Kapitel 4, Vers 5

Deutsche Übersetzung:

Obwohl die Erscheinungsformen der vielen (chittas) variieren, werden sie von einem gelenkt.

Sanskrit Text:

pravṛtti-bhede prayojakaṁ cittam-ekam-anekeṣām ||5||

प्रवृत्तिभेदे प्रयोजकं चित्तमेकमनेकेषाम् ॥५॥

pravritti bhede prayojakam chittam ekam anekesham ||5||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • pravṛtti = Erscheinungsformen
  • bheda = Unterschied
  • prayojakam = lenkend, verursachend, bewirkt
  • citta = Geist, Verstand
  • eka = ein
  • anekeṣām = von vielen

Kommentar

Für diese drei Verse [Kommentar von Sukadev zu Vers 4, 5 und 6] gibt es zwei Interpretationen. Swami Vishnu interpretiert sie so:

Unser chitta, der Geist im Sinne von Gemüt, kommt vom Ego her. Das Gemüt beginnt letztlich mit dem Ego. Solange wir im Ego sind, sind wir im individuellen Gemüt. Es gibt sehr viele verschiedene chittas – nämlich so viele, wie es Wesen gibt –, aber all diese verschiedenen Gemüter sind Bestandteil des einen kosmischen Geistes.

Im ersten Kapitel (I 17) haben wir eine besondere Meditationstechnik kennengelernt, die in den Stufen von savitarka, nirvitarka, savichara, nirvichara und sananda zu sasmita führt, wo man versucht, aufzuhören, sich mit dem Individuum zu identifizieren.

Nicht einmal auf der physischen Ebene sind wir tatsächlich so getrennt, wie wir immer glauben. Sobald wir zwei Minuten lang nicht atmen, sind wir schon tot – gut, erfahrene pranayama-Yogis können die Luft auch schon mal drei Minuten lang anhalten, aber nach fünf Minuten ist man normalerweise tot. Wir sind also über den Atem verbunden, nicht nur untereinander, sondern mit dem ganzen Universum. Das physische Universum bildet ein organisches Ganzes und wird deshalb in der vedanta als viratswarupa bezeichnet.

Auch auf der emotionalen, psychisch-geistigen Ebene sind wir miteinander verbunden. Wir denken nicht im luftleeren Raum. Unsere Gedanken und Gefühle sind nicht nur beeinflußt von dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, von unserer persönlichen Vergangenheit und unseren Gehirnfunktionen, sondern sie sind auch bestimmt durch andere Gemüter, durch individuelle und kollektive Gedankenschwingungen. Alle zusammen bilden wir das kosmische Gemüt, hiranyagarbha.

Auf der Kausalebene sind wir erst recht nicht getrennt. Gerade auf dieser Ebene stehen wir alle miteinander in Verbindung als ishvara. Ishvara steht für verschiedene Manifestationen Gottes: Viratswarupa, die ganze physische Welt als physischer Körper Gottes. Hiranyagharba, alle Gemüter als zusammenhängende Teile des kosmischen Gemütes. Ishvara, alle Kausalkörper als Teil des universellen Kausalkörpers. Das ist vedanta-Philosophie.

Die samkhya-Philosophie sagt dasselbe mit anderen Worten. Aus dem einen Gemüt, mahat, sind die einzelnen chittas als individuelle Gemüter entstanden. Aber alle diese chittas werden letztlich beherrscht von dem einen kosmischen Geist, eka (= ein).

Wenn uns das bewußt ist, können wir letztlich auch unser eigenes Gemüt Gott opfern. Wir können sagen: „Oh Gott, du bist alles und überall. Du bist auch mein eigenes Gemüt. Du manifestierst dich auch durch meine Gedanken und Emotionen, und auch diese stelle ich dir zur Verfügung. Und all meine Schwächen bist du ja auch. Also stelle ich auch sie zur Verfügung. Und was auch immer ich heute tue, mit Körper, Gedanken, Emotionen, aus meiner eigenen Natur, aus meinem Selbst, aus meinen Verhaftungen heraus, all das opfere ich dir, denn du wirkst durch mich.“

So können wir uns von allen Schuldkomplexen und auf die falsche Ebene gesetzten Vollkommenheitsansprüchen befreien. Denn die physische Welt ist unvollkommen, in ständiger Veränderung. Selbst unsere unvollkommenen Gedanken und Emotionen sind Manifestationen des Göttlichen. Und sogar wenn wir mal aus der Rolle gefallen sind – natürlich sollten wir versuchen, das zu vermeiden –, können wir auch das Gott opfern und sagen: „Oh Gott, du hast dich jetzt so manifestiert, und auch das opfere ich dir.“ Wenn etwas schiefgegangen ist: „Bitte, Gott, kümmere du dich darum.“ Damit gibt man ohne Zweifel eine gewisse Verantwortung ab, und das ist gut so. Aber wir geben nicht alle Verantwortung ab. Vorher und gleichzeitig bemühen wir uns natürlich, uns zu entwickeln, aus Fehlern zu lernen.

Krishna sagt das in der Bhagavad Gita (XVIII 66) wie folgt:

sarvadharmân parityajya
mâm êkam sharanam vratja
aham tvâ sarvapâpêbhyô
môksha ishyâmi mâ shuksha

Sarvadharmân parityajya: Gib alle Pflichten auf. Das beinhaltet auch, alle Vorstellungen von „richtig“ und „falsch“ aufzugeben
Mâm êkam sharanam vratja: Nimm zu mir allein Zuflucht.
Aham tvâ sarvapâpêbhyô: Ich werde dich befreien (moksha) von sarva papa, von allen Sünden und Fehlern.
Môksha ishyâmi mâ shuksha: Mach dir keine Sorgen. Du kommst zur Befreiung.

Eigentlich ist das ja eine anarchistische Aussage: Du kannst machen, was du willst, es spielt keine Rolle. Opfere einfach alles Gott. Gott wird dich von allem befreien. Deshalb macht Krishna anschließend sofort die Einschränkung: „Gib das niemandem weiter, dem es nicht darum geht, zu Gott zu kommen, erzähle dies niemandem, der sich nicht bemüht, zur Vollkommenheit zu gelangen, und erzähle es niemandem, der sich nicht selbst beherrscht.“ (BhG XVIII 67) Denn das gilt nur für Menschen, die sich um Vollkommenheit, Selbstbeherrschung, Dienst am Nächsten und Hingabe an Gott bemühen. Diese vier Kriterien müssen erfüllt sein, dann können wir irgendwann loslassen, die Entscheidung Gott überlassen und unserem Intellekt eine Pause gönnen.

Wem es um all das geht, wer versucht, an sich selbst zu arbeiten, sich Gott hinzugeben, anderen Gutes zu tun, wer nach Befreiung strebt, dem kann man das sagen, denn er bemüht sich ernsthaft, im richtigen Geist, und anschließend kann er sagen: „Oh Gott, was auch immer ich getan habe, überlasse ich dir, einschließlich all meiner Unvollkommenheiten.“ Zuerst bemüht man sich, und dann läßt man los. Das ist das Beste. Es gibt kein besseres Rezept für geistige Entwicklung und Zufriedenheit. Nicht so gut machen, wie man denkt, daß man es können müßte, auch nicht so gut, wie ein anderer es tatsächlich oder vermeintlich machen kann, sondern mit der inneren Einstellung: Ich bin jetzt in diese Situation hineingestellt worden als Teil Gottes, weil meine Fähigkeiten und Möglichkeiten in dieser Situation und in diesem Augenblick die richtigen sind. Wäre ich nicht der Richtige, hätte Gott jetzt jemand anderen dorthin gestellt.

Wir bleiben uns der Tatsache bewußt, daß letztlich alle chittas von dem Einen kontrolliert werden. Und der chitta, der aus dhyana (Meditation, Kontemplation) geboren ist, ist frei von vergangenen Tendenzen, den sogenannten samskaras. Wenn jemand in der Meditation zu höheren Bewußtseinsebenen kommt, ersetzt die Erfahrung der Meditation seine alten samskaras und er erfährt eine grundlegende Veränderung seines Charakters. Wer zur Selbstverwirklichung kommt, wird frei von Unvollkommenheiten. Es geht schon darum, sich von diesen Unvollkommenheiten zu befreien, aber ohne Besessenheit, ohne Fanatismus und ohne sich ein schlechtes Gewissen einzureden.

Diese drei Verse haben noch eine andere, etwas eigenartige Bedeutung, die man in manchen Kommentaren findet:

Ein spiritueller Meister hat auch die Fähigkeit, aus seinem eigenen Geist andere chittas zu schaffen, um so karma schneller auszuarbeiten. Er manifestiert sich also in mehreren Körpern gleichzeitig. Wenn man ein solches chitta allein aus der Meditation schafft, ohne es mit früheren samskaras zu verbinden, hat dieses Gemüt keine samskaras und man kann das karma vorurteilsfrei ausarbeiten.

Die beiden nächsten Verse haben wir schon behandelt (siehe Kommentar zu II 14):

Audio

Kapitel 4, Vers 6

Deutsche Übersetzung:

Von diesen ist der Geist, der aus dhyana geboren ist, frei von vergangenen Eindrücken.

Sanskrit Text:

tatra dhyānajam-anāśayam ||6||

तत्र ध्यानजमनाशयम् ॥६॥

tatra dhyanajam anashayam ||6||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tatra = von ihnen, darin
  • dhyānajam = aus der Versenkung, Meditation entstanden
  • aśaya = Überbleibsel, Sediment, bleibender Eindruck
  • anāśayam = frei von Bedingungen

Kommentar

Für diese drei Verse [Kommentar von Sukadev zu Vers 4, 5 und 6] gibt es zwei Interpretationen. Swami Vishnu interpretiert sie so:

Unser chitta, der Geist im Sinne von Gemüt, kommt vom Ego her. Das Gemüt beginnt letztlich mit dem Ego. Solange wir im Ego sind, sind wir im individuellen Gemüt. Es gibt sehr viele verschiedene chittas – nämlich so viele, wie es Wesen gibt –, aber all diese verschiedenen Gemüter sind Bestandteil des einen kosmischen Geistes.

Im ersten Kapitel (I 17) haben wir eine besondere Meditationstechnik kennengelernt, die in den Stufen von savitarka, nirvitarka, savichara, nirvichara und sananda zu sasmita führt, wo man versucht, aufzuhören, sich mit dem Individuum zu identifizieren.

Nicht einmal auf der physischen Ebene sind wir tatsächlich so getrennt, wie wir immer glauben. Sobald wir zwei Minuten lang nicht atmen, sind wir schon tot – gut, erfahrene pranayama-Yogis können die Luft auch schon mal drei Minuten lang anhalten, aber nach fünf Minuten ist man normalerweise tot. Wir sind also über den Atem verbunden, nicht nur untereinander, sondern mit dem ganzen Universum. Das physische Universum bildet ein organisches Ganzes und wird deshalb in der vedanta als viratswarupa bezeichnet.

Auch auf der emotionalen, psychisch-geistigen Ebene sind wir miteinander verbunden. Wir denken nicht im luftleeren Raum. Unsere Gedanken und Gefühle sind nicht nur beeinflußt von dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, von unserer persönlichen Vergangenheit und unseren Gehirnfunktionen, sondern sie sind auch bestimmt durch andere Gemüter, durch individuelle und kollektive Gedankenschwingungen. Alle zusammen bilden wir das kosmische Gemüt, hiranyagarbha.

Auf der Kausalebene sind wir erst recht nicht getrennt. Gerade auf dieser Ebene stehen wir alle miteinander in Verbindung als ishvara. Ishvara steht für verschiedene Manifestationen Gottes: Viratswarupa, die ganze physische Welt als physischer Körper Gottes. Hiranyagharba, alle Gemüter als zusammenhängende Teile des kosmischen Gemütes. Ishvara, alle Kausalkörper als Teil des universellen Kausalkörpers. Das ist vedanta-Philosophie.

Die samkhya-Philosophie sagt dasselbe mit anderen Worten. Aus dem einen Gemüt, mahat, sind die einzelnen chittas als individuelle Gemüter entstanden. Aber alle diese chittas werden letztlich beherrscht von dem einen kosmischen Geist, eka (= ein).

Wenn uns das bewußt ist, können wir letztlich auch unser eigenes Gemüt Gott opfern. Wir können sagen: „Oh Gott, du bist alles und überall. Du bist auch mein eigenes Gemüt. Du manifestierst dich auch durch meine Gedanken und Emotionen, und auch diese stelle ich dir zur Verfügung. Und all meine Schwächen bist du ja auch. Also stelle ich auch sie zur Verfügung. Und was auch immer ich heute tue, mit Körper, Gedanken, Emotionen, aus meiner eigenen Natur, aus meinem Selbst, aus meinen Verhaftungen heraus, all das opfere ich dir, denn du wirkst durch mich.“

So können wir uns von allen Schuldkomplexen und auf die falsche Ebene gesetzten Vollkommenheitsansprüchen befreien. Denn die physische Welt ist unvollkommen, in ständiger Veränderung. Selbst unsere unvollkommenen Gedanken und Emotionen sind Manifestationen des Göttlichen. Und sogar wenn wir mal aus der Rolle gefallen sind – natürlich sollten wir versuchen, das zu vermeiden –, können wir auch das Gott opfern und sagen: „Oh Gott, du hast dich jetzt so manifestiert, und auch das opfere ich dir.“ Wenn etwas schiefgegangen ist: „Bitte, Gott, kümmere du dich darum.“ Damit gibt man ohne Zweifel eine gewisse Verantwortung ab, und das ist gut so. Aber wir geben nicht alle Verantwortung ab. Vorher und gleichzeitig bemühen wir uns natürlich, uns zu entwickeln, aus Fehlern zu lernen.

Krishna sagt das in der Bhagavad Gita (XVIII 66) wie folgt:

sarvadharmân parityajya
mâm êkam sharanam vratja
aham tvâ sarvapâpêbhyô
môksha ishyâmi mâ shuksha

Sarvadharmân parityajya: Gib alle Pflichten auf. Das beinhaltet auch, alle Vorstellungen von „richtig“ und „falsch“ aufzugeben
Mâm êkam sharanam vratja: Nimm zu mir allein Zuflucht.
Aham tvâ sarvapâpêbhyô: Ich werde dich befreien (moksha) von sarva papa, von allen Sünden und Fehlern.
Môksha ishyâmi mâ shuksha: Mach dir keine Sorgen. Du kommst zur Befreiung.

Eigentlich ist das ja eine anarchistische Aussage: Du kannst machen, was du willst, es spielt keine Rolle. Opfere einfach alles Gott. Gott wird dich von allem befreien. Deshalb macht Krishna anschließend sofort die Einschränkung: „Gib das niemandem weiter, dem es nicht darum geht, zu Gott zu kommen, erzähle dies niemandem, der sich nicht bemüht, zur Vollkommenheit zu gelangen, und erzähle es niemandem, der sich nicht selbst beherrscht.“ (BhG XVIII 67) Denn das gilt nur für Menschen, die sich um Vollkommenheit, Selbstbeherrschung, Dienst am Nächsten und Hingabe an Gott bemühen. Diese vier Kriterien müssen erfüllt sein, dann können wir irgendwann loslassen, die Entscheidung Gott überlassen und unserem Intellekt eine Pause gönnen.

Wem es um all das geht, wer versucht, an sich selbst zu arbeiten, sich Gott hinzugeben, anderen Gutes zu tun, wer nach Befreiung strebt, dem kann man das sagen, denn er bemüht sich ernsthaft, im richtigen Geist, und anschließend kann er sagen: „Oh Gott, was auch immer ich getan habe, überlasse ich dir, einschließlich all meiner Unvollkommenheiten.“ Zuerst bemüht man sich, und dann läßt man los. Das ist das Beste. Es gibt kein besseres Rezept für geistige Entwicklung und Zufriedenheit. Nicht so gut machen, wie man denkt, daß man es können müßte, auch nicht so gut, wie ein anderer es tatsächlich oder vermeintlich machen kann, sondern mit der inneren Einstellung: Ich bin jetzt in diese Situation hineingestellt worden als Teil Gottes, weil meine Fähigkeiten und Möglichkeiten in dieser Situation und in diesem Augenblick die richtigen sind. Wäre ich nicht der Richtige, hätte Gott jetzt jemand anderen dorthin gestellt.

Wir bleiben uns der Tatsache bewußt, daß letztlich alle chittas von dem Einen kontrolliert werden. Und der chitta, der aus dhyana (Meditation, Kontemplation) geboren ist, ist frei von vergangenen Tendenzen, den sogenannten samskaras. Wenn jemand in der Meditation zu höheren Bewußtseinsebenen kommt, ersetzt die Erfahrung der Meditation seine alten samskaras und er erfährt eine grundlegende Veränderung seines Charakters. Wer zur Selbstverwirklichung kommt, wird frei von Unvollkommenheiten. Es geht schon darum, sich von diesen Unvollkommenheiten zu befreien, aber ohne Besessenheit, ohne Fanatismus und ohne sich ein schlechtes Gewissen einzureden.

Diese drei Verse haben noch eine andere, etwas eigenartige Bedeutung, die man in manchen Kommentaren findet:

Ein spiritueller Meister hat auch die Fähigkeit, aus seinem eigenen Geist andere chittas zu schaffen, um so karma schneller auszuarbeiten. Er manifestiert sich also in mehreren Körpern gleichzeitig. Wenn man ein solches chitta allein aus der Meditation schafft, ohne es mit früheren samskaras zu verbinden, hat dieses Gemüt keine samskaras und man kann das karma vorurteilsfrei ausarbeiten.

Die beiden nächsten Verse haben wir schon behandelt (siehe Kommentar zu II 14):

Audio

Kapitel 4, Vers 7

Deutsche Übersetzung:

Für einen Yogi ist karma weder weiß noch schwarz; für andere ist es von dreierlei Art.

Sanskrit Text:

karma-aśukla-akṛṣṇaṁ yoginaḥ trividham-itareṣām ||7||

कर्माशुक्लाकृष्णं योगिनः त्रिविधमितरेषाम् ॥७॥

karma ashukla akrishnam yoginah trividham itaresham ||7||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • karmā = Handlung und Wirkung, Gesetz von Ursache und Wirkung
  • aśuklā = nicht weiß
  • a-kṛṣṇa = nicht schwarz
  • yoginaḥ = für einen Yogi
  • tri = drei
  • tri-vidhā = dreifach, von dreierlei Art
  • itareṣām = von anderen, für andere

Kommentar

Für einen Yogi gibt es kein gutes oder schlechtes karma. Alles, was kommt, sind Aufgaben, Erfahrungen, an denen wir wachsen können, aus denen wir lernen können. Das heutige Vergnügen kann die Ursache für morgigen Schmerz sein. Der heutige Schmerz kann die Ursache für morgiges Vergnügen sein. Ein Yogi sieht und beurteilt die Welt und ihre Erscheinungen nicht mehr nach schön oder nicht schön, angenehm oder unangenehm. Für ihn ist alles gut und richtig so, wie es ist.

Für andere ist es dreifach, nämlich gut, schlecht oder gemischt.

Audio

Kapitel 4, Vers 8

Deutsche Übersetzung:

Aus diesem (dreierlei karma) reifen die Früchte entsprechend der Art der Wünsche.

Sanskrit Text:

tataḥ tad-vipāka-anugṇānām-eva-abhivyaktiḥ vāsanānām ||8||

ततः तद्विपाकानुग्णानामेवाभिव्यक्तिः वासनानाम् ॥८॥

tatah tad vipaka anugnanam eva abhivyaktih vasananam ||8||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tataḥ = von da, dann
  • tad = dessen
  • vipāka = Ergebnis, Früchte
  • tad-vipāka = reifen, entstehen
  • anu-guṇānam = entsprechend
  • eva = nur
  • abhi = zur
  • vyakti = Erscheinungsform, Manifestation
  • abhi-vyakti = auftauchen, entstehen
  • vāsana = Wünsche, Neigungen, subtile Triebe

Kommentar

Was wir uns wünschen, das tritt ein. Prakriti (die Schöpfung, die Welt) ist für den purusha (die Seele, das Bewußtsein) da, und zwar aus zwei Gründen: Einmal, damit purusha die Erfahrungen machen kann, die er sich wünscht und die für ihn notwendig sind. Zum zweiten für die Befreiung des purusha aus dem Labyrinth der Welt. Diese Welt, das, was auf uns zukommt, ist auf der einen Seite das, was wir uns gewünscht haben, und auf der anderen Seite das, was wir brauchen, weil es für unsere Evolution förderlich ist (siehe auch II 18).

Audio

Kapitel 4, Vers 9

Deutsche Übersetzung:

Es besteht eine unmittelbare Aufeinanderfolge (Wunsch und die passende karmische Situation), selbst wenn sie durch soziale Stellung, Ort und Zeit unterbrochen zu sein scheint. Denn es sind Erinnerung und unterbewußte Eindrücke des gleichen Wesens.

Sanskrit Text:

jāti deśa kāla vyavahitānām-apy-āntaryāṁ smṛti-saṁskārayoḥ ekarūpatvāt ||9||

जाति देश काल व्यवहितानामप्यान्तर्यां स्मृतिसंस्कारयोः एकरूपत्वात् ॥९॥

jati desha kala vyavahitanam apy antaryam smriti sanskarayoh ekarupatvat ||9||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • jāti = Klasse, Art, soziale Schicht, Qualität
  • deśa = Ort
  • kāla = Zeit
  • vyavahita = unterbrochen, getrennt
  • api = sogar, trotzdem
  • anantaryaṁ = unmittelbare Aufeinanderfolge, Kontinuität
  • smṛti-saṁskārayoḥ = von Erinnerung und Eindrücken
  • eka = eins
  • rūpa = Form, Wesen

Kommentar

Das ist das Gesetz des karmas.

Aus unseren Wünschen folgt irgendwann einmal das Resultat. Oder aus unserer Handlung folgt die Reaktion. Aktion führt zu Reaktion. Handlung und Wunsch bergen ihre Erfüllung in sich. Daneben gibt es Lektionen, die gelernt werden müssen. Aktion und Reaktion, Wunsch und Ereignis, Handlung und darauffolgendes Ereignis sind unmittelbar miteinander verknüpft, auch wenn es äußerlich so scheint, als hätten sie keinen Zusammenhang, als läge alles mögliche dazwischen. Es mag sein, daß wir heute jemanden gequält haben, und in 25 Jahren werden wir auf dieselbe oder ähnliche Art und Weise gequält. Das erscheint dann zu jenem Zeitpunkt in 25 Jahren als blindes Schicksal, denn wir haben ja dann in dem Moment nichts Schlimmes getan, aber es rührt eben von der Ursache her, die wir vor langer Zeit gesetzt haben.

Oder vor zehn Jahren haben wir uns etwas gewünscht, und jetzt plötzlich haben wir es. Oftmals wollen wir es dann gar nicht mehr, oder es paßt gar nicht mehr in die aktuelle Lebenssituation hinein. Dazwischen hat sich vieles geändert – Ort, Zeit und Stellung. Das karma muß aber trotzdem geerntet werden.

Vom Standpunkt der vorhandenen samskaras aus, der Eindrücke in unserem Gemüt, folgt das eine direkt auf das andere. Für unser momentanes Bewußtsein sieht es so aus, als läge eine große Zeitspanne oder gar ein oder mehrere Leben dazwischen.

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Kapitel 4, Vers 10

Deutsche Übersetzung:

Sie (die Wünsche, Eindrücke) haben keinen Anfang, denn der Wunsch zu leben ist ewig.

Sanskrit Text:

tāsām-anāditvaṁ cāśiṣo nityatvāt ||10||

तासामनादित्वं चाशिषो नित्यत्वात् ॥१०॥

tasam anaditvam chashisho nityatvat ||10||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tāsām = sie, von denen
  • anāditvaṁ = kein Anfang
  • ca = und, auch
  • āśiṣaḥ = der Wunsch zu leben
  • nityatvāt = von Ewigkeit, von Dauer

Kommentar

Deshalb heißt es, diese maya, die Welt der Täuschung, ist anadi, ohne Anfang. Wünsche haben keinen Anfang. Die maya hat keinen Anfang.

Stelle dir als Analogie die Traumwelt vor. Wann hat die Handlung deines Traumes angefangen? Angenommen, du träumst, du wärst Wissenschaftler und wolltest nun analysieren und zurückverfolgen, wie alt diese Traumwelt ist. Wann hat sie angefangen? Manche Menschen halten es für absolut phantastisch, wenn sie im Traum innerhalb weniger Minuten einen Zeitraum von zwanzig Jahren erlebt haben. Aber das ist ein Irrtum. In Wirklichkeit träumen sie innerhalb von ein paar Minuten Milliarden und Abermilliarden von Jahren. Denn wir träumen von der fertigen Welt und die Welt ist Milliarden oder Billionen oder Trillionen Jahre alt.

Die Schöpfung hat aber glücklicherweise ein Ende. Wann nämlich? Wann hat die Schöpfung ein Ende? Dann wenn das eintritt, was der Name dieses Kapitels ist – kaivalya, Befreiung. Ist die Befreiung erreicht, dann verschwindet die Welt für uns. Dann erkennen wir: Es gab die Welt nicht wirklich.

Wann hat die Traumwelt ein Ende? – Wenn wir aufwachen. Was passiert dann mit den ganzen Menschen im Traum? Hast du dir das schon mal überlegt? Man hatte einen Traum mit so vielen Menschen, Tieren, Pflanzen, Gebäuden und allem möglichen. Was passiert damit, wenn wir aufwachen? – Es verschwindet für uns. Genauso ist es, wenn man die Selbstverwirklichung erreicht. Als Zwischenzustand gibt es noch jivanmukta (lebendig Befreiter), wo man zwar die Welt noch so sieht wie die anderen, aber gleichzeitig weiß: In Wirklichkeit bin ich reines Bewußtsein.

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Kapitel 4, Vers 11

Deutsche Übersetzung:

Da sie (die Wünsche und Eindrücke) durch Ursache, Wirkung, Unterstützung und Objekte zusammengehalten werden, verschwinden zusammen mit diesen Faktoren auch die Wünsche.

Sanskrit Text:

hetu-phala-āśraya-ālambanaiḥ-saṁgṛhītatvāt-eṣām-abhāve-tad-abhāvaḥ ||11||

हेतुफलाश्रयालम्बनैःसंगृहीतत्वातेषामभावेतदभावः ॥११॥

hetu phala ashraya alambanaih sangrihitatvat esham abhave tad abhavah ||11||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • hetu = Ursache
  • phala = Wirkung, Frucht
  • āśraya = Unterstützung, beruhend auf, aufeinander beruhen
  • ālambanaiḥ = Stütze, Objekt, Berührung
  • saṁgṛhītatvāt = Zusammenhang
  • eṣām = von diesen
  • abhāve = beim Verschwinden, nicht sein
  • tad = von diesen
  • abhāvaḥ = Verschwinden

Kommentar

Hier gibt Patanjali uns Tipps, wie wir die Wünsche beseitigen können. Wenn wir eines dieser vier Dinge ausschalten, können wir die Wünsche ausschalten.

Fangen wir von hinten an, mit den Objekten. Wünsche werden durch Objekte zusammengehalten. Wenn wir einen Wunsch längere Zeit nicht mehr befriedigen, was passiert dann mit dem Wunsch? – Irgendwann hört er auf. Das gibt uns auch einen gewissen Trost. Wenn wir etwas vermissen, wissen wir, irgendwann wird dieses Gefühl schwächer. Es heißt ja auch so schön: Die Zeit heilt alle Wunden. Wenn man sich als Kind weh getan hat, haben einem die Eltern gesagt: Spätestens wenn du heiratest, hast du es vergessen. Da liegt etwas Wahres drin.

Das andere ist Unterstützung. Ein Wunsch wird unterstützt, wenn wir ständig an ihn denken. Wenn wir etwas nicht haben und jahrelang daran denken, es haben zu wollen, dann hört der Wunsch natürlich nicht auf. Wir können versuchen, diese Unterstützung loszulassen, nicht daran zu denken. Zum Beispiel, indem wir uns ablenken, an etwas anderes denken oder auch einen Wunsch nach etwas anderem entwickeln. Im ersten Kapitel hat Patanjali uns ja auch diesen Tip gegeben: Wenn irgendwelche Hindernisse auftauchen, sollte man an etwas Positives denken. So ähnlich können wir auch hier verfahren. Es reicht nicht aus, nur zu sagen: Ich will oder sollte diesen Wunsch nicht mehr haben. Den Trick kennt du vielleicht: „Versuche jetzt mal, nicht an eine grüne Ameise zu denken.“ – An was denkst du? – Zum ersten Mal in deinem Leben an eine grüne Ameise! Es nützt nicht viel, sich ständig zu sagen, ich darf daran nicht denken.

Wenn wir einen Wunsch loswerden wollen, sollten wir zuerst den klaren Entschluß fassen, diesen Wunsch nicht mehr zu haben. Nach diesem klaren Entschluß müssen wir aufhören, jeden Tag von neuem mit uns selbst zu debattieren. So geht es vielen Menschen. Sie wollen irgend etwas aufgeben, fassen einen Entschluß, und am nächsten Tag fangen sie wieder an, mit sich selbst zu diskutieren. Kennst du das? – „Nur einmal, und so schlecht ist es ja nun auch wieder nicht, und der andere macht es ja auch, und ich könnte ja auch erst nächste Woche anfangen…..“

Darüber haben wir gesprochen bei der Schulung des Willens und Entwicklung von vairagya (Leidenschaftslosigkeit, Wunschlosigkeit; siehe I 16). Wir sollten einen Entschluß fassen. Und wenn wir für den Entschluß noch nicht ganz reif sind, verschieben wir ihn und machen ihn etwas kleiner. Zum Beispiel, statt ganz mit etwas aufhören, nehmen wir uns vor: Ich mache es nur noch dreimal die Woche. Aber das, was wir uns vorgenommen haben, halten wir auch ein.

Aber der Entschluß allein reicht nicht aus. Wir müssen ein Konzept für den Moment entwickeln, wenn der Wunsch kommt. Denn er wird mit Sicherheit kommen. Wir müssen uns also überlegen, was will ich machen bzw. denken, wenn der Wunsch wieder auftaucht. Wir müssen den Wunsch bzw. den Gedanken daran durch etwas Positives ersetzen, an etwas anderes denken oder innerlich ein mantra wiederholen. Wenn wir so vorgehen, gelingt es uns, unseren Entschluß Schritt für Schritt umzusetzen.

Und schließlich: Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung ist letztlich Handlung und Reaktion. Ursprünglich tun wir irgend etwas, erfüllen uns einen Wunsch, und als Wirkung bekommen wir ein Vergnügen. Dieses Vergnügen schafft dann wieder eine Ursache: Irgendwie ist es gut, schmeckt gut, tut gut und wir wollen es noch mal haben. Dadurch unterstützen wir den Wunsch und sorgen dafür, daß wir das nötige Objekt wieder bekommen. Und so geht es immer weiter. Das Objekt ist wieder eine neue Ursache, es hat Spaß gemacht, wir unterstützen es wieder, wollen es wieder haben, setzen eine neue Ursache, die wieder eine Wirkung nach sich zieht, und so sind wir ständig in dieser Kette. Diese Kette können wir überall erkennen. Werbung ist zum Beispiel eine Ursache. Als Wirkung kommt der Wunsch. Wir denken öfter daran, schließlich beschaffen wir uns das Objekt. Das Objekt führt, wenn wir Pech haben, dazu, daß es uns gefällt. Die Konsequenz ist Vergnügen. Das ist eine neue Ursache, die zu neuen Wirkungen führt. Wir wollen es nochmals haben, denken öfter daran, und erfüllen den Wunsch wieder …. So entsteht eine endlose Kette.

Audio

Kapitel 4, Vers 12

Deutsche Übersetzung:

Vergangenheit und Zukunft existieren in ihrer eigenen Form; aus den unterschiedlichen Wegen ergeben sich die verschiedenen Eigenschaften.

Sanskrit Text:

atīta-anāgataṁ svarūpato-’sti-adhvabhedād dharmāṇām ||12||

अतीतानागतं स्वरूपतोऽस्तिअध्वभेदाद् धर्माणाम् ॥१२॥

atita anagatam svarupato ’sti adhvabhedad dharmanam ||12||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • atīta = Vergangenheit
  • anāgataṁ = Zukunft, noch nicht geschehen
  • svarūpataḥ = in ihrer eigenen Form
  • asti = existieren, bleiben
  • adhva = Weg, Pfad
  • bhedāt = wegen der Unterschiedlichkeit
  • adhva-bhedāt = wegen unterschiedlichen Pfaden, Veränderungen
  • dharmāṇāṁ = von Dharma, von Pflichterfüllung, von der natürlichen Aufgabe von etwas

Kommentar

Die Welt existiert getrennt vom Menschen. Die verschiedenen Wege des Individuums erschaffen, was die verschiedenen Eigenschaften, Charakteristika, der Welt zu sein scheinen. Damit wird prakriti von purusha getrennt. Das heißt, die Welt existiert auch ohne unser Zutun. Das klingt banal, aber oft sind wir nicht so ganz davon überzeugt, sondern glauben, daß wir alles nur durch unser Tun schaffen.

Vom absoluten Standpunkt der vedanta-Philosophie her gesehen gibt es gar keine Welt.

Auf einer gewissen Ebene haben wir natürlich eine Verantwortung und auch einen freien Willen.

Aber von einem etwas höheren Standpunkt aus sind beide nicht so groß, wie wir eigentlich denken. Von einem recht hohen Standpunkt aus geschieht alles, wie es geschehen soll. Wie es etwa Krishna in der Bhagavad Gita ausdrückt: Wir sind nur Marionetten in den Händen Gottes.

Diese unterschiedlichen Standpunkte der jeweiligen Philosophiesysteme zu verstehen und einzunehmen, ist sehr wichtig. Sie widersprechen sich teilweise vollkommen, sind aber trotzdem gleichzeitig gültig, je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man sie gerade betrachtet.

Es widerspricht sich, daß wir einerseits einen freien Willen haben sollen. Und andererseits haben wir gar keinen freien Willen, sondern alles ist vorbestimmt. Und vom höchsten Standpunkt aus geschieht gar nichts. Trotzdem ist alles wahr. Das ist die einzige Weise, Wahrheit zu erklären. Ein solches Paradoxon befriedigt den Intellekt nicht unbedingt. Aber auch die moderne Physik muß manchmal auf Paradoxien zurückgreifen, um Naturgesetze zu erklären.

Zum Beispiel gibt es diesen unerklärlichen Dualismus beim Licht. Bis heute weiß niemand genau, was Licht ist. Die einen sagen, Licht ist eine Welle, die anderen sagen, Licht besteht aus Teilchen, und neuerdings sagt die Mehrheit der Wissenschaftler, Licht ist sowohl Welle als auch Teilchen. Aber nach allen physikalischen Gesetzen kann eine Sache nicht gleichzeitig Welle und Teilchen sein. Entweder ist Licht ein Teilchenstrom, der von einer Lampe ausgeht und über die Teilchen, die sogenannten Photonen, Licht abgibt. Oder es muß einen Lichtäther geben, der sich bewegt und die Wellen in diesem Äther sind das Licht. Nun wurden verschiedene Experimente durchgeführt, die eindeutig beweisen, daß Licht aus Teilchen besteht. Es wurde nachgewiesen, daß Lichtteilchen Kraft und Masse haben. Es gibt aber auch andere Experimente, die ganz eindeutig beweisen, daß Licht nicht Teilchen ist, sondern eine Welle. Aber Licht kann nicht gleichzeitig Teilchen und Welle sein! Das geht nicht. Das ist unmöglich. Aber es ist eindeutig so, daß Licht sich manchmal wie Teilchen verhält und manchmal wie eine Welle, obwohl es beides zusammen nicht sein kann. Das ist der sogenannte Teilchen-Wellen-Dualismus, den man inzwischen nicht nur beim Licht findet, sondern bei der Materie an sich.

Materie selbst kann man von einem Standpunkt aus als eine Wahrscheinlichkeitswelle definieren. Mit dieser Theorie kann man einige Phänomene von Materie gut erklären. Das nur als Beispiele. Überall, wo man tiefer in die Wahrheit hineingeht, trifft man auf diese Paradoxien.

Die Wirklichkeit ist nicht vom menschlichen Intellekt her begreifbar. Es ist ohnehin eine unglaubliche Anmaßung, anzunehmen, die Wirklichkeit müsse für den Menschen logisch ergründbar sein. Inzwischen weiß man, daß der Mensch niemals alles über das physische Universum wissen kann. Nicht deshalb, weil er noch nicht weit genug ist, weil unsere Computer noch nicht fortgeschritten genug sind, weil wir noch nicht genügend Neuronen im Gehirn haben, sondern ganz einfach deshalb, weil die Welt nicht logisch erfaßbar ist. Sie verhält sich nicht entsprechend dieser „normalen“ menschlichen Logik, so wenig wie sie sich nach der Logik eines Hundes oder eines Pferdes verhält.

Wenn wir das im Hintergrund haben, können wir auch besser verstehen, daß die Meister und die Schriften manchmal im gleichen Kontext sagen: „Du bist der Meister deines Schicksals“ und kurz danach: „Gott macht alles.“ In der Bhagavad Gita finden wir diese scheinbaren Widersprüche etliche Male. Auf Arjunas Bitte sagt Krishna: „Ich habe schon alles gemacht, du brauchst nichts mehr zu machen.“ Und kurz danach erzählt er ihm: „Es ist deine Pflicht, zu kämpfen.“ Und nach einer Weile sagt er: „Du kannst gar nicht anders, als es zu tun. Wenn du es nicht tust, wird die Natur dich dazu zwingen, du hast gar keine freie Wahl.“ Kurz danach erzählt er wieder etwas anderes („tu was du willst“). Und zwar nicht deshalb, weil Krishna unlogisch ist, sondern weil so die Wirklichkeit beschaffen ist. Er spricht von verschiedenen Standpunkten aus.

Das hilft uns übrigens auch, nicht allzu sehr und zu lange mit einem schlechten Gewissen herumzulaufen, wenn wir etwas falsch gemacht haben oder etwas nicht so gut geglückt ist. Es hilft, Dingen nicht nachzuhängen oder nachzutrauern: „Ach, hätte ich das doch anders gemacht, hätte ich doch schon vor zwanzig Jahren nach meinem ersten Kontakt mit Yoga weitergemacht, oder hätte ich ….“ Wir können zurückblicken und sagen: Letztlich ist das geschehen, was geschehen sollte. Aber gleichzeitig darf man nicht die Einstellung haben: „Ich kann ja sowieso nichts machen, alles ist Kismet.“ In jedem Moment muß ich so entscheiden und handeln, als ob ich voll verantwortlich wäre – allerdings ohne mich deshalb innerlich damit zu binden. Ganz im Hintergrund habe ich im Kopf: Ich kann mich nicht falsch entscheiden, ich kann nicht wirklich etwas falsch machen, weil Gott es schon vorherbestimmt hat. Das ist eine sehr positive und konstruktive Weltanschauung.

Eine andere Erklärung für diesen Aphorismus wäre:

Es gibt nicht nur eine Welt, sondern es gibt verschiedene Welten. Eigentlich existieren alle Möglichkeiten der Entscheidung, die wir jemals gehabt haben, gleichzeitig parallel.

Es gibt also dieses Universum, diese Ebene, auf der wir uns in einer Situation so entschieden haben. Gleichzeitig gibt es ein paralleles Universum, wo man sich ganz anders entschieden hat. Und nicht nur eins, denn wie oft hat man im Leben schon Entscheidungen getroffen? – Natürlich trifft man ununterbrochen Entscheidungen: „Soll ich jetzt noch länger arbeiten und diese Arbeit abschließen, oder soll ich eine Pause machen und Getreidekaffee trinken oder spazierengehen?“ „Soll ich etwas essen oder nicht, soll ich Gemüse oder Salat essen oder Suppe oder Müsli?“ „Soll ich aufstehen, obwohl ich noch müde bin, oder den Wecker abstellen und weiterschlafen?“ Und wie oft im Leben hast du schon wichtige, einschneidende Entscheidungen getroffen? Eine Entscheidung kann auch dann einschneidend gewesen sein, wenn man nichts gemacht hat, es einfach so hat weiterlaufen lassen. Aber man stand vor einer Entscheidung, man hatte die Wahl.

Und jetzt stelle dir vor, jede dieser Entscheidungen ist eine Welt für sich. Das heißt, du lebst in jeder Entscheidungswelt und hast dort in der Zwischenzeit wieder Hunderte von Entscheidungen getroffen. All diese Möglichkeiten existieren gleichzeitig überall. Wir bewegen uns durch diese verschiedenen Möglichkeiten hindurch. Unsere Entscheidungen bestimmen nicht die Welt, sondern den Weg, den wir durch die verschiedenen Welten gehen.

Angenommen, in einem Raum wären zehn Ameisen, die losrennen. Unterwegs machen sie immer wieder Umwege und denken dann, sie beeinflussen das Universum. Wenn sie mehr nach rechts gehen, wird plötzlich das Universum heller, wenn sie nach links gehen, wird es dunkler oder verändert seine Farben, und wenn sie zum Ende des Raumes oder an eine Seitenwand kommen, wird das Universum plötzlich zur Mauer. Zehn Ameisen, die sich gegenseitig nicht sehen können, erfahren zehn unterschiedliche Universen, aber der Raum bleibt gleich.

Das ist ein ganz faszinierender Gedanke. Im Traum schaffen wir uns auch selbst noch zusätzliche Universen. Wobei natürlich diese Universen auch Berührungspunkte haben. Es gibt ja Träume, bei denen wir mit dem Astralkörper aus dem physischen Körper austreten und dann vielleicht sogar in die Zukunft sehen. Und am nächsten Tag oder ein paar Jahre später kommen wir in eine Situation oder an einen Ort und wissen ganz genau, was als nächstes geschehen wird. Wir waren schon da. Und es geschieht tatsächlich so, wie wir es im Traum bereits erlebt haben.

Jetzt erhebt sich aber die Frage: Sind es wirklich verschiedene Universen? Sind es nicht einfach verschiedene Ebenen?

Letzlich ist es das gleiche Universum, das sich auf verschiedene Weise manifestieren kann, ein multidimensionales Universum. Je nachdem, in welche Richtung wir gehen, bestimmen wir unsere Erlebnisebene. Von unserem jetzigen Blickwinkel aus sind es verschiedene Universen. Wenn zehn Ameisen von einer Stelle losgehen, nimmt die eine den Weg durch das Gras, die andere über die Steine, die dritte über den Teppichboden – jede davon beschreibt die Erde ganz anders und erlebt ein anderes Universum.

Dazu gibt es eine berühmte alte Geschichte: Der König der Blinden hörte von einem Elefanten. Er schickte nacheinander fünf Gesandte hin, die herausfinden und beschreiben sollten, was ein Elefant ist. Der erste Gesandte berührte die Beine des Elefanten und sagte: „Oh König, der Elefant ist wie eine große Säule.“ Der König dachte: Gut. Aber einer kann sich irren, sicherheitshalber schicke ich einen zweiten hin. Der Zweite kam hin und faßte den Bauch des Elefanten an. Er sagte: „Oh König, der Elefant ist wie ein großes, weiches, durchhängendes Dach.“ Das fand der König nun recht merkwürdig. Er schickte einen Dritten, der überprüfen sollte, wer von beiden recht hatte. Der Dritte faßte an den Stoßzahn des Elefanten und sagte: „Oh König, der Elefant ist wie ein spitzer Ast, gebogen und hart.“ Nun war der König ganz verwirrt und schickte den Vierten los. Der Vierte faßte hinten an den Schwanz und sagte: „Oh König, der Elefant ist wie ein großes Haarbüschel.“ Und schließlich kam der Fünfte zurück, der hatte an den Rüssel gefaßt und sagte: „Oh König, der Elefant ist wie ein weicher, flexibler Schlauch.“ Wer von ihnen hat recht?

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Kapitel 4, Vers 13

Deutsche Übersetzung:

Sie, ob manifestiert oder unmanifestiert, existieren in den drei gunas.

Sanskrit Text:

te vyakta-sūkṣmāḥ guṇa-atmānaḥ ||13||

ते व्यक्तसूक्ष्माः गुणात्मानः ॥१३॥

te vyakta sukshmah guna atmanah ||13||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • te = sie, diese
  • vyakta = manifestiert, offensichtlich
  • sūkṣmāḥ = subtil, unmanifestiert
  • guṇa = drei Eigenschaften der Materie, physisch
  • atmānaḥ = das Absolute, spirituell

Kommentar

Nachdem Patanjali großartig vom Universum, Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft berichtet hat, sagt er jetzt, letztlich existiert alles nur aus den drei gunas heraus, den drei Eigenschaften der Natur.

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Kapitel 4, Vers 14

Deutsche Übersetzung:

Die Besonderheit eines Objektes ist die (für dieses Objekt spezielle) Einzigartigkeit in der Veränderung (der gunas).

Sanskrit Text:

pariṇāma-ikatvāt vastu-tattvam ||14||

परिणामैकत्वात् वस्तुतत्त्वम् ॥१४॥

parinama ikatvat vastu tattvam ||14||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • pariṇāma = Wandlung, Veränderung
  • ekatvāt = einzigartig
  • vastu = Objekt
  • tattva = Essenz, Wirklichkeit, Besonderheit

Kommentar

Ein Objekt besteht nur aus einem bestimmten Mischungsverhältnis von gunas. Aus der Sicht der Physik kann man sagen: In gewisser Weise bestehen alle Elemente nur aus Elektronen, Neutronen, Protonen. Die Elektronen sind rajas, sie bewegen sich ständig. Die Protonen sind gewissermaßen tamas, sie führen zur Trägheit. Die Neutronen sind sattva, sie gleichen aus. Und aus diesen drei sind alle Elemente geschaffen. Der Unterschied zwischen Gold, Eisen, Blei, Zink, Sauerstoff besteht nur aus einer unterschiedlichen Anordnung von Elektronen, Neutronen und Protonen.

Das kann man ins Subtilere weiterführen: Der Unterschied zwischen einem Gedanken, einem Harmonium, einer Uhr und einer Brille ist nur die Zusammensetzung der gunas. Alles ist eine Gotteserfahrung, eine Manifestation des Göttlichen, des Seienden. Es ist alles eins. Der Unterschied besteht nur im Mischungsverhältnis von sattva, rajas und tamas.

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Kapitel 4, Vers 15

Deutsche Übersetzung:

Ist das Objekt dasselbe, rührt der (augenscheinliche) Unterschied (zwischen zwei Wahrnehmungen) von den verschiedenen Wegen der chittas her.

Sanskrit Text:

vastusāmye citta-bhedāt-tayorvibhaktaḥ panthāḥ ||15||

वस्तुसाम्ये चित्तभेदात्तयोर्विभक्तः पन्थाः ॥१५॥

vastusamye chitta bhedat tayorvibhaktah panthah ||15||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • vastu = Objekt
  • sāmya = Gleichheit
  • citta = Verstand, Geist
  • bheda = Veränderung, Verschiedenheit
  • tayoḥ = deren
  • vibhakta = verschieden, getrennt
  • panthāḥ = Wanderer, Wege

Kommentar

Dasselbe Objekt kann auf zwei Menschen ganz unterschiedlich wirken.

Zwei Menschen kommen zu einem Yogaseminar. Der eine findet es ganz phantastisch, hat wunderbare Erfahrungen, öffnet sich, fühlt sich aufgeladen, sein Leben verändert sich grundlegend. Der zweite reist nach dem zweiten Tag ab: den ganzen Tag irgendwelche Verrenkungen, Nase zuhalten, Atem anhalten, eigenartiges Gesinge weit ab von jedem Takt und höherem Kunstverständnis, und den ganzen Tag auf dem Boden sitzen. Gleiches Objekt – zwei vollkommen verschiedene Erfahrungen.

Die Objekte an sich sind unterschiedlich, je nach Zusammensetzung der gunas, und das gleiche Objekt kann auch ganz unterschiedlich wirken. Es kann auf zwei Menschen unterschiedlich wirken oder auch auf denselben Menschen, je nachdem, in welchem Gemütszustand er gerade ist.

Angenommen, wir sitzen abends zusammen, meditieren, singen mantras und hören einen Vortrag über Raja Yoga an. Jemand kommt herein, der um fünf Uhr morgens aufgestanden ist und den ganzen Tag hart gearbeitet hat. In der Meditation schläft er halb, das Mantrasingen wiegt ihn langsam in den Schlaf und beim Vortrag kann er endlich entspannen. Der gleiche Mensch zwei Tage später: ausgeschlafen, ausgeruht, fühlt sich besser, meditiert achtsam, ist in einem erhabenen Gemütszustand, singt „Jaya Ganesha“ voller Enthusiasmus, und beim Vortrag hört er jedes einzelne Wort aufmerksam an. Gleiche Situation, unterschiedliches chitta.

Deshalb sollten wir auch immer vorsichtig sein, wenn wir etwas beurteilen. Unser Urteil ist nicht nur vom Objekt geprägt, sondern auch durch unseren Gemütszustand.

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Kapitel 4, Vers 16

Deutsche Übersetzung:

Ein Objekt ist nicht von einem Verstand abhängig. Was würde geschehen, wenn es nicht erkannt würde?

Sanskrit Text:

na caika-citta-tantraṁ cedvastu tad-apramāṇakaṁ tadā kiṁ syāt ||16||

न चैकचित्ततन्त्रं चेद्वस्तु तदप्रमाणकं तदा किं स्यात् ॥१६॥

na chaika chitta tantram chedvastu tad apramanakam tada kim syat ||16||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • na = nicht
  • ca = und
  • eka = ein
  • citta = Verstand, Geist
  • tantram = abhängig von
  • cet = ist
  • vastu = Objekt, Ding
  • tat = das
  • apramāṇakaṁ = nicht erkannt, nicht wahrnehmen
  • tadā = dann, danach
  • kim = was
  • syāt = würde geschehen

Kommentar

Hier widerspricht Patanjali der vedanta-Philosophie, die sagt: Die Objekte existieren nur deswegen, weil es einen Geist gibt, der sich ihrer bewußt ist. In dem Moment, wo keiner mehr an sie denkt, hören die Objekte auf zu existieren. Sie sind nur eine Illusion.

Aber genau genommen ist es kein Widerspruch, sondern eine Frage des Standpunktes.

Von unserem subjektiven Standpunkt aus existieren die Objekte natürlich, egal ob wir an sie denken oder nicht. Manchmal mißverstehen Menschen, mindestens für praktische Zwecke, die vedanta– und advaita-Philosophie. Zum Beispiel glauben Menschen manchmal, sie könnten eine Krankheit einfach wegdenken. Manchmal klappt es auch, weil Gedanken eine starke Kraft sind. Aber allein die Tatsache, nicht an etwas zu denken, macht es nicht ungeschehen – so wenig, wie den Kopf in den Sand zu stecken. Neulich habe ich das bei einem kleinen Jungen beobachtet – irgend etwas hat ihm nicht gefallen, da hat er sich die Decke über den Kopf gezogen. Dann exisitiert das Ding nicht mehr. Vogel-Strauß-Politik. Wir schließen die Augen, dann guckt keiner hin. Nur, die Probleme löst man so nicht immer…

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Kapitel 4, Vers 17

Deutsche Übersetzung:

Je nachdem, ob das Objekt den Verstand färbt, ist es diesem bekannt oder unbekannt.

Sanskrit Text:

tad-uparāga-apekṣitvāt cittasya vastu-jñātājñātaṁ ||17||

तदुपरागापेक्षित्वात् चित्तस्य वस्तुज्ञाताज्ञातं ॥१७॥

tad uparaga apekshitvat chittasya vastu jnatajnatam ||17||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tad = das, dessen
  • uparāga = färben, nahe sein, erregen
  • tad-uparāga = emotionale Vorprägung
  • apekṣitvāt = unseren Erwartungen, erwarten
  • cittasya = für, durch Chitta, alles Wandelbare des Menschen
  • vastu = Objekt, Situation, Person
  • jñāta = gewusst, gekannt, erkannt
  • ajñātaṁ = nicht gewusst, verkannt

Kommentar

Das ist die subtile Theorie der Wahrnehmung aus der samkhya– und yoga-Philosophie.

Der Geist wird dort mit einem Kristall verglichen, der sich durch das Objekt verfärbt, oder mit einem See, in dem sich die Gegenstände spiegeln. Stellt man einen roten Gegenstand hinter einen Bergkristall, dann sieht der Kristall rot aus. Derselbe Kristall vor einem gelben Hintergrund sieht gelb aus. Der Geist nimmt die Farbe der Objekte um uns herum an, wobei Farbe hier allegorisch zu verstehen ist. Der Geist nimmt auch Klänge, Bewußtseinsinhalte, Reaktionsmuster usw. an. Der Geist nimmt ein Objekt nur dann wahr, wenn dieses Objekt ihn färbt. An sich kennt unser Gehirn erst einmal gar nichts. Das Objekt muß irgendwie unser Gehirn, unseren Geist, färben, damit wir uns daran erinnern bzw. das nächste Mal eine Assoziation herstellen.

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Kapitel 4, Vers 18

Deutsche Übersetzung:

Da die Natur des purushas (Selbst) unveränderlich ist, sind die Gedanken des Geistes dem Selbst immer bekannt.

Sanskrit Text:

sadājñātāḥ citta-vrttayaḥ tat-prabhoḥ puruṣasya-apariṇāmitvāt ||18||

सदाज्ञाताः चित्तव्र्त्तयः तत्प्रभोः पुरुषस्यापरिणामित्वात् ॥१८॥

sadajnatah chitta vrttayah tat prabhoh purushasya aparinamitvat ||18||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sadā = immer
  • jñātāḥ = bekannt
  • citta = Verstand, Geist
  • vṛttayaḥ = Gedanken, Modifikationen
  • tat-prabhoḥ = von seinem Herrn
  • puruṣasya = des Purusha, des Selbst
  • aparināmitvāt = wegen der Unveränderlichkeit

Kommentar

Purusha, das Selbst, die Seele, ist immer da. Um ihn herum gibt es den Geist, chitta. Purusha nimmt immer und in jedem Moment alle Veränderungen des Geistes wahr. Das chitta bekommt über die äußeren Sinne Wissen von der Welt. Purusha schaut sich die Welt durch das chitta hindurch an und ist sich aller Empfindungen und Gedanken des chitta bewußt. Chitta sieht ab und zu mal etwas nicht. Wenn wir schlafen, sehen wir die Welt nicht. Purusha aber ist niemals müde. Wir sprechen jetzt von chitta als unserem bewußten Geist. Daneben gibt es natürlich noch den unbewußten Geist, aber das steht auf einem anderen Blatt.

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Kapitel 4, Vers 19

Deutsche Übersetzung:

Weil er wahrnehmbar ist, ist der Geist nicht selbst-erleuchtend.

Sanskrit Text:

na tat-svābhāsaṁ dṛśyatvāt ||19||

न तत्स्वाभासं दृश्यत्वात् ॥१९॥

na tat svabhasam drishyatvat ||19||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • na = nicht
  • tat = dessen
  • svā = selbst
  • bhāsa = erleuchtend, leuchtend, erkennend
  • svā-bhāsam = selbst erleuchtend, selbst erkennend
  • dṛśyatvāt = Wahrnehmbarkeit, ein wahrnehmbares Objekt

Kommentar

Der Geist an sich erkennt nichts. Er erkennt deshalb, weil purusha als Bewußtsein in ihm ist.

Er ist dem Mond vergleichbar. Der Mond strahlt nicht selbst, sondern spiegelt nur die Sonne. Und ein Spiegel hat keine Farbe an sich, sondern gibt seine Umgebung wider. Auch ein Bergkristall hat keine Farbe, sondern nimmt von seiner Umgebung die jeweilige Färbung an. Unser Gemüt, unser Geist nimmt nicht selbst etwas wahr und schafft auch nicht selbst etwas, sondern er nimmt die Farbe der Objekte an. Er kann auch aus der Erinnerung heraus die Farbe von früheren Objekten annehmen. Er kann die Farben auch mischen und so Kreativität entwickeln. Aber die Erkenntnis kommt von purusha.

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