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06-35 Kommentar Sukadev

Krishna stimmt Arjuna zu, dass der Geist schwierig zu beherrschen ist.

Allerdings suggeriert er ihm auch, dass er alle Waffen hat, um den Geist zu besiegen. Er hat alle Werkzeuge, ist nicht wehrlos und dem Geist nicht hilflos ausgeliefert, wie er es dem Wind gegenüber wäre. Die mächtigen Werkzeuge sind Techniken aus dem Yoga. Diese Techniken wiederum sind Abhyasa und Vairagya, also Übung und Verhaftungslosigkeit. Dies sind Techniken, die auch Patanjali seinen Schülern schon empfohlen hat, um den Geist unter Kontrolle zu bekommen.

Abhyasa heißt beständiges Üben. Patanjali sagt: „Die Übung ist fest verwurzelt, wenn sie über einen längeren Zeitraum ohne Unterbrechung und mit aufrichtiger Hingabe geübt wird.“ (Yoga Sutra I 14)

Längere Zeit bedeutet, über mehrere Leben hinweg. Besonders schwierig ist es für viele Menschen, ohne Unterbrechung zu üben. Viele Menschen üben ein halbes Jahr lang und dann wieder ein halbes Jahr nicht. Dann beginnen sie wieder und enden nach einigen Wochen erneut. Im Englischen sagt man dazu: „A rolling stone gathers no moss – ein rollender Stein sammelt kein Moos.“ Ein ständig wieder aufhörender Aspirant sammelt keinen spirituellen Fortschritt. Dieses „ohne Unterbrechung“ ist von allergrößter Wichtigkeit. Man wirft zum Beispiel einen Ball in die Luft, überlegt sich ein paar Stunden Pause zu brauchen. Was passiert mit dem Ball? Er fällt herunter und wir müssen wieder von vorne beginnen. Es ist also sehr wichtig, dass wir die Übung nicht unterbrechen. Ohne Unterbrechung heißt zum Einen, dass wir täglich meditieren – Krishna spricht ja gerade im 6. Kapitel von Meditation –, dass wir unsere spirituellen Praktiken regelmäßig machen und zum anderen heißt es natürlich, dass wir in der Einstellung des Karma-Yoga beständig üben. Kurzfristige Unterbrechungen, wenn wir sehr viel zu tun haben, sind nicht dramatisch, sollten sich aber in Maßen halten bzw. Ausnahmen sein.

Ansonsten sollten wir uns jeden Tag bemühen, die Yoga Grundsätze umzusetzen. Natürlich müssen wir geduldig sein, bis wir es wirklich in jedem Moment schaffen. In diesen Dürreperioden, in denen man die große Neigung hat aufzuhören, dort scheidet sich die Spreu vom Weizen. Und dort unterscheiden sich die Menschen, die in diesem Leben sehr weit kommen von den Menschen, die in diesem Leben immer wieder nur beginnen und ihr ganzes Leben immer wieder von neuem beginnen.

Es gibt viele Menschen, die zyklisch veranlagt sind und die Perioden haben, wo sie sehr viel und sehr intensiv üben, hohe Bewusstseinsstufen erreichen und dann wieder in ein tiefes Loch fallen. Diese Menschen werden nicht immer gleich üben können. Es hilft ihnen, wenn sie in ihren Hochphasen sind, schon dort zu planen, was sie praktizieren werden, wenn sie nicht mehr in der Hochphase sind und ihnen das Sadhana keinen Spaß mehr macht.

Unsere Swarupa können wir durch Yoga nicht ändern. Wenn wir ein Mensch sind, der öfter mal Hochs und Tiefs erlebt, dann werden durch die Yoga Praxis nicht die Tieferfahrungen beseitigt. Sie werden weiter fortbestehen. Wenn wir manchmal extrovertiert und manchmal introvertiert sind, dann wird auch das bleiben.

Viele Aspiranten haben die falsche Vorstellung, wenn sie anfangen Yoga zu praktizieren, müssten die Tief-Perioden aufhören und wenn sie dennoch kommen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Yoga schlecht ist. Sie sind dann enttäuscht und sie haben nicht nur ein Tief, sondern sind dann auch noch dazu abgrundtief enttäuscht, dass sie wieder in ein Tief reingerutscht sind. Jeder Aspirant sollte seine Prakriti (Natur) bzw. Swarupa (Wesen) annehmen mit allen Schattenseiten und sich trotzdem nicht damit identifizieren. Wenn er während dieser Tiefphase weiter praktiziert, vielleicht etwas gemäßigter als vorher, dann fällt er nicht ganz so tief. Es gelingt ihm auch während der Tiefphase, sich zwischendurch von der Verbundenheit mit diesem emotionellen Schmerz zu lösen. Sogar in der Tiefphase selbst kann er in der Meditation oder im Pranayama oder durch Beobachtung oder Hingabe an Gott die Verhaftung lösen und zur Hochphase zurückkommen.

Beständige und realistische Übung – man kann auch sagen: reife spirituelle Praxis, beinhaltet, dass wir uns selbst akzeptieren, uns lieben lernen und lernen mit uns umzugehen. Aber Akzeptanz heißt nicht, dass wir uns einfach gehen lassen. „Yoga karmasu kausalam“ (BhG II 50). Yoga ist Geschick im Handeln. Yoga ist Geschick in der Übung, Yoga ist Geschick im Umgang mit sich selbst.

Wir müssen lernen, die richtige Mischung zwischen eigener Beherrschung und Leben unserer Swarupa zu finden. Dass dies eine Schwierigkeit ist, sehen wir auch daran, dass Krishna an verschiedenen Stellen in der Bhagavad Gita darüber spricht, dass wir unsere Swarupa nicht ändern können, ihr nicht entgegenstehen können.

Spirituelles Leben besteht aus dem Spannungsfeld unsere Natur, unser Temperament zu leben, dem Herzen zu folgen, die eigene Pflicht zu tun und der Notwendigkeit, den Geist zu beherrschen. Wann immer wir in ein Extrem verfallen oder versuchen, dem Idealtypus von Aspiranten nachzueifern, werden wir scheitern, werden wir Rückschläge erleben. Wenn wir nur das tun, wobei wir uns gut fühlen, entsteht auch kein Fortschritt. Wir werden nur zu Egoisten, die alle Menschen in ihrer Umgebung ständig zur Verzweiflung treiben. Einfach seinen Wünschen folgen führt nicht zu spirituellem Fortschritt.

Daher: Übung und Verhaftungslosigkeit sind die wertvollsten Eigenschaften auf dem Weg. Verhaftungslosigkeit heißt Vorurteilsfreiheit. Verhaftungslosigkeit heißt, nicht zu denken: „Ich weiß genau, wie der Fortschritt zu sein hat.“ Vairagya üben heißt auch, dass wir Dingen entsagen. Das ist Vairagya, öfters mal Dinge nicht zu tun, die wir gern haben, öfters mal Dinge tun, die wir nicht mögen. Bewusster Verzicht und Verhaftungslosigkeit, Nichtanhaftung an den Früchten, am Ergebnis oder der Handlung sind ein wesentlicher Bestandteil spirituellen Fortschritts. Gleichzeitig sollten wir Verhaftungslosigkeit aber nicht als Ausrede verwenden für Pflichtvergessenheit, als Ausrede für Tamas. Wenn wir diese Lehre beherzigen, dann können wir den Geist bezähmen.