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11-42 Kommentar Sukadev

Du merkst, Arjuna kommt Schritt für Schritt aus dieser erweiterten Bewusstseinserweiterungserfahrung heraus. Er hat Krishna gebeten: „Bitte steh mir bei!“ Und jetzt kommt er ein wenig zurück und plötzlich fällt ihm auf, was er vielleicht alles aus Unwissen heraus falsch gemacht haben könnte und bittet um Vergebung. Und das können wir auch machen, wenn wir aus einem höheren Bewusstsein kommen und sehen, was wir alles falsch gemacht haben oder scheinbar falsch gemacht haben.

Ihm wird plötzlich klar, dass Krishna die Inkarnation des Höchsten ist. Arjuna hat ihn wie einen Freund behandelt. Jetzt zweifelt er, ob das richtig war. Wir werden nachher sehen, dass Krishna darauf überhaupt nicht eingeht. Es gibt keine Notwendigkeit, irgendetwas zu vergeben. Krishna war nie beleidigt, man kann Gott gar nicht beleidigen. Gott kann, von einem höheren Standpunkt aus betrachtet, nicht zürnen oder einem böse sein. Gott ist die Seele hinter allem und damit auch in jedem Einzelnen. Diese Verbundenheit kann man auch als „Liebe“, aber sicher nicht als „Zorn“ bezeichnen.

Wir als Menschen können mit Gott auf verschiedene Weisen umgehen. Wir können sogar mit Gott schimpfen, wir können mit Gott hadern. Das berührt Gott nicht. Im Grunde genommen ist es gut, wenn wir zu Gott eine Beziehung aufbauen. Es heißt sogar, es ist nicht mal schlecht, wenn wir Gott hassen.

In der Ramayana, der Schrift von der Inkarnation Gottes als Rama in der Valmiki Version, weiß Rama gar nicht, dass er eine Inkarnation Gottes ist. Er verhält sich wie ein Mensch, der sich bemüht, immer das Rechte zu tun. Hanuman weiß, dass Rama Gott ist und andere wissen es auch. Aber Rama verhält sich zumindest so, als ob er es nicht weiß. In der Ramayana gibt es verschiedene Personen, die jede ihre eigene Beziehung zu Rama haben: z.B. hat Hanuman die Beziehung zu Rama als Meister. Gott ist sein Meister, er verehrt Rama wie seinen Meister. Sita hat die Beziehung zu Rama als Geliebten, als Ehemann. Sie liebt Rama über alles und irgendwie weiß sie, dass Rama auch Gott ist, und in dieser Liebe liebt sie Rama über alles. Sita kann in ihrer Liebe zu Rama auch Wünsche gegenüber ihrem Ehemann äußern: „Ach Liebling, bitte tu doch mal das für mich, jetzt hab ich schon so viel gemacht, du weißt, dieses Reh, bitte fange es für mich ein. Ach bitte Liebling, das eine Mal, bitte.[1]“ Und Rama verhält sich dann wie ein verliebter Ehemann, der alles für seine Frau tut.

In der indischen Mythologie finden wir auch andere göttliche Liebespaare – Lakshmi und Vishnu, Radha und Krishna, Parvati und Shiva und viele mehr. So kann unsere Liebe zu Gott wie die Liebe zwischen Mann und Frau sein.

Bharata und Lakshmana haben ein brüderliches Verhältnis zu Rama. Sie wissen, dass Rama der höchste Gott ist. Aber sie sind auch Bruder und Freund von Rama. Mit seinem Bruder kann man sogar schimpfen und sagen: Mach das doch nicht so, das ist nicht das Richtige, du solltest das anders machen.

Dasharata und Kausalya lieben Rama als ihren Sohn. Gott als Sohn finden wir auch im Verhältnis von Devaki und Yashoda zu Krishna, von Maria und Joseph zu Jesus.

Rama hatte auch Kinder – diese sehen Gott als Vater an. Auch Krishna hatte Kinder. Und gerade im Christentum ist die Verehrung von Gottvater sehr weit verbreitet.

Man kann aber auch eine Hassbeziehung zu Gott haben. Bekanntestes Beispiel ist der Dämon Ravana, der Rama hasste. Ravana dachte von sich, er wäre der größte von allen. Dann hörte er, dass Gott sich als Rama inkarniert hatte, dass er großartig sei, dass alle ihn mochten und sein Königreich so groß wäre. Darauf entwickelte er großen Hass auf ihn – denn er konnte nicht akzeptieren, dass jemand für großartiger gehalten würde als er selbst. Ravanas Schwester Shurpanakha verliebte sich in Rama. Aber Rama wollte nur bei Sita bleiben. Die Dämonin Shurpanakha wollte Rama gewaltsam mitschleppen. Shurpanakha, eifersüchtig und blind vor Liebe, griff Sita an. Lakshmana kämpfte mit ihr und schnitt ihr im Kampf Nase und Ohren ab. Shurpanakha floh zurück zu Ravana und erzählte ihm von der Schönheit Sitas. Ravanas Ärger auf Rama wuchs, denn Ramas Bruder hatte seine Schwester sehr gedemütigt. Er beschloss, Sita zu rauben. Nach der Entführung von Sita fand Rama nach langer Suche heraus, dass Sita von Ravana gefangen gehalten wurde.Rama zog mit seiner ganzen Armee nach Lanka, der Hauptstadt von Ravana. Ravanas Hass wuchs und wuchs, als er Rama vor seiner Stadtmauer sah. Rama besiegte ein Dämonenheer Ravanas nach dem anderen, sogar die Brüder von Ravana, die magische Kräfte besaßen. Ravanas Hass wuchs ins Unermessliche, er konnte nicht mehr klar denken, er konnte nur noch an Rama denken. Schließlich kam es zum Zweikampf. Dann sah Ravana plötzlich nur noch Rama: vorne, hinten, oben, unten, überall war Rama. Schließlich sah er Rama sogar in sich selbst, in seinem eigenen Herzen. Das war der Moment, wo Rama das Schwert in Ravanas Herz bohrte. Im Moment des Todes verwirklichte Ravana Gott, weil er überall nur noch Rama sah. Und so hat Ravana von allen, die laut Ramayana eine Beziehung zu Rama hatten, als erstes die Selbstverwirklichung erreicht. Deshalb heißt es, dass Hass die schnellste Methode ist, um zu Gott zu kommen. Hass kann die stärkste aller menschlichen Emotionen sein.

Ich hoffe, dass die meisten Leser das nicht nachvollziehen können. Aber in der Literatur und auch in Zeitungsberichten wird manchmal beschrieben, wozu Menschen aus Hass fähig sind. Was in der Ramayana zum Thema Hass gesagt wird, löst auch wieder der Dualismus auf: Hass ist nicht das Gegenteil von Gott oder Gegenspieler von Gott. Vielmehr kann sogar Hass zu Gott führen.

Natürlich möchte ich euch nicht ermutigen, Gott zu hassen. Auch Valmiki als Autor der Ramayana will das nicht. Valmiki will nur den Dualismus Gott-Dämon auflösen, indem er alle zu Gott finden lässt. Hass ist natürlich nicht der schönste Weg zu Gott. Ravana musste für seine Untaten büßen, sein negatives Karma erleben. Aber sein Hass hat ihn dazu geführt, dass er nur noch an Gott dachte. Und so ist es letztlich egal, aus welchem Grund wir an Gott denken: Wichtig ist, wir denken an Gott.

 


[1] Dies bezieht sich auf folgende Begebenheit aus der Ramayana: Ravana lässt sich durch einen anderen Dämonen in ein Reh verwandeln. Indem Sita Rama darum bittet, ihr dieses Reh einzufangen, verliert sie einige Augenblicke den göttlichen Schutz und Ravana kann Sita entführen.