wird dann so stark, daß vieles andere abgeschwächt wird und keine so große Rolle mehr spielt. Wenn man eine große Vision, eine tiefe Meditationserfahrung hat und sich dabei dem Unendlichen, Gott oder dem Meister sehr nahe oder verbunden fühlt, dann wird das mit einem Schlag stärker als alles andere. Natürlich können anschließend die anderen Wünsche und samskaras auch wieder wachsen, wenn wir sie füttern, oder sie können noch kleiner werden, wenn wir uns bewußt mehr spirituell orientieren. Wir müssen also auch nach einer solchen Erfahrung wachsam sein und unsere spirituelle Praxis diszipliniert weiterführen.

Deshalb kann man sagen, der spirituelle Weg ist eine Mischung aus schrittweiser Arbeit und plötzlicher Gnade.

Wir arbeiten ganz langsam, ändern, ersetzen einen negativen Gedanken durch einen positiven, eine negative Eigenschaft durch eine positive, alles Schritt für Schritt. Es gibt Rückfälle, wir fallen in alte Gewohnheiten zurück, müssen uns täglich neu motivieren und überwinden. Und plötzlich gibt es eines Tages eine wunderschöne Meditation oder ein tiefgehendes pranayama, und mit einem Schlag sind all die Schwierigkeiten erst einmal verschwunden.

Das Resultat von höheren Bewußtseinszuständen ist, daß sie die samskaras ersetzen. Und das ist auch ein Kriterium, um zu beurteilen, ob eine Erfahrung wirklich samadhi war oder nicht. War es samadhi, dann ändert dieses Erleben etwas Grundlegendes in uns. Wir sind nicht mehr so wie vorher. Unser Denken, Fühlen, Wollen, Mögen und Wünschen haben sich verwandelt.

Audio

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