Kapitel 2, Vers 46

Deutsche Übersetzung:

Die asana (Sitzhaltung) soll fest und bequem sein.

Sanskrit Text:

sthira-sukham-āsanam ||46||

स्थिरसुखमासनम् ॥४६॥

sthira sukham asanam ||46||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sthira = kraftvoll, fest, unbewegt, stabil
  • sukha = bequem, angenehm, glücklich, leicht, entspannt
  • āsana = Asana, Haltung, Sitzstellung, Körper-Praxis

Kommentar

Für die Meditation sollte die Sitzhaltung längere Zeit unbeweglich und entspannt möglich sein. Sie sollte angenehm sein. Durch Übung ergibt sich das im Laufe der Zeit.

Das gilt aber auch für die Hatha Yoga asanas. Auch sie sollten fest und angenehm sein, sie sollten keine Quälerei sein, obwohl sie auch anstrengend sein können.

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Kapitel 2, Vers 47

Deutsche Übersetzung:

Die Stellung wird durch Loslassen von Spannungen und durch Meditation auf das Unendliche gemeistert.

Sanskrit Text:

prayatna-śaithilya-ananta-samāpatti-bhyām ||47||

प्रयत्नशैथिल्यानन्तसमापत्तिभ्याम् ॥४७॥

prayatna shaithilya ananta samapatti bhyam ||47||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • prayatna = Spannung, Anstrengung, Atem
  • śaithilya = Weichheit, Entspannung, Loslassen
  • ananta = das Endlose
  • samāpatti = durch Meditation, Konzentration, Treffen
  • abhyām = beides

Kommentar

Jetzt erklärt Patanjali, wie wir die Stellung meistern, nämlich nicht mit Gewalt, sondern durch Entspannen und Meditieren. Wir lassen erst einmal los, entspannen den Körper und meditieren dann über das Unendliche.

Das gilt auch für die Hatha Yoga asanas. Wenn wir zum Beispiel in der Kobra (Yogastellung) sind, gibt es natürlich gewisse Muskeln, die wir anspannen – manche Gesäßmuskeln, mittlerer und unterer Rücken, Latissimus, ein paar Oberarmmuskeln, Trapezius –, aber das Gesicht bleibt entspannt, der Bauch ist entspannt, Zehen sind entspannt u.s.w. Wir lassen in der Stellung los und entspannen. Wenn wir dann in der asana sind, können wir uns vorstellen: Ich meditiere über das Unendliche, ich bin verbunden mit dem Unendlichen, ich bin eins mit dem Unendlichen – das ist eine schöne Weise, asanas auszuführen und Vollkommenheit darin zu erreichen.

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Kapitel 2, Vers 48

Deutsche Übersetzung:

Durch diese (Meisterung der asanas) wird man frei von den Angriffen der Gegensatzpaare.

Sanskrit Text:

tato dvaṅdva-an-abhighātaḥ ||48||

ततो द्वङ्द्वानभिघातः ॥४८॥

tato dvandva an abhighatah ||48||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tata = davon (von der Beherrschung der Haltung)
  • dvaṅdva = Gegensatzpaare
  • an = nicht
  • abhighāta = Angriffe, Niederlage
  • anabhighātaḥ = Freiheit von Angriffen, Sieg, Herrschaft

Kommentar

Die dvandvas, Zweiheiten – von dva, zwei – greifen einen nicht mehr an. Wenn wir die asana mit dieser inneren Einstellung ausführen, werden wir nicht mehr so schnell berührt von den Gegensatzpaaren wie Hitze und Kälte, Vergnügen und Schmerz, Lob und Tadel, angenehm und unangenehm, gutes Essen oder schlechtes Essen, fades oder versalzenes Essen u.s.w.

Wir lernen es, in der Meditation reglos zu sitzen. Wenn uns eine Fliege über die Nase kriecht, was machen wir? – Ruhig sitzenbleiben. Wenn uns langsam eine Stechmücke ansaugt, schenken wir ihr in der Meditation Liebe und einen Tropfen Blut, so daß sie damit glücklich werden kann. Wenn wir allerdings eine Allergie haben gegen Moskitos, was machen wir dann? – Dann verjagen wir ihn. Und wenn uns die Hüfte weh tut, was machen wir? Wir bleiben ruhig sitzen. Und wenn sie extrem wehtut, was machen wir? Wir bewegen uns. Es gibt Grenzen, man muß abwägen und den gesunden Verstand einschalten, denn wir wollen uns nicht irgendwie schädigen. Aber wir lassen los, wir bleiben ruhig sitzen, so weit es möglich ist und so lernen wir Gleichmut.

Bei Seminaren gibt es häufig Glaubenskriege unter den Yogaschülern. Es gibt die Partei der Fenster-auf- und die der Fenster-zu-Anhänger. Und die können sich richtig streiten. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß schlechte Luft auf Sauerstoffmangel zurückzuführen sei. Der Mensch verbraucht gar nicht so viel Sauerstoff. Selbst bei geschlossenen Türen und Fenstern gibt es in der Regel noch genügend Luftaustausch und der Sauerstoffgehalt in der Luft nimmt nicht wirklich ab. Was man riecht, ist nicht der Mangel an Sauerstoff, sondern die Ausdünstungen der Menschen. Bei schlechter Luft ist immer noch genügend Sauerstoff da, aber es sind Geruchspartikel in der Luft und die sind nicht so schädlich! Umgekehrt erkältet man sich auch nicht von Kühle. Es gibt ausreichend Versuche, die zeigen, daß ein Mensch allein davon, daß er im Kalten sitzt, keine Erkältung bekommt. Ein bißchen zu frieren, ist nicht so schlimm, und wenn es mal ein bißchen riecht, ist es auch nicht schlimm. Wir können also ruhig sitzenbleiben und diesen Gleichmut inmitten der dvandvas entwickeln.

Natürlich gibt es auch kompliziertere dvandvas, Gegensatzpaare, die nicht so leicht aufzulösen sind.

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Kapitel 2, Vers 49

Deutsche Übersetzung:

Die nächste Stufe ist pranayama, die Beherrschung der Bewegung von Einatmung und Ausatmung.

Sanskrit Text:

tasmin sati śvāsa-praśvāsyor-gati-vicchedaḥ prāṇāyāmaḥ ||49||

तस्मिन् सति श्वासप्रश्वास्योर्गतिविच्छेदः प्राणायामः ॥४९॥

tasmin sati shvasa prashvasyor gati vichchhedah pranayamah ||49||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tasmin = nach dieser, nach Asana
  • sati = gewesen, erreicht
  • śvāsa = Einatmung
  • praśvāsa = Ausatmung
  • gati = Bewegung, physische Bewegung
  • viccheda = Überschreiten, Transzendenz, Unterbrechung, Anhalten, Aufhören, Beherrschung
  • prāṇa = Lebensenergie
  • yāma = Binden, Regulieren
  • āyāma = Lösen, Befreien
  • prāṇāyāma = Harmonie mit der Lebensenergie, Atemübungen des Yoga

Kapitel 2, Vers 50

Deutsche Übersetzung:

Pranayama ist Einatmung, Ausatmung oder Anhalten des Atems; es wird durch Ort, Zeit und Dauer reguliert und fortschreitend verlängert und verfeinert.

Sanskrit Text:

bāhya-ābhyantara-sthambha vṛttiḥ deśa-kāla-sankhyābhiḥ paridṛṣṭo dīrgha-sūkṣmaḥ ||50||

बाह्याभ्यन्तरस्थम्भ वृत्तिः देशकालसन्ख्याभिः परिदृष्टो दीर्घसूक्ष्मः ॥५०॥

bahya abhyantara sthambha vrittih desha kala sankhyabhih paridrishto dirgha sukshmah ||50||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • bāhya = Äußeres, Ausatmen
  • abhyantara = Inneres, Einatmen
  • stambha = Festigkeit, Ruhe, Unterdrückung, Anhalten
  • vṛtti = Welle, Gedanke, Bewegung, Gedankenwellen
  • deśa = Ort, Technik
  • kāla = Zeit
  • saṁkhyābhi = Anzahl, Mathematik
  • paridṛṣṭa = gemessen, reguliert, genau beobachtet, geprüft
  • dīrgha = verlängert, lange
  • sūkṣma = subtil, verfeinert, fein

Kommentar

Dieser Vers ist in seiner Einfachheit genial. Darin sind alle pranayama-Techniken zusammengefaßt. Denn eigentlich bestehen alle Atemübungen darin, daß man einatmet, anhält und ausatmet. Es gibt Ort, Zeit und Dauer. Ort: zum Beispiel durch das linke Nasenloch einatmen, durch das rechte Nasenloch ausatmen, durch den Mund ausatmen, tiefe Bauchatmung, Bauch- und Brustatmung – das sind verschiedene Orte der Atmung. Zeit: zum Beispiel vier Sekunden lang einatmen, sechzehn Sekunden lang anhalten, acht Sekunden ausatmen. Und Dauer: Wir können vier Runden machen, oder eine halbe Stunde oder zwei Stunden lang üben. Damit sind alle Atemübungen beschrieben. Alle Atemübungen bestehen aus einer entsprechenden Veränderung von Ort, Zeit und Dauer der Ein- und Ausatmung und des Anhaltens.

Und jetzt sagt Patanjali, das pranayama wird fortschreitend verlängert. Man macht mehr und mehr pranayama, gut, vielleicht nicht das ganze Leben lang immer mehr, sonst würde man irgendwann nur noch Atemübungen machen. Aber man beginnt mit der pranayama-Praxis ganz sanft, erhöht die Menge und Dauer langsam und schrittweise. Auch das Atemanhalten wird im Laufe der Zeit typischerweise immer länger.

Der nächste Schritt ist besonders wichtig: es wird verfeinert, wird subtiler. Am Anfang ist es wichtig, wie man die Hand hält, ob die Schultern gerade und locker sind und nicht hochgezogen, ob das Kinn richtig zur Brust gesenkt ist u.s.w. Irgendwann ist das nicht mehr so wichtig, der Körper ist richtig in der Stellung, wir brauchen uns nicht mehr darum zu kümmern. Das pranayama wird feiner, subtiler, und es wird immer wichtiger, wie man sich konzentriert. Man nimmt das prana mehr und mehr wahr, und schließlich sitzt man einfach da und steuert das prana. Man braucht dann gar keine großartigen äußeren Dinge mehr zusätzlich zu machen. Man hält zwar trotzdem noch die Luft an, atmet auch an der richtigen Stelle aus, aber das ist dann nicht mehr das Wichtige. Das Wichtige wird die subtile Lenkung von prana.

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Kapitel 2, Vers 51

Deutsche Übersetzung:

Die vierte Art des pranayama geht über den Bereich von Einatmung und Ausatmung hinaus.

Sanskrit Text:

bāhya-ābhyantara viṣaya-akṣepī caturthaḥ ||51||

बाह्याभ्यन्तर विषयाक्षेपी चतुर्थः ॥५१॥

bahya abhyantara vishaya akshepi chaturthah ||51||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • bāhya = äußerer
  • abhyantara = innerer
  • viṣayā = Bereich, Sphäre
  • bāhya-ābhyantra = Äußeres Anhalten, das Atemanhalten nach der Ausatmung
  • abhyantra-viṣayā = Das Atemanhalten nach der Einatmung
  • ākṣepī = darüber hinausgehend, transzendieren
  • caturtha = das Vierte

Kommentar

Das ist kevala kumbhaka, der meditative Atem. Man atmet nicht mehr ein und aus und hält die Luft an, sondern der Atem setzt von selbst aus. Auch das kannst du zuerst üben: Atme bewußt wenig Luft ein und wenig Luft aus, so daß Ein- und Ausatmung ineinander übergehen und die Entfernung, die der Atem aus den Nasenlöchern macht, sehr klein wird. Dies führt zu einer wunderbaren Konzentration. Irgendwann setzt der Atem vielleicht sogar ganz aus. Das geschieht in der Meditation oder am Ende einer guten pranayama-Sitzung irgendwann von selbst. Wenn das geschieht, lasse es einfach zu. Du brauchst keine Angst zu haben. Du fällst nicht in Ohnmacht und hast auch keinen Sauerstoffmangel. Das gilt vielmehr als die höchste Form des pranayama.

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Kapitel 2, Vers 52

Deutsche Übersetzung:

Dadurch wird der Schleier, der das Licht verhüllt, entfernt.

Sanskrit Text:

tataḥ kṣīyate prakāśa-āvaraṇam ||52||

ततः क्षीयते प्रकाशावरणम् ॥५२॥

tatah kshiyate prakasha avaranam ||52||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tataḥ = (von tata) dann, davon
  • kṣīyate = wird aufgelöst, verschwindet, reduziert sich
  • prakāśa = Licht
  • āvarana = Bedeckung, Schleier, Hülle

Kommentar

Kevala kumbhaka als höchste Form im besonderen und pranayama im allgemeinen entschleiern, enthüllen das Licht. Wer regelmäßig pranayama übt, hat ein Gefühl von Licht, von Leichtigkeit, von Erleuchtung, von Energie, fühlt sich sehr licht, leicht und weit.

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Kapitel 2, Vers 53

Deutsche Übersetzung:

Dadurch wird der Verstand tauglich für dharana (Konzentration).

Sanskrit Text:

dhāraṇāsu ca yogyatā manasaḥ ||53||

धारणासु च योग्यता मनसः ॥५३॥

dharanasu cha yogyata manasah ||53||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • dhāraṇāsu = für Konzentration
  • ca = und
  • yogyatāḥ = Eignung, Befähigung, Kompetenz
  • manas = Geist, Verstand

Kommentar

Atemübungen sind das Beste, um Konzentrationsfähigkeit zu entwickeln.

Meine große Schwierigkeit am Anfang des spirituellen Weges war, daß ich nicht meditieren konnte, weil mein Geist sehr aktiv war. Ich konnte mich zwar auf äußere Objekte gut konzentrieren. Ich konnte gut lernen, aber mich auf Om oder ein mantra zu konzentrieren, das ging nicht. Ich habe dann jeden, dessen ich habhaft werden konnte, gefragt: „Was soll ich tun, um besser meditieren zu können?“ Daraufhin habe ich natürlich viele Ratschläge bekommen. Einer davon war, viel pranayama zu üben. Das habe ich dann auch gemacht, und es hat schließlich dazu geführt, daß mein Geist sich besser konzentrieren konnte.

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Kapitel 2, Vers 54

Deutsche Übersetzung:

Wenn die Sinne nicht in Kontakt mit den Objekten treten und gleichsam in die Natur des Geistes eingehen, entsteht pratyahara (Zurückziehen der Sinne).

Sanskrit Text:

svaviṣaya-asaṁprayoge cittasya svarūpānukāra-iv-endriyāṇāṁ pratyāhāraḥ ||54||

स्वविषयासंप्रयोगे चित्तस्य स्वरूपानुकारैवेन्द्रियाणां प्रत्याहारः ॥५४॥

svavishaya asanprayoge chittasya svarupanukara iv endriyanam pratyaharah ||54||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sva = eigen, sein
  • viṣaya = Objekt, Gegenstand
  • a = nicht
  • saṁprayoge = in Berührung kommen, Zusammenkommen, Vereinen
  • citta = alles Wandelbare des Menschen, Geist, Verstand
  • sva = eigen
  • rūpa = Form
  • svarūpa = eigene Form, eigene Natur
  • anukāra = nachahmen, annehmen, übernehmen
  • eva = als ob, wie
  • indriya = durch die Sinne, mit den Wahrnehmungsorganen
  • pratyāhāra = Abstraktion, Zurückziehen

Kommentar

Anstatt die Sinne weiterhin unkontrolliert nach außen gehen zu lassen, lernen wir die Fähigkeit, die Sinne nach innen zu bringen und so in unserem Inneren zu bleiben. Im Normalfall gehen die Sinne ständig nach außen. Man hört etwas und will sofort reagieren, denkt darüber nach. Man sieht etwas und denkt darüber nach oder will es gleich haben. Der Mensch sieht eine schöne Blume im Wald – was macht er? Er will sie haben und pflückt sie. Er sieht ein Kleidungsstück in einem Geschäft, das ihm gefällt – was macht er? Er kauft es.

Da gibt es eine schöne Geschichte. Es war einmal ein Minister in einem indischen Königreich. Jeden Tag ritt er mit einem wunderbar geschmückten Pferd, das eine prachtvolle Decke trug, zum Palast. Er selbst war prächtig gekleidet und mit Diamanten und Juwelen geschmückt. Ein alter Bettler im Park sah ihn jeden Tag vorbeikommen. Nach ein paar Jahren sagte er zu dem Minister: „Ich danke dir so sehr.“ Der Minister fragte: „Warum dankst du mir?“ Der Bettler antwortete: „Du hast mich so reich beschenkt, vor allem mit deinen Juwelen.“ Der Minister fürchtete, er habe vielleicht Juwelen verloren und der Bettler habe sie gefunden. Deshalb fragte er: „Habe ich dir Juwelen gegeben?“ Da sagte der Bettler: „Nein, aber jeden Morgen und jeden Abend sehe ich dich geschmückt mit diesen Juwelen. Das ist ein so schöner Anblick für mich.“ Die Moral von der Geschichte: Der Bettler sieht die Juwelen und erfreut sich daran, aber der Minister sieht sie nicht, während er sie trägt. Der Bettler hätte natürlich auch anders empfinden können. Er hätte vor Neid erstarren und denken können: „Der hat all diese Juwelen, und ich armer Schlumpf muß von Bettelgaben leben.“ Aber er hat sich daran erfreut. So können wir uns an Dingen freuen, ohne sie zu besitzen.

Wir können aber auch die Sinne nach innen ziehen und gar nicht mehr an die äußeren Objekte denken. Auch eine Übung, die man ab und zu machen kann, wenn man plötzlich den Wunsch nach irgend etwas hat: Man versucht, den Geist nach innen zu bringen. Es gibt verschiedene Techniken, wie man den Geist von äußeren Objekten wegziehen kann. Die einfachste ist, sich bewußt auf den Atem zu konzentrieren oder ein mantra zu wiederholen oder beides zusammen.

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Kapitel 2, Vers 55

Deutsche Übersetzung:

So entsteht die höchste Meisterschaft über die Sinne.

Sanskrit Text:

tataḥ paramā-vaśyatā indriyāṇām ||55||

ततः परमावश्यता इन्द्रियाणाम् ॥५५॥

tatah parama vashyata indriyanam ||55||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tata = dann, davon, daraus, so
  • paramā = höchste, größte
  • vaśya = Herrschaft, Macht, Kontrolle
  • indriya = über die Sinne, Wahrnehmungsorgane

Kommentar

Wenn wir in der Lage sind, den Geist immer dann, wenn die Sinne nach außen gehen, wieder zurückzuziehen und innen zu behalten, so lange wir wollen, ist es pratyahara.

Volles pratyahara ist auch, wenn über uns jemand mit dem Schlagbohrer bohrt, während wir in der Meditation sitzen und wir es nicht merken.

Da gibt es ein Ereignis aus dem Leben von Swami Sivananda. Einmal sagte er, er wolle den ganzen Tag hauptsächlich meditieren und deshalb nicht ins Büro kommen. Seine Schüler dachten in diesem Moment nicht mehr daran, daß das der Tag war, an dem die Straße gemacht werden sollte, die direkt an Swami Sivanandas kutir (Hütte) vorbeiführte. Den ganzen Tag arbeiteten die Straßenbauer also dort mit dem Preßlufthammer und allem, was so mit dem Straßenbau zusammenhängt. Am Abend, als Swami Sivananda zum satsang (gemeinsame Meditation) kam, entschuldigten sich die Schüler, daß sie ihn nicht vorgewarnt hatten. Er fragt, wieso und wovor. „Na ja, die Straßenarbeiten …“ Swami Sivananda sagte: „Ich habe nichts gehört“ und war wirklich total erstaunt, als sie ihm das sagten. Er war nicht nur höflich, sondern er hatte tatsächlich nichts gehört. Er hatte einen Preßlufthammer direkt neben seinem Meditationsraum nicht gehört. Das ist pratyahara in Vollendung.

Dieses Beispiel soll uns nun nicht frustrieren ob unseres eigenen Entwicklungsstandes, sondern uns zeigen, daß wir auch irgendwann einmal so weit kommen werden. Auch wir werden diesen Zustand erreichen. Wenn wir üben.

Zusammenfassung

Das zweite Kapitel hat drei Hauptthemen:

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