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12-19 Kommentar Sukadev

„Wer Freund und Feind gleich erachtet“: Eigentlich wäre es noch besser, gar nicht zwischen Freunden und Feinden, zwischen Gegnern und Freunden, zu unterscheiden, sondern zu sehen, dass wir alle Geschwister Gottes sind. Von außen gibt es Menschen, die einem Gutes tun wollen und es gibt durchaus auch Menschen, die einem Schlechtes tun wollen.

Jesus sagte: „Liebe deine Feinde.“ Bis zu einem gewissen Grade hat mich dieses Wort immer gestört und zwar deshalb, weil es aussagt, dass man Feinde hat. Genau das stört mich daran. Besser wäre: „Liebe alle Menschen, auch die, die dir Böses tun.“ Eigentlich sind sie deine Freunde, denn sie helfen dir, dass dein Karma gut abläuft. Ich habe immer wieder geschrieben: Wir ernten die Früchte unserer Handlungen, wir bekommen die Lektionen, die wir brauchen und das sind nicht nur die schönen, sondern auch die weniger schönen Sachen. Wenn uns jemand Steine in den Weg legt oder auf die Füße oder gegen den Kopf wirft, wörtlich und im übertragenen Sinne verstanden, dann ist er auch ein Instrument unseres Karmas. Wir können ihm gegenüber Mitgefühl haben, vor allem, wenn es aus Bösartigkeit getan wurde. Dann erntet er schlechtes Karma. Ich ernte die Früchte meiner Handlungen und bekomme die Lektionen, die ich brauche, um spirituell zu wachsen und der andere schafft sich negatives Karma. Also gilt es, ihm dankbar zu sein, Mitgefühl zu haben und für ihn zu beten. Wenn man Karma wirklich verstanden hat, fällt auch das Vergeben leichter, wenigstens intellektuell. Emotion ist noch einmal etwas anderes. Diese Einstellung, manapamanayoh, also gleich sein, mit gleichmütigem Geist gegenüber Freunden, die freundlich zu einem sind wie auch denen gegenüber, die weniger freundlich bis bösartig zu einem sind, ist nicht immer einfach. Auch hier kann man überlegen, ob es noch jemandem gibt, dem man aus tiefstem Herzen Groll entgegenbringt, vielleicht auch noch mit Grund, und ob es es nicht klüger wäre, ihm zu vergeben.

Man kann es auch von einer anderen Warte aus sehen. Angenommen, jemand hat einem wirklich etwas Böses angetan. Es gibt Menschen, die grässliche Erfahrungen von Missbrauch, Misshandlung usw. gemacht haben. Vielleicht bist sogar du oder jemand aus deinem Bekanntenkreis davon betroffen. Man könnte sagen, dass jemand, der so etwas Grässliches erlebt hat, doch gute Gründe dafür hat, jemandem innerlich Groll entgegen zu bringen. Und manche Psychologen sagen, dass so eine Phase für die Heilung durchaus hilfreich sein kann. Aber eine andere Sichtweise wäre: Warum soll ich dem Menschen, der mir übel mitgespielt hat, mehr Macht über mein Leben geben als all denen, die mich freundlich behandelt haben? Ich gebe einem Menschen Macht über mein Leben, indem ich ihn hasse, indem ich Groll gegen ihn hege oder Rachegedanken gegen ihn habe. Ich schenke dem Menschen, der mir am meisten Schlechtes angetan hat, das, was am wertvollsten ist: meine Aufmerksamkeit, meine Gedanken, meine Zeit, meine Pläne und Phantasien. Ist das wünschenswert? Manche Menschen kommen über diesen psychologischen Kunstgriff dazu, dass sie dem Menschen, der ihnen all das angetan hat, nicht eine solche Macht über sich geben. Stattdessen will man ihm letztlich vergeben und bekommt so eine gewisse Freiheit zurück.

Wir müssen auch Grenzen setzen und da ist es in Ordnung, sich zu wehren. Swami Vishnu hat gesagt: „Solange man sich mit dem Körper identifiziert, solange gibt es auch die Aufgabe, den Körper zu verteidigen.“ Die meisten der Leser dieses Buches werden so ehrlich sein zu sagen, dass sie sich noch mit dem Körper identifizieren. Wenn jemand kommen und versuchen würde, auf dich einzuschlagen, wäre es in Ordnung, dass du dich verteidigst. Angenommen, du identifizierst dich gar nicht mehr mit dem Körper und weißt „ich bin die unsterbliche Seele“, dann würdest du auch keinen Grund sehen, diesen konkreten Körper zu verteidigen.

Zu Swami Sivananda kam eines Tages im Jahr 1950 ein Attentäter, der ihn mit einer Axt umbringen wollte. Swami Sivananda blieb bei den ersten Axthieben einfach ruhig sitzen. Er hatte ausnahmsweise einen Turban auf, sodass der erste Schlag auf den Turban kam und seitlich abrutschte. Beim zweiten Schlag traf der Attentäter eine Säule. Swami Sivananda soll laut Berichten eine große Beule gehabt haben, einem anderen Bericht nach sogar geblutet haben. Swami Vishnu, damals sein persönlicher Assistent, ist dann dem Attentäter in den Arm gesprungen und hat ihn niedergerungen. Die ersten Worte Swami Sivanandas zu Swami Vishnu waren: „Vishnu Swami, mäßige deinen Zorn.“ Die erste Sorge Swami Sivanandas galt dem Mann, der ihn beinahe umgebracht hätte, dass dieser zu heftig angefasst würde. Swami Vishnu war ein Hatha Yogi und hatte, obwohl er sehr klein und sehr schmächtig war, viel Kraft.

So heißt es: Wenn wir uns nicht mehr mit unserem Körper identifizieren, kümmert sich Gott um ihn. Dann brauchen wir den Körper nicht mehr zu verteidigen. Solange wir uns aber noch identifizieren, ist es unsere Aufgabe, uns um den Körper zu kümmern. Wir können das auch aus Mitgefühl demgegenüber tun, der uns umbringen möchte. Wenn er uns umbringt, schafft er sich schlechtes Karma, und das wollen wir nicht zulassen. Wenn jemand dich bestiehlt, schafft er sich schlechtes Karma. Wenn du deine Sachen sicherst, verhinderst du, dass sich der andere schlechtes Karma einfängt. Man könnte einwenden, das dies Hirndreherei ist. Aber eine ganze Menge dessen, was wir im Yoga machen, könnte als Hirndreherei ausgelegt werden. Man macht vielleicht das gleiche wie vorher, nur mit einer anderen, mit einer liebevolleren, mitfühlenderen Einstellung. Man fühlt sich dann glücklicher und erweitert sein Bewusstsein.

Arjuna fragt Krishna an mehreren Stellen: Wie verhält sich jemand, der ein Meister ist, der seinen Geist beherrscht, der ein Selbstverwirklichter, der in der Weisheit ist? Im 2. Kapitel fragt Arjuna: Wie geht er, wie steht er, wie schaut er, wie sitzt er? Arjuna meint: Irgendwie muss ein Verwirklichter äußerlich doch anders sein. Vielleicht schreitet er sehr bedächtig, vielleicht schaut er sehr würdevoll, vielleicht schaut er ganz demütig. Krishna geht mit keinem Wort darauf ein. Er gibt nirgendwo äußere Kennzeichen von Verwirklichung. Selbstverwirklichte können schnell oder langsam gehen, groß oder klein sein, unterschiedliche Temperamente haben. Große Weise können sich genauso verhalten wie andere auch, sie können gehen wie andere auch, die innere Einstellung ist aber eine andere.

Ehre und Schmach gleich erachtet.“ Tue das, was zu tun ist. Ob andere das gut finden oder auch nicht, ist nicht übermäßig wichtig. Das heißt aber nicht, dass uns die Gefühle der anderen nicht wichtig sind. Zu ahimsa gehört auch, dass wir die Gefühle anderer nicht verletzen wollen. Aber ob der andere das gut findet oder nicht, wenn es etwas ist, das wichtig ist zu tun, ist das andere nicht so wichtig.

„Kälte und Hitze“: es ist nicht so wichtig, ob es mal kälter oder wärmer ist. Man kann eine Menge an Leid in seinem Leben beseitigen, indem man seinen Wohlfühltemperaturbereich ausdehnt. Eine der größten Auseinandersetzungen in Yoga Ashrams und vielen Yogastunden ist: Tür auf oder Tür zu, Fenster auf oder Fenster zu. Biologisch gesehen kann der Mensch zwischen 12 Grad und 40 Grad nackt sitzen, ohne dass es ihm etwas ausmachen würde. Ein Luftzug schafft keine Erkältungsgefahrerhöhung. Es wurden Versuche gemacht und Menschen in Luftzug gesetzt und andere nicht. Diejenigen, die im Luftzug waren, hatten nicht häufiger eine Erkältung als die anderen. Nur die, die im Luftzug waren, haben ihre Erkältung dann darauf zurückgeführt. Genauso geht es auch mit Regen und nass werden. In Amerika wurden dazu große Versuche gemacht. Ganze Studentenkohorten sind auf diese Weise überprüft worden. Einige sind nass in den Regen gegangen, andere nicht, und dann sind sie in Räume mit schon Erkälteten hineingekommen. Man hat gemessen, wieviel Prozent tatsächlich die Viren bekommen haben. Ob sie einen Zug hatten oder nicht, ob sie warm angezogen waren, war unerheblich. Ob sie nass waren, ob sie kalte oder warme Füße hatten,alles war unerheblich. Nur die, die krank wurden, haben es nachher auf ihre kalten Füße oder ihr Nasswerden, den Luftzug oder die kalte Temperatur geschoben. Wir können also ganz beruhigt in der Nähe der Tür sitzen.

Wenn ein Raum stinkt, heißt das nicht, dass er weniger Sauerstoff enthält. Man sagt zwar: „Ich bekomme keinen Sauerstoff.“ Bei einer wesentlichen Änderung des Sauerstoffgehaltes würden wir reihenweise umfallen. Zum Beispiel samstagabends im Sivananda Saal: letzten Samstag waren ca. 500 Menschen im Raum und aus irgendwelchen Gründen setzen sich immer die an die Türen, die es gerne warm haben und es grässlich finden, wenn die Türen aufgemacht werden. Das ist natürlich auch immer ein Phänomen, das mich zum Denken anregt. Wenn es jemandem zieht, warum setzt er sich dann ausgerechnet an die Türe? Wenn man dann sagt, man bekommt keine Luft und messen würde, wieviel Luft hier im Raum wäre, ist genauso viel Luft drinnen wie draußen. Selbst der Sauerstoffgehalt ändert sich fast nicht. Man kann messen wieviel Ein- und Ausatmungen, wieviel Kubikmeter Luft hier sind. Selbst wenn man die Türen luftdicht verschließen würde und alles andere auch, hätten wir einige Stunden Sauerstoff, ohne dass uns das beeinträchtigen würde. Das einzige, was noch zusätzlich in der Luft ist, sind die Ausdünstungen der Menschen, die aber auch nicht weiter dramatisch sind, außer dass es riecht. Stickige Luft hat also nicht weniger Sauerstoff als andere. In anderen Ländern wird z.B. viel seltener gelüftet als in Deutschland. Deshalb haben die Menschen keinen Sauerstoffmangel. Wir können also lernen, den Temperaturwohlfühlbereich zu erhöhen. Das kann man trainieren indem man sich, wenn es besonders kalt ist, bewusst an die Tür setzt und die Tür aufmacht. Oder man setzt sich ein anderes Mal dahin, wo die Luft besonders warm/schlecht/stickig ist. Das ist ein Beispiel, das natürlich nicht jedermanns Sache ist und auch seine Grenzen hat. Das Wichtige: Du kannst lernen, dich im Kälteren und im Wärmeren wohlzufühlen. Wenn man alleine ist, kann man das tun, was man für das Optimalste hält. Man kann einen großen Teil an Lebenszufriedenheit hinzugewinnen, wenn man sagt, ich lerne, mich im Wärmeren, im Kälteren, im Zug, in der stickigen Luft wohlzufühlen, solange ich es nicht ändern kann.

Noch ein paar andere kleine Tipps zum Glücklichsein: Wenn du mit dem Auto einen Parkplatz suchst, nimm den erstbesten Parkplatz und schaue nicht, ob du noch einen näheren findest. Die Wahrscheinlichkeit ist recht groß, dass der erste Parkplatz entweder der nächste ist oder mindestens, dass du schneller an deinem Ziel bist, wenn du aussteigst und den Rest zu Fuß gehst, als wenn du dreimal um den Block fährst. Allein schon in der frischen Luft zu Fuß zu gehen erhöht das Glücksgefühl. Besser noch: Fahre gleich mit dem Fahrrad oder gehe zu Fuß, wenn das möglich ist.

Ein anderer Ratschlag: Wenn du im Supermarkt (z.B. im Naturkostsupermarkt…) vor sechs Kassen stehst, nimm die mit der längeren Schlange. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie genauso schnell ist, wie die anderen Schlangen auch. Du erwartest, dass sie langsamer ist und wenn sie dann schneller ist als die anderen, freust du dich. Wenn sie genauso schnell ist, freust du dich auch. Und wenn sie langsamer ist, brauchst du nicht zu ärgern, da du das sowieso angenommen hast. Dann hast du die Gelegenheit, bewusst zu atmen, ein Mantra zu wiederholen, Gottes Gegenwart zu spüren, Schönheit wahrzunehmen. Oder mit einem Menschen Kontakt aufzunehmen.

Grundsätzlich kannst du dir vornehmen, dich über jeden Moment des Wartens in deinem Leben zu freuen und als Gelegenheit für spirituelle Praxis zu nutzen. Wenn du in einem Stau landest, freue dich, denn es schafft mehr Möglichkeiten, Mantras zu wiederholen, ist eine Gelegenheit Mantras zu hören oder zu singen. Das sind ein paar einfache Methoden, wie man kleine Quellen von Leid aus dem Leben räumen kann und ein paar Quellen von Freude erhält.

„Gleichmütig in Vergnügen und Schmerz, frei von Verhaftung. Wem Tadel und Lob gleichviel ist.“: Freue dich am Lob und gib es gleich weiter an Gott. Wenn jemand sagt: „Hast du toll gemacht“, gib das weiter an Gott: „Danke, dass du das durch mich so gemacht hast. Danke, dass ich dein Instrument sein konnte.“ Wie Krishna im 11. Kapitel sagt: „Ich habe alles gemacht.“ Bei Tadel kann man das gleiche sagen: „Gott, das hast du nicht richtig gemacht. Wenn du es besser gewollt hättest, hättest du es mir sagen sollen. Oder du hättest mir etwas anderes geben sollen.“ Das ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist eigentlich die bessere: Wenn dich jemand tadelt, dann überlege, ob vielleicht auch etwas Wahres darin liegt. Nicht in dem Sinne: „Was bin ich für ein schlechter Mensch, wieder schaffe ich es nicht.“ Vielmehr im Sinne von: „Ich bin neugierig, was ich vielleicht noch verbessern kann.“ Eine konstruktive Weise mit Kritik umzugehen, ist, sich sicher zu sein, das Beste gegeben zu haben. Jetzt sagt mir jemand etwas. Dann kann ich überlegen, ob etwas Wahres daran ist. Dann bin ich erst einmal froh, dass es gesagt wurde, atme dreimal ein und aus, bedanke mich dafür und wenn innerlich etwas heraussprudelt, schweige ich. Die beste Reaktion auf Kritik ist, sich zuerst zu bedanken und dann zu schweigen, weder zu schimpfen noch zu klagen. Dann kann man darüber nachdenken und eventuell sogar dankbar sein, dass es einem gesagt wurde, ansonsten hätte man es vielleicht für den Rest des Lebens so weiter gemacht. Oder, wenn nichts dran ist, kann man auch dankbar sein für die Gelegenheit, Gleichmut zu üben. Dann kann man noch überlegen, ob man es dem anderen erklärt oder nicht. Wir müssen aber wissen, dass nicht jeder versteht, was wir tun und dass es nicht jeder gut findet. Gerade die Menschen, die wir mögen, sollen doch gut finden, was wir tun. Warum sollten sie eigentlich? Sie müssen es nicht, wir können sie trotzdem mögen. Also Lob und Tadel – wir können gleichmütig sein, wir können uns über beides freuen und wir können von beidem lernen.

Ich meine eine eigenartige Entwicklung unter Aspiranten entdeckt zu haben: Meine Beobachtung zumindest ist, dass die Menschen vor 20 Jahren ein mehr rajassiges Ego hatten. Wenn sie kritisiert wurden, meinten sie, sie hätten Recht, haben sich verteidigt oder den Kritisierenden als dumm oder unwissend bezeichnet. Also ein eher Pita-mäßiges Ego. Heute haben mehr Apiranten eine Art Vata-mäßiges Ego: Wenn man sie kritisiert, brechen sie zusammen, sagen oder denken: „Ich tauge nichts, bin nicht gut genug.“ Und sie wollen ihre Verantwortung abgeben. Früher haben mehr Menschen mit Worten zurück geschossen, wenn man sie kritisiert hat, heute scheinen mehr Menschen sehr zügig zu kapitulieren. Nicht jeder und nicht alle, aber tendenziell gibt es dazu eine gewisse Neigung. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich so ist oder ob es nur daran liegt, dass allgemein bei Yoga Vidya die Menschen demütiger sind und nicht denken, dass sie die allein selig machende Wahrheit gefunden haben. Vielleicht zieht das andere Menschen an. In jedem Fall ist es gewaltfreier…
In der Stress-Forschung spricht man vom Flucht-Kampf-Mechanismus: Bei wahrgenommener Gefahr kann man entweder fliehen oder kämpfen. Bei manchen Aspiranten ist der Kampf-Reflex größer, bei manchen mehr der Flucht-Reflex. Krishna will dich, zumindest beim Umgang mit Kritik, zu einer anderen, einer gleichmütigeren und bewussteren Reaktionsweise anleiten. Du sollst also allein wegen Kritik nicht gleich kämpfen oder fliehen. Swami Sivananda hat ein Lied komponiert, dessen vierte Zeile lautet: „Bear insult, bear injury, highest Yoga – trage Beleidigungen und Kränkungen, das ist der höchste Yoga.“

„Wer schweigsam ist, Mauni“: Das soll nicht heißen, gar nicht mehr zu reden. Krishna und Arjuna unterhalten sich ja gerade… Es ist aber gut, ab und zu mal einen Tag zu schweigen. Es ist gut, dass wir in der Lage sind, den Mund zu halten. Swami Sivananda hat immer gesagt: Manche Menschen haben „Lingual diarrhea“ – Sprachdurchfall, sie können keinen Moment lang Ruhe geben. Es gibt einen Witz von einem Arzt, der eine Patientin hatte, die er untersuchen sollte und die die ganze Zeit redete. Dann sagte er, sie solle die Zunge heraus strecken, obwohl er gar nicht in den Mund hineinschauen musste. Schließlich konnte die Frau es nicht mehr aushalten und fragte, warum sie die Zunge rausstrecken solle, obwohl er gar nicht in den Mund reinschaue. Der Arzt antwortete, damit er sie endlich untersuchen könnte und sie mal Ruhe gibt… Man sollte in der Lage sein, auch ruhig zu sein, schweigsam zu sein und natürlich auch in der Lage, mit anderen zu kommunizieren. Je nachdem wozu wir neigen, können wir schauen, welcher Ratschlag für uns am besten ist.

„Mit allem zufrieden ist“ – santushto, jemand der von Santosha (Zufriedenheit) erfüllt ist.

„Ohne Heim, ohne zuhause“: Was meint Krishna damit? Wir alle wollen in verschiedenster Hinsicht ein Zuhause haben. Wir wollen ein physisches Zuhause, Haus, Wohnung, Zimmer, Bett. Dann haben wir noch ein anderes Zuhause, die Menschen, die zu uns gehören, die Familie, das Volk, der Volksstamm – ich bin Bayer, Lipper, ich bin Badenser, Pfälzer, Rheinhesse… So können wir uns identifizieren, da fühlen wir uns Zuhause. Das hat alles seine Probleme: Wir identifizieren uns mit etwas Begrenztem, mit etwas Vergänglichem. Unser Zuhause kann abbrennen, die Menschen, die wir mögen, können plötzlich jemand anderen mögen oder sterben. Identifikation führt immer wieder zu Leid und wenn du dich zu sehr mit etwas identifizierst, ist das auch wieder Abgrenzung von jemand anderem. Kriege entstehen zwischen Nationen, Zwistigkeiten zwischen Volks- und Religionsgemeinschaften, zwischen Fans von verschiedenen Fußball-Clubs. Das Klügste ist, zu sagen: „Die ganze Welt ist mein  Zuhause“ oder „So ein kleines vorübergehendes Zuhause habe ich jetzt auch.“ Ein Heimatgefühl kann einem eine gewisse Erdung geben. Aber identifiziere dich nicht zu sehr im Sinne von: „Das ist jetzt mein ganzes Zuhause und wehe, es passiert dem irgendetwas.“ Letztlich ist die Welt unser ganzes Zuhause. Und selbst das stimmt nicht. Gott ist unser Zuhause! Die Welt ist auch nur eine Manifestation Gottes. Gott ist unser Zuhause, dort ist unser Heim. Alles andere ist nur vorübergehend.

Man kann auch sagen, dasss wir uns auf dieser Welt auf einer Pilgerreise befinden. Einen Tag ist man hier, einen Tag dort. In Indien ist das auch eine alte Tradition, dass man für eine gewisse Zeit auf Pilgerreise geht, um zu lernen, verhaftungslos zu sein. Auch in Europa ist das eine alte Tradition. Die europäische Pilgerreisen-Tradition wurde in den letzten Jahren wieder verstärkt durch die Bücher von Shirley McLaine, Paulo Coelho und Hape Kerkelings Werk „Ich bin dann mal weg“. Wir müssen nicht förmlich auf eine Pilgerreise gehen, wir sind bereits auf einer Pilgerreise, nirgendwo zu Hause, nur mal vorübergehend. Das gilt es zu akzeptieren. Dann können wir auch akzeptieren, wenn unsere Zuhause öfters wechseln. Swami Vishnu bezog sich auch gerne auf die Reinkarnationslehre und meinte: „Jeder von Euch war schon einmal Inder, Australier, Afrikaner, Indianer, war vielleicht schon einmal Christ, Moslem, Jude, Hindu, Buddhist.“ Er sagte auch einmal: „Vielleicht waren wir in einem früheren Leben alle schon einmal auf einem anderen Planeten.“ Aus dieser Geisteshaltung heraus macht Patriotismus oder Religionsfanatismus wenig Sinn. Das wäre so, als wenn ein Pilger gerade einen Tag lang in einer Stadt weilt und dann mit jemandem einen Kampf anfängt, der über diese Stadt eine flapsige Bemerkung macht.
Der große Meister Shankara schrieb in einem Gedicht: „Wieder wirst du geboren, wieder wirst du sterben. Jeder Mensch, den du siehst, war schon einmal dein Vater. Jeder Mensch, den du siehst, war schon einmal deine  Mutter. Verlasse alle Identifikationen und verwirkliche deine wahre Natur.“

„Dessen Geist nicht schwankt“, sthira, also beständig ist. Natürlich geht unser Geist durch Mögen und Nichtmögen, er geht durch Vergnügen und Schmerz. Krishna meint nicht, dass wir dies nicht haben sollten. Er sagt: „Wem Vergnügen und Schmerz gleichbedeutend ist, wer frei ist von Verhaftung.“ Wir gehen durch verschiedene Geistesinhalte, aber unser höherer Geist bleibt ruhig. Wir werden dadurch nicht erschüttert, vor allen Dingen nicht in unseren Lebenseinstellungen. Wenn du nur solange spirituell praktizierst, wie es dir gut geht, ist das eine beschränkte Form der Spiritualität. Wenn du nur praktizierst, wenn es dir schlecht geht, ist das ebenso beschränkt. Es gilt, eine Beständigkeit in der Praxis zu entwickeln.
Vom evolutionsbiologischen Standpunkt aus könnte man auch sagen, Sinneswahrnehmungen, Mögen und Nichtmögen, Emotionen, all das sind evolutionsmäßig sinnvolle Formen von Informationsübermittlung und Verarbeitung sowie in bestimmten Kontexten sinnvolle Reaktionsschemata. Das eigentliche Ich ist davon unberührt. Es bleibt sthira, innerlich gefestigt. Nimm Sinneswahrnehmungen, Gemütsschwankungen, Geistesinhalte als Informationen. Siehe deinen Geist als Antarkarana, als inneres Instrument an. Dieses Antarkarana ist dazu da, dir zu helfen, dich in der Welt zurechtzufinden. Es ist nicht deine wahre Natur, dein Ich. Es ist ein unvollkommenes Instrument, irrtumsbehaftet und verletzungsanfällig. Du selbst bist jenseits davon.

„Wer voll Hingabe und Liebe ist“: Hier gebraucht Krishna die Ausdrücke Bhakti und Priya, „Hingabe“ und „Liebe“. Konsequenz der spirituellen Gelassenheit ist nämlich nicht Erstarrung oder Kälte sondern im Gegenteil Liebe und Hingabe. Liebe findet seine Erfüllung in uneigennütziger, umfassender, bedingungsloser Liebe. Damit du wirklich vollständig und schrankenlos lieben kannst, ist dieser Gleichmut, die Nichtidentifikation, die Erwartungslosigkeit, das bedingungslose Annehmen des anderen äußerst hilfreich. Diese Verse kann man auch als Anleitung zu bedingungsloser Liebe ansehen, so wie Jesus es sagte: „Liebe Gott über alles und mit all deinem Herzen und liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Jesus hielt diese beiden Gebote für die Essenz der Religion. Und wenn du das Hohelied der Liebe von Paulus (Korintherbrief) durchliest, wirst du sehr große Gemeinsamkeiten mit den Lehren Krishnas in den Versen des 12. Kapitels entdecken.