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11-09 Kommentar Sukadev

Wer ist noch einmal Sanjaya? Der Erzähler, der Weise. Und wer ist der König? Dhritarashtra. Sanjaya erzählt dem König Dhritarashtra die Geschichte der Bhagavad Gita und des Kurukshetra Krieges.

„Nach diesen Worten, Oh König, zeigte der große Herr des Yoga, Hari (Krishna), Arjuna Seine höchste Gestalt als der Herr Aisvarya, als Ishwara, als Gott.“ Jetzt beschreibt Sanjaya, der die von Vyasa gegebene Gabe hatte, das wahrzunehmen, was auf dem Schlachtfeld geschah, die Vision, die Arjuna hatte. Arjuna erzählte Sanjaya nicht, was er erlebt hatte.

Hier noch einmal als Erinnerung die Hintergrundsgeschichte der Bhagavad Gita: Sanjaya, ein Weiser, hatte von Vyasa die Gabe der „Fernsicht“ erhalten. Er konnte von der Hauptstadt des Königreichs aus sehen, was viele Kilometer entfernt auf dem Schlachtfeld geschah. Als Dhritarashtra hörte, dass sein Heerführer Bishma tödlich verwundet auf dem Schlachtfeld lag, wollte er wissen, wie das geschah. So beginnt die Bhagavad Gita: Dhritarashtra fragte Sanjaya, wie das passiert ist? Da Sanjayas 3. Auge geöffnet war, wusste er, was passiert war. Seine Vision war zwar nicht so wie die Viratswarupa Vision von Arjuna (Samprajnata Samadhi). Aber Sanjaya hatte gesehen, was auf dem Schlachtfeld passierte. Er hatte gehört, was Krishna und Arjuna gesprochen haben. Sanyaya muss auch telepatisch mit Arjuna verbunden gewesen sein, so dass er sehen konnte, was Arjuna wahrgenommen hatte. Noch eine interessante Sache: Sanjaya muss die Vision teilweise zusammen mit Arjuna gehabt haben, sonst hätte er in dem Moment nicht beschreiben können, was Arjuna gesehen hatte.[1]

Und diese Gestalt wird als Viratsvarupa bezeichnet. Virat ist die Welt, Svarupa die Form. Krishna zeigt Arjuna die ganze Welt als seine Gestalt. In diesem Körper gibt es viele Zellen und jede einzelne Zelle hat eine „Einzel-Existenz“. Man kann sogar jede Zelle von einem Teil des Körpers zum anderen transferieren. Angenommen, du hast eine großflächige Verbrennung. Dann kann man irgendwo einen Teil der Haut wegnehmen und woanders hin transplantieren. So wächst das dann auch wieder zusammen.

Es geht sogar noch weiter: Bei gleicher Blutgruppe, Rhesusfaktor etc. kann man eine Niere, Herz und weitere Organe miteinander transplantieren. Auch wenn es nicht ganz so einfach ist, kann man inzwischen Hände, Arme und ganze Gesichter transplantieren. Die einzelnen Körperteile können also woanders hin und sind „unabhängig“, existieren also auch ohne den Körper, wenn man sie versorgt.

Und so ist es mit der ganzen Welt: Sie besteht aus verschiedenen Einzelteilen, die aber alle miteinander verbunden sind. Die Welt als Ganzes ist wie der physische Körper Gottes. Und im weiteren Sinne ist Viratsvarupa die ganze kosmische Gestalt Gottes. Das heißt, dass die ganze Welt wie der Körper Gottes ist.

In einer späteren Entwicklung der Vedanta Philosophie werden auch 3 Ebenen unterschieden. Swami Krishnananda beschreibt das in manchen seiner Bücher und Shri Kartikeyan nimmt ab und zu einmal Bezug darauf:

Viratsvarupa – das heißt in diesem Kontext: Das ganze physische Universum als eine Einheit, als physischer Körper des Kosmischen Wesens.

Hiranyagarbha – wörtlich „das goldene Ei“: das Universum als ein goldenes Ei, welches die Lichtkräfte, die Astralwelten symbolisiert. Das ganze astrale Universum mit allen Feinstoffwesen, mit allen Gedanken, Gefühlen, Akasha Chronik, Feinstoffenergien, als Astralkörper, als Geistkörper Gottes.

Ishwara – hier wird Ishwara im engeren Sinne verstanden: Gott als Kausalkörper des ganzen Universums, als Summe aller Urprinzipien, Urgesetze, Ursprung des ganzen Universums.

Patanjali beschreibt das sehr ähnlich im 1. Kapitel der Yoga Sutras anhand von verschiedenen Formen der Meditation. Dort erwähnt er auch die Vitarka Meditation (unterschieden in Savitarka und Nirvitarka), die Vichara Meditation (unterteilt in Savichara und Nirvichara) und als drittes die Sananda/Sasmita Meditation.

Die Vitarka Meditationstechnik ist eine Meditation über die Gesamtheit des physischen Universums als eine Einheit. Vitarka heißt: die Bewusstwerdung der Einheit und Verbundenheit von allem auf der physischen Ebene. Das kann man in mehreren Schritten tun:

Werde dir deiner Individualität bewusst.

Werde dir der Verbindung mit deiner Umgebung und den Wesen um dich herum bewusst.

Werde dir bewusst, dass alles miteinander verbunden und damit ein organisches Ganzes ist.

Eine der beliebten Meditationstechniken ist die Meditation über den Atem:

Spüre wie der Atem aus der Nase ein- und ausströmt, in die Lungen ein- und ausströmt, der Bauch vor- und zurückgeht.

Werde dir bewusst, dass du über den Atem mit allem in Verbindung stehst, dass die Luft, die du einatmest, schon in den Lungen und Arterien so vieler Menschen und in so vielen Blättern von Bäumen war.

Werde dir bewusst, dass alle Wesen auf Erden über den Atem miteinander verbunden sind.

Etwas detaillierter: Spüre den Atem. Denke über den Atem nach. Stelle fest: „Ich atme.“ Mein Körper braucht Sauerstoff. Mein Körper besteht zu einem Teil aus Sauerstoff. Angenommen, ich wäre der Körper. Wann wird die Luft in mich transformiert? Das ist der relative Standpunkt. Ich bin hier und die Luft ist da. Wann wird also die Luft zu mir? Wann wird Sauerstoff zu Sukadev? Wenn sie die Nase durchdringt? Wenn sie die Lunge erreicht oder erst, wenn die Luft in die Lungen eingedrungen ist? D. h., in mir ist alles Mögliche, was ich nicht bin. Wenn ich mich jetzt verletze und Blut fließt, wenn also jetzt Blut zusammen mit der Luft aus meinen Adern käme, bin ich dann teilweise dort in der Schüssel? Wenn mir Blut abgezapft wird, bin ich dann teilweise in der Spritze und werde dann irgendwo analysiert? Es ist also etwas schwierig: Wo bin ich? Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Oder wenn ich esse. Ab wann wird das Essen zu mir? Wenn ich es auf dem Löffel habe oder erst, wenn ich es in den Mund nehme? Kaue ich dann auf mir selbst? Wenn ich es schlucke oder es im Magen ist? Und wenn ich mich übergebe? Ab wann bin ich es nicht mehr? Bin ich das Essen, wenn die Nahrung in den Blutkreislauf kommt? Und wenn sie später wieder in die Nieren und in den Urin herauskommt? Bin ich dann teilweise im Abfluss? Es klingt verrückt, aber das sind die Fragen: Wer bin ich? Wo fange ich an? Wo höre ich auf?

Auf diese Weise nachzudenken, ist also Vitarka Meditation, letztlich zu sehen, dass wir bereits auf der physischen Ebene verbunden sind. Jeder im selben Raum hat während einer Stunde Moleküle in der Lunge gehabt, die schon durch jede andere Lunge im Raum hindurchgegangen sind. Ich finde den Gedanken schön. Aus übertriebener Hygiene mag mancher den Gedanken schlecht finden, aber es ist doch etwas Schönes, oder? In meinen Lungen waren in der letzten Stunde Moleküle, die in jeder Lunge von jedem hier im Raum waren. Die Worte dieses Absatzes habe ich gesprochen in einer Yogalehrer Weiterbildung. Ich lese sie gerade und wandele sie ab, während ich im Flugzeug von Hannover nach Vigo bin. In meinen Lungen sind gerade Moleküle, die in jeder Lunge in diesem Flugzeug waren. So verbunden sind wir. Wir teilen die Luft, auch die Viren und vieles andere.

Man kann das noch weiter führen: Die Erde trägt uns. Wo wären wir ohne Erde, ohne Luft? Was wären wir ohne Sonne, ohne Licht? Was wären wir ohne Kleidung? Wo kommt die Kleidung her? Was würden wir hier in diesen Breiten ohne Kleidung machen? Wir wären vielleicht weniger verweichlicht. Wir wären abgehärteter. Bei aller Abhärtung würden wir das aber nicht überleben. So schnell wächst uns kein Winterfell.

Dieser Verbundenheit können wir uns immer bewusst sein. Savitarka heißt, „sich die Einzelheiten bewusst machen“. Nirvitarka heißt, „nicht mehr in die Einzelheiten gehen, sich das ganze physische Universum als einen Organismus (Viratswarupa) bewusst machen“ – es ist ein einziger Körper und ich bin Teil davon. Das Resultat von Savitarka Meditation ist Nirvitarka und letztlich Liebe. Denn intellektuell verstehen wir es doch nicht ganz. Wenn der Zustand vom Intellektuellen und von Einzelemotionen zu reiner Liebe wird, dann ist es Nirvitarka.

Ähnlich verhält es sich mit der Meditationsstufe Savichara/Nirvichara, mit der wir uns der Einheit des Denkens und Fühlens und damit des Kosmischen Geistes bewusst werden. Die Savichara Meditation hat auch etwas mit Nachdenken zu tun, nämlich Nachdenken darüber, dass wir auch auf der geistigen Ebene alle  verbunden sind, damit wir von der Identifikation mit der Individualität etwas weggehen. Eine Möglichkeit ist, zu sehen, wie wir von anderen beeinflusst werden. Jemand sagt: „Du bist ein toller Hecht“ und schon … Jemand sagt: „So ein Unsinn!“ … So sind unsere Stimmungen von anderen beeinflusst. Und würde uns niemand sehen wollen, wäre es irgendwie traurig. Wir mögen sagen, wir sind von allem unabhängig, aber wenn mal die Probe aufs Exempel kommt … Zwar wollen wir nicht abhängig sein, aber realistisch gesehen, sind wir alle irgendwo miteinander verbunden.

Und wir werden auch von Stimmungen anderer beeinflusst. Angenommen, ihr habt einen Kollegen oder zwei oder drei im Büro, die in schlechter Stimmung sind – allzu lange kann man seine gute Stimmung nicht aufrechterhalten. Man kann natürlich probieren, seine eigene gute Stimmung ausstrahlen zu lassen, vielleicht gelingt es auch und man macht besonders viel Kapalabhati, nutzt Suggestionen und Techniken von Achtsamkeitsfokkusierungen auf positive Weise für die anderen. Denn wir sind dem nicht hilflos ausgesetzt wie ein Tier, das sich nur passiv oder reaktiv verhalten kann. Wir können auch aktiv tätig werden.

Wir stehen miteinander auch emotional und geistig in Verbindung. Das ist eine Weise, geistige Verbundenheit zu erkennen: Wir beeinflussen uns alle gegenseitig.

Eine weitere Weise, geistige Verbundenheit zu erkennen, ist, sich bewusst zu machen, dass alles, was in mir ist, auch in jedem anderen Menschen vorhanden ist und umgekehrt. Es gibt  auch eine Übung, bei der man sich über den Tag immer wieder fragt: Ist das, was ich jetzt erfahre, fühle und denke wirklich mein individueller Gedanke? Oder ist es ein allgemein menschlicher Gedanke, den andere auch haben? Angenommen, man freut sich über etwas: Ist das meine individuelle besondere Freude? Nein, es ist menschliche Freude, die sich jetzt durch mich manifestiert. Man fühlt sich vielleicht einsam und verlassen: Ist das etwas ganz besonderes bei mir? Gibt es niemand anderen, der das hat? Man stellt fest: Einsamkeit, Verlassenheit ist ein allgemein menschliches Gefühl, eine menschliche Erfahrung, die sich in mir manifestiert. Und dann erkennt man Verbundenheit – das ist Savichara.

Nirvichara ist das Gefühl der Verbundenheit mit allem und mündet letztlich auch wieder in der reinen Liebe. Jede Liebe ist Verbundenheit. Die Grenzen der Individualität verschwinden und man verschmilzt. Das kann im kleinen beginnen: Man verschmilzt vorübergehend mit einem anderen, indem man mit ihm fühlt. Die reine bedingungslose Liebe ist Nirvichara, wenn man mit allem verschmilzt.

Die 3. und höchste Stufe ist Sananda, die Erfahrung der Einheit mit Ishwara, dem Schöpferprinzip an sich, der Urintelligenz selbst. Sananda heißt „mit Freude“ oder auch „gemeinsame“ (sa) „Freude“ (Ananda). Damit erfährt man die Anandamaya Kosha, die Wonnehülle als Teil der unendlichen Liebe und Freude. Dieses verschmilzt dann mit Sasmita, dem reinen Ich-Gefühl, dem „gemeinsamen“ (sa) „Ich“ (Asmita). Auf der Ebene von Freude und Bewusstheit sind wir alle miteinander verbunden.

Letztlich kann man sagen, dass wir die Zellen des kosmischen Körpers, Gedanken des Kosmischen Geistes, Freude und Bewusstsein des Kosmischen Selbst sind. Und das will Arjuna jetzt wirklich erfahren.

Der Ausdruck Viratswarupa kann also enger definiert sein (die physische Welt als Körper des Kosmischen Wesens) oder umfassender (das ganze Universum als ein großer Organismus). In der Bhagavad Gita wird der Ausdruck Viratswarupa/Vishwarupa in seiner weiteren Bedeutung gebraucht, so dass er alles umfasst.

Nach diesen einleitenden Worten zeigt Krishna nun Arjuna seine Kosmische Gestalt (Vishwarupa).

 


[1] Mindestens wird es so in der Mahabharata Geschichte erzählt –unabhängig davon, ob das historisch tatsächlich so war.