Suche
  • TIPP: Nutze die Suche, um bestimmte Verse zu finden.
  • z. B.: die Eingabe 01-21 bringt dir 1. Kapitel, 21 Vers.
Suche Menü

15-08 Kommentar Sukadev

Dies ist eine wunderschöne Aussage. Wir sind in diesem Körper, und letztlich haben nicht wir unseren Körper, sondern Ishvara, Gott, hat diesen Körper angenommen. Wenn wir diesen Körper verlassen, verlassen nicht wir diesen Körper, sondern Ishvara. Wenn dann anschließend unser Astralkörper irgendwohin geht, dann gehen nicht wir irgendwohin, sondern Ishvara. Wenn wir uns später wieder inkarnieren, sind es nicht wir, sondern dann ist es wieder Ishvara.

Auf dieser Ebene sind wir alle ein Teil, ein Ausdruck von Ishvara.

Wir können wirklich spüren und erfahren: Nicht „ich“ bin hier ganz allein, ein Häufchen Elend oder ein stolzer Berg, je nach Betrachtungsweise, sondern wir stehen alle miteinander in Verbindung und Ishvara ist in und hinter allem.

Alles ist miteinander verbunden

Einige Beispiele mögen diese universelle Verbundenheit illustrieren:

– Bewege deinen rechten Zeigefinger. Stell dir vor, der rechte Zeigefinger denkt jetzt, ich bewege mich. Wer bewegt tatsächlich den rechten Zeigefinger? – Du. Du bewegst ihn und der Finger denkt, er bewegt sich. Ebenso bewegst und besitzt du scheinbar diesen Körper und denkst, du bist es – in Wirklichkeit ist es Ishvara, der alles bewegt und steuert.

– Manche Organe des menschlichen Körpers haben individuelle Selbstregelungsmechanismen. Das Herz hat beispielsweise einen eigenen Schrittmacher. Es wird vom ganzen Körper beeinflusst, kann sich aber auch selbst beeinflussen. Es hat also eine gewisse Handlungsfreiheit und -kompetenz, aber nur eine bedingte und auch nur im Rahmen des Eingebundenseins in ein größeres Ganzes.

– Angenommen, eine Zelle des Körpers entscheidet sich, ihre Aufgabe nicht mehr zu erfüllen und nicht das zu tun was zum Wohl des Körpers notwendig ist. Was passiert mit einer solchen Zelle? – Sie wird von Makrophagen aufgefressen. Wenn es die Makrophagen nicht schaffen und die Zelle meint, ihre revolutionäre Freiheitsphilosophie weitergeben zu müssen: „Ich nehme mir was ich brauche, gebe aber nichts her“ – dann wächst sie sich zum Krebs aus. Dann versucht der Körper kleine Krebszellengewebe zu eliminieren und wenn das nicht geht, versucht er das Gewebe wenigstens so zu verkapseln, dass die anderen Zellen sich nicht weiter anstecken können. Dieser Tumor versucht trotzdem Kapillargefäße zu bilden, damit das Blut ihn weiter mit Nährstoffen versorgt. Wenn die Krebszellen den abgekapselten, eingebetteten Tumor sprengen, muss die individuelle Seele den Körper verlassen. Was passiert dann mit den Krebszellen, die sich so mutig dem normalen Gang der Dinge entgegen gestellt haben? Sie verschwinden mit dem Rest des Körpers auch.

Handlungs- und Entscheidungsfreiheit

So stellt sich auch in unterschiedlichem Kontext die Frage: Haben wir Handlungs- und Entscheidungsfreiheit oder nicht? Die Antwort ist Jein. Freiheit ja, aber in beschränktem Maße, weil die übergeordnete Instanz, die kosmische Ordnung oder der kosmische Organismus dafür sorgen, dass der Gang der Dinge wieder so wird wie er sein soll.

So kann uns dieser Vers zu großer Entspannung verhelfen. Nicht ich bin es, der die Verantwortung hat, sondern Ishvara. Wenn es dem Körper schlecht geht, ist es nicht meine Schuld, sondern Ishvaras. Wenn ich wegen der Krankheit des Körpers manche Dinge und Aufgaben nicht machen kann, ist es auch nicht meine Schuld. Ishvara hätte mir einen besseren Körper geben können, dann hätte ich mehr tun können. So können wir ganz entspannt sein.

 

Engagiertes selbstloses Dienen

Aber das darf wiederum nicht zum Vorwand und zur Entschuldigung für Tamas, für Faulheit und Disziplinlosigkeit werden. Krishna hat nicht umsonst im vorherigen Kapitel viel über Tamas gesprochen, u.a.: „Nicht der, der untätig ist kommt zu Brahman.“ Wir müssen uns sehr wohl bemühen, zu Sattwa zu kommen, und zwar mit ganzem Einsatz, aktiv, engagiert, leidenschaftlich. „Leidenschaft“ ist im Deutschen kein so glückliches Wort, weil es „Leiden schafft“. „Enthusiastisch“ oder „engagiert“ trifft es vielleicht am ehesten. Engagement plus Verantwortungsbewusstsein. Es ist die Grundhaltung, etwas zu tun, weil ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, selbst wenn es schwer fällt.

Swami Vishnu-devananda, mein Meister, hatte diese Einstellung sehr ausgeprägt. Hier einige Beispiele, wie selbstverständlich er sich mit ganzem Herzen und mit seiner ganzen Kraft und Energie eingesetzt hat:

– Wenn eine Broschüre fertig werden musste und er tagsüber nicht dazu gekommen ist, hat er halt nachts daran gearbeitet. Das wird ihm auch nicht immer leicht gefallen sein, aber er hat es gemacht, weil es seine Aufgabe und notwendig war. Und er hat es mit großem Engagement getan und viel auf sich genommen, um Yoga zu verbreiten – nicht aus dem Ego heraus, sondern als Dienst an Gott. Er hat seinen Körper und Geist als Instrument zur Verfügung gestellt und war bereit alles dafür zu geben.

– Wenn Swami Vishnu auf Vortragstour in seinen Zentren unterwegs war, saß er oft jeden Tag im Flugzeug. Kaum kam er im Center an, hat er sofort mit den dortigen Mitarbeitern Gespräche geführt, in der Zwischenzeit stundenlang mit anderen Zentren in der ganzen Welt telefoniert, danach gab er Mantra-Weihen, anschließend hielt er einen Vortrag und nach dem Vortrag wollten noch viele Leute mit ihm sprechen, denn er kam ja nur einmal im Jahr. Am nächsten Morgen ging es direkt weiter, in dem er den Satsang leitete. Danach folgten weitere Gespräche und Beratungen von Schülern, und wenige Stunden später ging es mit dem Flugzeug zum nächsten Center, wo er dasselbe intensive Programm hatte. So ging das ununterbrochen über mehrere Wochen, jeden Tag. Da das außer ihm kein Mensch dauerhaft durchhielt, wechselten sich alle paar Wochen die Assistenten und Assistentinnen ab, die ihn begleiteten und ihm beim Organisieren etc. halfen.

Es war aber trotzdem nicht so, dass er unendlich physische Stärke hatte. Er war manchmal auch müde. Aber er hat uns viel erhebende Momente und Wonne geschenkt, und für ihn bedeutete es letztlich auch eine tiefe Wonne. Im engeren Kreis hat er uns öfter recht deutlich gesagt, in seinem früheren Leben habe er viele Schüler gehabt und sei zu früh vor der Verantwortung weggelaufen, um selbst viel zu meditieren. Deshalb habe er sich nochmals inkarnieren müssen. Und da er es in diesem Leben klar als seine Aufgabe und sein Karma erkannt hatte, setzte er seine ganze Kraft, alles was er hatte, ein, um uns so viel wie möglich zu lehren, so viel wie möglich spirituelles Wissen zu verbreiten. Er hat auch im engeren Kreis gesagt: “You can’t imagine how much suffering I went through to bring you this Yoga“ – „Ihr könnt euch nicht vorstellen, durch wie viel Leiden ich hindurch gegangen bin um euch den Yoga zu bringen“.

Swami Sivananda hatte ihn ja 1957 auf eine Vortragsreise in den Westen geschickt. Er hatte kein Geld und hat in Amerika in verschiedenen Städten begonnen, Yoga-Einführungen und Yogakurse zu geben. Manchmal bekam er dafür ein bisschen Geld als Spende, manchmal auch nicht. Oftmals in jener Anfangsphase blieben ihm nur eine Parkbank zum Übernachten und Gemüsereste aus dem Abfalleimer zum Essen…

Für ihn war es nicht die Frage, wie geht es mir, sondern was kann ich tun, um anderen zu helfen. Er hat es selbst einmal so ausgedrückt: „I squeeze this body and pull out all work that is possible“ – „Ich quetschte den Körper aus um so viel dienen zu können wie möglich.“ Zwar hat er natürlich alles getan, was für den Körper und seine Gesunderhaltung notwendig war. Aber gleichzeitig wusste er: Mir geht es am besten wenn ich meditiere und ich kann jederzeit zu Brahman kommen.

 

Sinn versus Glück

Viktor Frankl, ein bekannter Psychiater des 20. Jahrhunderts und Begründer der Logotherapie, hat festgestellt: „Was Menschen wirklich Erfüllung bringt, ist nicht so sehr Glück sondern vielmehr Sinn.“ Wenn ein Mensch einen Sinn in seinem Leben sieht oder eine Mission, ist er bereit, sehr viel auf sich zu nehmen und diese Mission engagiert zu erfüllen. Manche Menschen sagen sich: “Ach, wäre das schön, wenn ich eine Mission hätte – solange ich aber keine habe, führe ich erst mal ein gemütliches Leben, bis aus heiterem Himmel eine Mission oder ein Berufungserlebnis kommt. Dann werde ich bereit sein alles zu machen.“ Es kann passieren, dass man dann vielleicht mit 90 Jahren im Rollstuhl sitzt und immer noch auf seine Mission wartet.

 

Gottesverwirklichung als höchstes Ziel

Die Mehrheit der Leser weiß sicher, eine große Mission als spiritueller Suchender ist es, Gott zu verwirklichen. Dafür gilt es, vieles in Kauf zu nehmen und der spirituelle Weg ist nicht immer nur schön. Er gibt einem tiefere Wonne-Erlebnisse als alles andere, was man machen kann; er gibt einem tiefe Befriedigung, vermutlich tiefere als alles andere was man sich vorstellen kann, zumindest was ich mir vorstellen kann, aber er fordert auch manchmal, dass man das eine oder andere Leiden auf sich nimmt. Deshalb gilt es, mit Leidenschaft voran zu schreiten. Aber nicht mit sinnloser tamasiger oder rajasiger Leidenschaft. Es gibt Menschen, die mit großer Leidenschaft  ins eigene Verderben gehen und sich und andere unglücklich machen. Es gibt Menschen, die mit großer Leidenschaft versuchen ihr Vermögen zu vermehren. Und es gibt solche, die mit großer Leidenschaft anderen dienen wollen. Wenn wir ein Ziel haben, Selbstverwirklichung zum Beispiel, hilft uns das, unser Leben wirklich ganz, bewusst und enthusiastisch zu leben statt halbherzig.

 

Eine Lieblingsaussage von Swami Vivekananda, einem der großen Yogameister des 19. Jahrhunderts, war „Don’t be lukewarm – sei nicht lauwarm.“ Sei enthusiastisch und mache das, was du machst, richtig. Ein Aspirant hat ihn einmal gefragt: „Oh Meister, ich will dein Schüler sein.“ Vivekananda fragte ihn: „Hast Du schon einmal gestohlen?“ „Nein“. „Hast Du schon einmal mit jemandem geschimpft?“ „Nein“. „Hast Du schon einmal die Unwahrheit gesagt?“ „Nein“. Daraufhin hat Vivekananda ihn angeschaut und gesagt : “Lerne erst zu stehlen und zu lügen. Dann kannst du wiederkommen.“ Der Aspirant ging ganz entsetzt weg. Da rief Vivekananda ihn zurück und sagte: „Das darfst du nicht wörtlich nehmen. Was ich meine ist, du wirkst so träge auf mich. Du magst noch nie gestohlen oder etwas Unwahres gesagt haben, aber nicht aus Sattwa und hoher Spiritualität heraus, sondern weil du zu feige warst. Du magst noch nie ein böses oder lautes Wort gesagt haben – nicht aus tiefer Sympathie und Verbundenheit mit allen Wesen, sondern aus Gleichgültigkeit und Feigheit. Ein spiritueller Mensch muss Feuer in sich brennen haben. Und jetzt lege los.“

So beginnt Krishna das 6. Kapitel mit: „…ein Yogi ist nicht der, der ohne Feuer und untätig ist…“ (BhG VI.1)

Wenn uns etwas anspricht und wir das Gefühl haben, ja, das ist eine gute Sache, dann sollten wir dem enthusiastisch nachgehen. Und wenn wir zu träge dazu sind, geben wir uns einen Tritt und überwinden uns, anzufangen.

Umgekehrt, wenn wir etwas ungern machen, können wir in uns hinein hören: „Wo brennt denn mein Feuer?“ und „Wie kann ich mein Feuer für eine bestimmte Aufgabe einsetzen zum Wohl des Ganzen?“

Wenn das Feuer da ist, gilt es allerdings aufzupassen, dass es nicht rajasig wird und dass wir die anderen Bhagavad Gita Regeln des Handelns beachten, nämlich Handeln ohne an den Früchten und ohne am Ergebnis zu hängen und dass wir trotz allem Feuer verhaftungslos sind.