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14-07 Kommentar Sukadev

Die Übersetzung von Raga mit „Leidenschaft“ ist etwas irreführend und trifft die Sache nicht ganz. Raga bedeutet eher, gewisse Dinge zu mögen und andere nicht, und sich von diesen Zu- und Abneigungen steuern zu lassen.

Zunächst einmal ist es nicht per se schlecht, leidenschaftlich zu sein, z.B. sich leidenschaftlich für etwas zu engagieren oder leidenschaftlich nach Befreiung zu streben. Mumukshutwa, der intensive Wunsch, die leidenschaftliche Sehnsucht nach Befreiung, ist sogar eine ganz wichtige Eigenschaft auf dem spirituellen Weg.

 

Enthusiasmus und Leidenschaft

Es ist gut mit Enthusiasmus auf dem Weg voran zu schreiten. Es ist auch gut mit Enthusiasmus zu dienen. Das ist nicht unbedingt rajasig, sondern eher sattwig. Swami Sivananda hatte sicher diese Art von Enthusiasmus und diese Art von Leidenschaft. Vivekananda war ebenfalls ein Yogameister, der die Menschen aufgefordert hat aus ihrer Lethargie zu erwachen. Sattwa heißt nicht untätig zu sein und seine Trägheit zu kaschieren, sondern es geht darum, etwas zu tun und über Grenzen hinaus zu gehen.

Es gibt also auch Leidenschaften, die gut sind und nicht nur Leidenschaften, die Leiden schaffen – letztere sind natürlich besser zu vermeiden.

Eine treffende Beschreibung definiert Rajas als Natur von Gier und Wunsch. Als solches ist Rajas  „die Quelle von Durst nach Sinnesfreuden und Verhaftung. Es bindet den Verkörperten fest durch die Verhaftung an das Handeln.“  Rajas führt dazu, dass wir Sinnesfreuden suchen, fest an allen möglichen Dingen hängen und auch an der Handlung verhaftet sind. Eine gewisse Gier, ein nicht aufhörendes Verlangen nach immer mehr liegt darin. Egal wie viel man hat, man will mehr und das ist letztlich Rajas.

Aber eigentlich ist diese Form von Rajas, die für das Menschsein charakteristisch ist,  ein Ausdruck des Sattwa in uns. Wir haben diesen Wunsch nach immer mehr in uns, weil wir im Kern unendlich und umfassend sind. Wir wollen unendlich sein. Wir wollen unendliches Bewusstsein sein, wir wollen unendliches Wissen haben. Wir werden mit nichts auf der relativen Ebene zufrieden sein und daher immer nach mehr streben – das ist der innere Drang, der in uns angelegt ist. Nur dass ein äußeres Mehr uns nie zufrieden stellen wird. Es ist gut, das einmal verstanden zu haben.

Kein Mensch wird je zufrieden sein mit dem, was man ihm gibt oder mit dem, was er selbst gibt. Und man selbst wird auch nie zufrieden sein mit dem was andere Menschen für einen tun. Wenn man diesen Wunsch nach Mehr auf die reine äußere Ebene reduziert, dann ist es diese rajasige Gier. Wenn wir sie als Ausdruck dieser Sehnsucht nach Wahrheit sehen, ist Rajas nur eine in die falsche Richtung gelenkte Manifestation von Sattwa.

Praxis-Tipp: Sicher hast du bei dir selbst auch schon festgestellt: Du wolltest etwas, hast es bekommen und was passiert anschließend? – Du willst mehr oder etwas anderes. Wenn du diese rajasige Tendenz des Unersättlichen bei dir selbst feststellst, kannst du – statt dich darüber zu ärgern wie unvollkommen du bist – dir bewusst werden: „Eigentlich ist das positiv. Ich begnüge mich nicht mit dem Beschränkten. Ich bin nicht zufrieden mit dem Beschränkten. Ich will das Unendliche!“ – Und dann kannst du den nächsten Schritt machen und überlegen: Statt weiter auf dieser materiellen Ebene zu suchen, wo ich aus Erfahrung weiß, ich schaffe es nicht, dieses Bedürfnis je zu befriedigen, halte ich einen Moment inne und erinnere mich: „Ja, ich will mehr, das ist eigentlich gut. Aber was ich eigentlich will ist nicht nur einfach mehr im Außen, sondern das Unendliche.“

Eine weitere praktische Anwendung: Wenn ein Kind eine Kugel Eis bekommt, was will es? Zwei. Wenn das Nachbarskind drei Kugeln hat, dann will es vier. Wir können über die Jugend von heute schimpfen: „Zu meiner Zeit waren wir noch mit einer Kugel zufrieden.“ Oder: „Wir wären glücklich gewesen, wenn wir überhaupt ein Eis bekommen hätten!“ Oder wir können sagen: „Aha, auch in meinem Kind ist dieser Wunsch nach dem Unendlichen angelegt und dieser Wunsch manifestiert sich schon sehr früh in dem Wunsch nach mehr Eis. Ich brauche ihm nicht noch eine zweite und dritte Kugel wider besseres Wissen zu geben, denn ich weiß, selbst wenn ich sie ihm gebe, will es immer noch mehr. Denn nur das Unendliche wird es zufrieden stellen.“

Praxis-Tipp: Für den Alltag ist es gut zu wissen, dass wir Menschen nicht wirklich zufrieden stellen können und uns selbst schon gar nicht. Wir müssen nicht alle Wünsche anderer und unsere eigenen erfüllen, denn 100% zufrieden werden andere und wir nie sein. So können wir entspannter an alles herangehen – geht es gut, wunderbar, klappt es nicht, dann hängen wir nicht daran. Wenn jemand uns gegenüber einen Wunsch äußert, können wir ihm den Wunsch erfüllen, wenn es uns möglich ist und ihn auf einer relativen Ebene einen Moment lang etwas glücklicher machen. Wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht, und wir können mit gutem Gewissen ablehnen. Mit diesem Wissen können wir relativ zufrieden leben und durchaus auf der relativen Ebene die Dinge im außen genießen. Es gibt uns eine gewisse innere Freiheit.

Also nicht das Mehr-haben-wollen ist schlecht – es ist vielmehr ein Ausdruck der tiefen Sehnsucht nach Befreiung -, sondern die Verhaftung an das Konkrete.