Kapitel 2, Vers 10

Deutsche Übersetzung:

Die subtilen Formen (der schmerztragenden Leiden) können durch das Zurückführen auf ihren Ursprung vermieden werden.

Sanskrit Text:

te pratiprasava-heyāḥ sūkṣmāḥ ||10||

ते प्रतिप्रसवहेयाः सूक्ष्माः ॥१०॥

te pratiprasava heyah sukshmah ||10||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • te = sie, die Kleshas
  • prati = zurück, dagegen, gegen
  • prasava = Ursprung, Ursache, Keim, Keimen
  • heyaḥ = zu Vermeidendes, zu Überwindendes
  • sūkṣma = subtil, fein

Kommentar

Das heißt im Grunde genommen, kleinere Störungen behandelt man mit swadhyaya oder indem man die kleshas durchgeht.

Nehmen wir das Beispiel Angst. Manche Menschen haben Angst, wenn sie ein Referat, einen Vortrag oder eine Yogastunde halten sollen. In diesem Fall ist natürlich die einfachste Sache ishvara pranidhana, ich mache es als Verehrung Gottes, ich bin Instrument Gottes, und ich habe es deshalb als Aufgabe, weil Gott es eben will. Wenn Gott wollte, daß ein Vollkommener jetzt diesen Vortrag hält, dann hätte er einen Vollkommenen hergeschickt. Gott hat gerade mich in diese Situation hineingeschickt, weil es für die Menschen in der Situation am besten ist, jemanden mit meinem Wissen bzw. Unwissen zu haben. Das hat mir immer sehr oft geholfen und hilft mir auch heute noch.

Eine andere Möglichkeit, mit verschiedenen Ängsten umzugehen, ist, zu versuchen, die Ursache herauszufinden, zu fragen: Warum habe ich jetzt Angst, oder warum bin ich unzufrieden? Dann kann es sein, man stellt fest, ich hatte einen Wunsch, der nicht in Erfüllung gegangen ist, oder es gab etwas, was ich unbedingt vermeiden wollte, und genau das ist eingetreten. Meine Angst kommt also aus einer Identifikation mit einem Wunsch oder aus dem Wunsch, etwas zu vermeiden. Die Ursache davon ist eigentlich nur eine dumme Unwissenheit und das Ganze nur ein großer Irrtum. Wenn wir das erkannt haben, ist es kein Problem mehr. Also es hilft schon einiges, die Ursachen herauszufinden.

Aber das nützt nicht immer. Manche Menschen verbringen zu viel Zeit mit der Ursachenforschung. Das ist einer der Irrtümer der westlichen Psychologie, die davon ausgeht, daß alle Probleme bekämpft werden können, wenn man nur die Ursache kennt. Dann geht man zurück in die Kindheit und kommt zum Schluß, mein Vater und meine Mutter sind das Problem. Dann hat man ein neues Problem. Sich nur mit Vater und Mutter zu beschäftigen, hat die Menschen auch nicht dauerhaft glücklich gemacht. Also geht man noch weiter zurück, zu den Geburtstraumata. Und man stellt fest, die Probleme und Themen, mit denen man im Leben kämpft, waren tatsächlich auch bei der Geburt schon da. Da gibt es dann zum Beispiel die Urschrei-Therapie oder Rebirthing, das ja ursprünglich dazu diente, die Geburt wiederzuerleben. Aber auch das hat die Menschen nicht vollkommen befreit. Deshalb ist man noch weiter zurückgegangen, um herauszufinden, ob irgend etwas passiert ist, während das Kind im Mutterleib war. Auch das reichte nicht aus. Also ging man zurück in das frühere Leben, in zehn Leben, in hundert Leben, in tausend Leben. Manchmal hilft das. Yogis sind zwar keine Befürworter von Zurückgehen in frühere Leben, aber ich kenne Reinkarnationstherapeuten, die behaupten, manchmal helfe es den Klienten, zu erkennen, daß ein bestimmtes Lebensmuster deshalb da ist, weil sie in früheren Leben in dieser Beziehung etwas getan oder erlebt haben. Bei kleineren Sachen kann diese Erkenntnis allein schon hilfreich sein. Aber viele Menschen gehen zuviel in die Ursachenforschung und verlieren sich darin. Wenn die Ursachen für eine Situation nicht so leicht erkennbar sind, gut, dann lassen wir es halt, dann müssen wir uns auf andere Weise helfen.

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