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18-44 Kommentar Sukadev

Ein Vaishya ist jemand, der Geld verdienen will. Er zieht seine Befriedigung daraus, wirtschaftlichen Erfolg zu haben und darüber gesellschaftliches Ansehen zu erlangen.

Ein Shudra will sich nicht übermäßig engagieren, sondern ein bequemes Leben führen. Solange er ein Dach über dem Kopf, etwas anzuziehen, zu essen und zu trinken hat, in der Familie alles o.k. ist, seine Ruhe nicht gestört wird und er ab und zu in Urlaub fahren kann, ist er ganz zufrieden.

Vermutlich wirst du beim Lesen feststellen, dass die Mehrheit der Menschen in deiner Umgebung in eine dieser Kategorien fällt. Natürlich muss man sich vor Verallgemeinerungen, Überheblichkeit und Klassifizierungen hüten, denn wenn man Menschen nur von außen beurteilt und über einen Kamm schert, wird man ihnen nicht gerecht. Dennoch kann es auch im Alltag hilfreich sein, zu erkennen, welcher Typus bei einem Menschen vorherrscht, um ihn so besser zu verstehen und besser auf ihn eingehen zu können.

Kastenwesen als Typologie

Jemandem, der von seinem Temperament her Shudra ist, sollte man nicht versuchen zu erklären, er müsse doch seine Talente zum Vorschein bringen, er müsse doch an sich arbeiten und sich nicht einfach mit dem begnügen, was jetzt da ist. Solange die eigene Fußballmannschaft nicht absteigt oder der Lidschatten zur Tapete passt, ist soweit alles in Ordnung. Es gibt Menschen, deren Gespräche sich hauptsächlich um solche Dinge drehen. Das ist einfach ihr Swabhava, ihre Grundveranlagung, in dieser Inkarnation.

Natürlich haben sie auch alles andere in sich, denn jeder Mensch trägt alles in sich und ist eine Inkarnation Gottes in seiner ganz individuellen Ausprägung. Aber Menschen mit einer solchen Veranlagung überfordert man schlichtweg, wenn man sie zu etwas anderem bewegen will.

Solchen Menschen darf man auch nicht sagen, „Mach’ Yoga, um die Selbstverwirklichung zu erreichen.“ Sie sind eher zum Yoga zu bewegen, wenn man sagt, „Mach’ Yoga, dann fühlst du dich besser, siehst fünf Jahre jünger aus und gefällst anderen besser. Du bist gesünder und kannst dein Leben besser und länger genießen.“

Vaishyas kann man motivieren und ihnen Yoga nahe bringen, indem man ihnen sagt, „Du kriegst mehr Energie, dann kannst du länger arbeiten und hast trotzdem mehr Ausstrahlung. Du bekommst mehr Charisma, deine Intuition wird stärker und so kannst du auch mehr Erfolg haben.“

Oder man stellt fest, man hat Talente in der freien Wirtschaft, außerdem macht es einem Spaß und man genießt es auch, ein bisschen mehr Geld zu verdienen, vielleicht auch, um es nachher anderen weiterzugeben.

Man hat also ein gewisses Vaishya-Temperament, und das kann man dann auch einsetzen. Es wäre vermutlich nicht falsch, wenn die Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen Yoga praktizierten. Denn eine florierende Wirtschaft kommt letztlich allen zugute. Sicher kommt man dabei auch gelegentlich in ethische Konflikte – wie bei allem, was man auf der relativen Ebene tut. Und dann kann man auf dieser Ebene die Grundsätze der Bhagavad Gita für ein ethisches Leben und die bestmögliche Entscheidungsfindung anwenden.

Einem Kshatriya-Typ könnte man zum Beispiel Yoga empfehlen mit den Worten: „Du gewinnst mehr Energie, um dich für das Positive einzusetzen und beugst einem Burn-out vor.“ Die heutigen Kshatryas engagieren sich für das Gemeinwohl, in Bürgerinitiativen, in der Ökologiebewegung, in karitativen Vereinen oder setzen sich zum Beispiel auch als Rechtsanwälte, in der Verwaltung und in der Politik idealistisch für das Gemeinwohl ein. Ich kenne eine ganze Reihe Politiker und ich habe das Gefühl, die Mehrheit der Politiker will sich wirklich für das Gemeinwesen einsetzen, ihre Kshatriya-Fähigkeiten auf positive Weise nutzen. Oft stossen sie mit ihren Idealen an Grenzen und schmeißen den Kram hin. Menschen, die sich so engagieren, kann man helfen, indem man sie ermutigt: „Yoga hilft dir, dass du Kraft und Inspiration bekommst und auch mit Enttäuschungen besser umgehen kannst. Wer sich für das Gemeinwohl, für etwas Gutes, einsetzt, muss auch immer wieder mit Frust umgehen lernen.“

Wenn sich jemand sehr über Ungerechtigkeiten ärgert, kann das ein Zeichen sein, dass in seiner Prakriti dieses Kshatriya-Temperament angelegt ist. Dann sollte er/sie sich bemühen, auch etwas in dieser Richtung tun, denn dann kann es sein, dass sich aus dieser Svabhava, diesem Grundtemperament, seine Aufgabe ergibt. Glücklicherweise kämpft man in der heutigen Zeit nicht mit Schwert und Pfeilen, sondern zum Beispiel mit Petitionen, Unterschriftensammlungen, Gesprächen, Gründung von Vereinen, Parteien, Bürgerinitiativen usw.

Und jemand mit Brahmana-Temperament macht Yoga, um zur höchsten Erkenntnis zu kommen. Für jemanden, der gern meditiert, gerne Asanas und Pranayama macht, ansonsten aber weder übermäßiges berufliches Interesse hat noch Interesse, sonstige Heldentaten zu vollbringen oder etwas Bestimmtes zu erreichen, könnte die richtige Weise sein, für eine einfache Arbeit zu sorgen, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient und ansonsten seine Zeit mit spirituellen Praktiken verbringt.

In der Praxis mischen sich die Grundtypen.

Ein spiritueller Mensch, also Brahmana, ist zum Beispiel oft gleichzeitig ein Shudra. Er will ein einfaches Leben führen, hat einen Schmalspur-Job, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und ansonsten will er Zeit haben für seine Spiritualität.

Häufig vermischen sich auch Brahmana- und Kshatriya-Züge. Man will sich für eine gute Sache einsetzen, engagiert sich auch dafür, ist aber gleichzeitig am Höchsten interessiert.

Und natürlich gibt es eine Menge Menschen, die wirtschaftlichen Erfolg suchen und auch haben und gleichzeitig auf dem spirituellen Weg sind, also eine Mischung von Vaishya- und Brahmana-Lebensstil. Die Spiritualisierung des Alltagslebens ist ja geradezu das zentrale Thema der Bhagavad Gita, dass man nämlich besonders und gerade durch das “normale” alltägliche Leben  spirituell wachsen kann.

Natürlich hat jeder Mensch Bedürfnisse auf allen Ebenen und alle Anteile sind in jedem Menschen angelegt, aber eben in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung. Und bei den meisten Menschen überwiegen mindestens in einer bestimmten Phase ihrer Biographie eine oder zwei dieser Ebenen.

Am Anfang der Bhagavad Gita ist von der Gefahr der Vermischung der Kasten die Rede. Die wörtliche Interpretation ist, dass Menschen verschiedener Kasten heiraten. Aber es hat in einem anderen Sinn eine hochaktuelle Bedeutung: Heutzutage ist es nicht ganz so einfach, sich selbst einzuordnen und somit sein Leben und seine Ziele klar auszurichten. Im Extremfall fühlt man sich in allen vier Grundrichtungen zugehörig und somit zerrissen und richtungslos.

Im Wesentlichen kommt Krishna zu der Schlussfolgerung: Aus der eigenen Natur heraus ergeben sich gewisse Verpflichtungen. Und je nachdem, welche Natur, welche Fähigkeiten, welche Talente, welche Motive man hat, hat man entsprechende Verpflichtungen und Aufgaben. Aus der Prakriti, der Wesensnatur, welche sowohl die Motivation wie auch die Talente umfasst, die in einem angelegt sind, ergeben sich Pflichten, Aufgaben, Lebensstile und Lebenswege.