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03-33 Kommentar Sukadev

Diese Worte Krishnas kommen für den Leser relativ unvermittelt. Vorher erzählt Krishna uns die ganze Zeit, dass wir unsere Sinne beherrschen sollen, nicht aus geistigem Fieber heraus handeln sollen, und jetzt sagt er: „Auch der Weise handelt gemäß seiner Natur; die Wesen folgen der Natur; wozu überhaupt Selbstbeherrschung?“

Wir können diesen Gegensatz nicht vollständig auflösen. Es gibt mehrere Gegensatzpaare, die in der Bhagavad Gita beschrieben werden. Das eine Gegensatzpaar ist Entsagung versus Handlung. Das zweite ist Selbstbeherrschung versus seine Natur leben.

Man kann auf mehrere Weisen versuchen diesen Widerspruch aufzulösen. Man kann sagen, dass es eine tiefere Natur und oberflächliche Wünsche und Vorstellungen gibt. Der tieferen Natur sollte man folgen. Die oberflächlichen Wünsche und Vorstellungen, die so aufgesetzt sind, die sollte man ablegen. Der Unterschied ist allerdings nicht immer klar zu erkennen. Ayurveda z.B. sagt, dass ein gewisses Temperament mit der Geburt schon festgesetzt ist. Bei der Geburt weiß man schon, ob jemand hauptsächlich Vata, Pita oder Kapha ist. Damit sind wir schon auf die Welt gekommen und können wenig daran ändern. Es ist unsere tiefere Natur und es rentiert sich auch nicht, jetzt zu versuchen, anders zu sein, als es ihr entspricht. Das können wir auch daran erkennen, dass es ganz viele Weise gibt, die ganz unterschiedlich sind. Swami Vishnu z.B. ist ein eher emotionaler Typ. Swami Chidananda ist immer ein sehr ruhiger Meister, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Ein Meister ist nicht spiritueller als ein anderer Meister. Sie haben ihre Natur und diese Natur wird in den Dienst anderer gestellt. Und so ähnlich ist es mit uns. Wir haben unsere eigene Natur und unsere eigene Natur sollen wir nicht beschränken, sondern sie leben. Aber individuelle Wünsche und Zu- und Abneigungen sollen wir beherrschen lernen. Nicht immer ist der Unterschied klar. Aber wir können es machen, so gut wir es können.

 

Es gibt eine Nasrudin Geschichte: Eines Tages flog ein Falke zu Nasrudin. Falken haben einen langen Schnabel und einen langen Schwanz und sind ganz besondere Tiere. Nasrudin hatte so einen Vogel noch nie gesehen. Er schnitt ihm den Schnabel klein, schnitt den Schwanz klein, färbte die Federn noch ein bisschen und die Krallen ein bisschen und sagte dann: „Jetzt siehst du aus, wie ein Vogel auszusehen hat.“

 

Es gibt auch die „Geschichte vom hässlichen Entlein.“ Es war einmal ein Schwan, der viele Eier legte. Eins dieser Eier gelangt in das Nest einer Entenfamilie. Alle anderen Schwaneneier wurden getötet oder weggenommen. Der Schwan wuchs dann in dem Glauben auf, er sei eine Ente. Aber er sah ganz anders aus, als die Enten. In seiner Jugend war er besonders hässlich, viel hässlicher als alle die kleinen Enten und er war traurig darüber. Aber er wuchs zu einem wunderschönen Schwan heran und galt als der hübscheste Vogel vom ganzen See.

Bei uns Menschen kann es sich ähnlich verhalten. Wenn wir das, was in unserer Natur angelegt ist, und von dem wir denken, es stört uns, mal näher betrachten, kann es in Wahrheit besonders schön sein. Auf diese Weise kann man mit sich selbst umgehen. Wenn wir glauben, wir hätten diese oder jene negative Eigenschaft und wären in dieser oder jener Hinsicht schlecht, dann könnten wir auch überlegen, ob hinter dieser Eigenschaft nicht vielleicht ein besonderes Talent von uns verborgen ist. Wir haben oft schon lange versucht, es zu beherrschen, und es gelingt uns trotzdem nicht. Vielleicht ist es ja gar keine oberflächliche Eigenschaft, die es zu ändern gilt, sondern ein Teil meiner Prakriti, meiner Svabhava, die ich nur in die richtige Richtung lenken muss, dass es meiner Situation angemessen ist, die ich dann Gott darbringe. Ich mich nicht damit identifiziere sondern sage: „Das ist die Prakriti von mir und diese Prakriti will ich in den Dienst Gottes und der Menschheit stellen.“

Wenn wir z.B. eine Eigenschaft wie Ungeduld haben, können wir überlegen, welche positiven Aspekte in ihr stecken. Wo wir die Ungeduld zum Wohl anderer einsetzen können, und es in der karmischen Situation angebracht ist. Krishna weist an vielen Stellen in der Bhagavad Gita immer wieder daraufhin, dass wir unsere Prakriti, unsere Swabhava genauso anerkennen sollen, wie die Tatsache, dass verschiedene Menschen verschiedene Pflichten und Aufgaben haben. Meistens rät er das, wenn er vorher auf Selbstbeherrschung aufmerksam gemacht hat.

Wir können uns also immer wieder um Beherrschung bemühen und in Situationen, wo es nicht möglich ist oder wir es nicht schaffen, können wir lernen uns nicht damit zu identifizieren, sondern schauen, wie wir es leben, dass es zum Wohle anderer ist. Wir könnten theoretisch unser ganzes Leben damit verbringen, unsere Schwächen zu beseitigen und ich behaupte, der Mehrheit der Menschen würde es nicht gelingen, alle Schwächen zu beseitigen. Wir können aber lernen, die am stärksten störenden Schwächen zu bearbeiten. Wir können schauen, was in unserer Prakriti eigentlich verkannte Stärken sind. Und dann können wir lernen, wie wir diese Stärken positiv einsetzen. Da stoßen wir oft an Grenzfragen, die wir nicht leicht beantworten können. Wo sollen wir kämpfen und wo sollen wir unsere Stärken nutzen?

Krishna geht von beidem aus. Es gibt einen Raum für Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle. Es geht auch darum, positive Eigenschaften zu entwickeln, negative Eigenschaften und Gewohnheiten zu überwinden. Nicht umsonst erzählt er ja auch von den großen Heiligen und den Eigenschaften der Heiligen. Krishna räte Arjuna, positive Eigenschaften zu entwickeln. Aber auch die Heiligen haben ihre Prakriti (ihre Wesensnatur), die sie leben. Manche Heilige sind sogar nach den Standards der westlichen Psychologie vor ihrer Verwirklichung verrückt, psychotisch gewesen. Ramakrishna z.B. war in der Jugend niemand, der besonders ausgeglichen war, sondern im Gegenteil, er wurde von seinen Eltern und der Gesellschaft als jemand mit starken geistigen Störungen klassifiziert. Er war nicht in der Lage, längere Zeit in der Schule zu bleiben. Die Lehrer dachten, er träume nur. Er konnte sich nicht konzentrieren. Wenn er irgendwo in den Himmel geschaut hat, dann ist er in Ohnmacht gefallen. Als Jugendlicher wusste er nicht, was das war. Aber er hatte von Natur aus die Neigung zu Mystik und zu spirituellen Erfahrungen. Und irgendwann hatte er die Erfahrungen als außerordentliche Gotteserfahrungen erkennen können und weiterentwickelt bis zur Erfahrung der vollständigen Einheit. Man muss also nicht psychisch gesund sein um die Selbstverwirklichung zu erreichen. Und auch nach der Selbstverwirklichung haben viele Heiligen sich außergewöhnlich verhalten.

Wir stehen hier bei Yoga Vidya natürlich in der Tradition des ganzheitlichen Yoga von Swami Sivananda. Da gilt es, sich auch um körperliche Gesundheit und psychisches Gleichgewicht zu bemühen und parallel sich spirituell zu entwickeln. Swami Sivananda hatte, so wie er in den Biographien beschrieben wird, sicherlich eine hohe psychische Gesundheit. Er ist wahrscheinlich einer der psychisch gesündesten Menschen gewesen, anders als z.B. Ramakrishna vor seiner Verwirklichung. Bei Yoga Vidya arbeiten wir also an der ganzheitlichen Entwicklung. Wir arbeiten an der Gesundheit des Körpers, der Gesundheit der Psyche, der Gesundheit des Pranas, der Gesundheit des Intellekts und des Unterscheidungsvermögen und dann wollen wir all das transzendieren, um die Selbstverwirklichung zu erreichen. Aber wir müssen nicht 100% gesund sein, um die Verwirklichung zu erreichen. Wir müssen nicht die Kundalini vollständig erweckt haben, wenn wir die Verwirklichung erreichen. Durch die Verwirklichung wird die Kundalini sowieso mit erweckt. Wir müssen auch nicht vollkommen psychisch gesund sein, um die Verwirklichung zu erreichen. Es hilft aber, wenn wir an allen Dingen parallel arbeiten, an denen wir arbeiten können. Und das, was wir nicht ändern können, können wir in den Dienst Gottes stellen. Wir können also entspannt und ohne Leistungszwang den spirituellen Weg gehen. Auf gewisse Weise können wir dann die Selbstverwirklichung als Gnade empfangen.

Nachdem Krishna uns nun gelehrt hat, was so eine Einstellung bewirken kann, sagt er: