Atma Bodha – Vers 68

Entsage allen Verhaftungen – erfahre Glückseligkeit

Atma Bodha – Vers 68

Deutsche Übersetzung:

Wer allen Handlungen entsagt, wer frei ist von allen Begrenzungen von Zeit, Raum und Richtung, verehrt seinen eigenen Atman, der überall gegenwärtig ist, der der Zerstörer von Hitze und Kälte ist, der ewige Glückseligkeit und unbefleckt ist und wird all-wissend und all-durchdringend und erreicht danach Unsterblichkeit.

Sanskrit Text:

digdeśakālādy anapekṣya sarvagaṃ śītādihṛn nityasukhaṃ nirañjanam ।
yaḥ svātmatīrthaṃ bhajate viniṣkriyaḥ sa sarvavit sarvagato’mṛto bhavet ॥ 68 ॥

दिग्देशकालाद्यनपेक्ष्य सर्वगं शीतादिहृन्नित्यसुखं निरञ्जनम् ।
यः स्वात्मतीर्थं भजते विनिष्क्रियः स सर्ववित्सर्वगतोऽमृतो भवेत् ॥ ६८ ॥

digdeshakalady anapekshya sarvagam shitadihrin nityasukham niranjanam |
yah svatmatirtham bhajate vinishkriyah sa sarvavit sarvagato’mrito bhavet || 68 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • dig-deśa-kālādi : Himmelsrichtung (Dish), Ort (Desha), Zeit (Kala) usw. (Adi)
  • anapekṣya : unabhängig von („keine Rücksicht nehmend auf“, an + apa + īkṣ)
  • sarva-gam : das allgegenwärtige (Sarvaga)
  • śītādi-hṛt : das (die Gegensätze von) kalt (Shita, und heiß) usw. (Adi) vertreibt („raubt“, Hrit)
  • nitya-sukham : ewiges (Nitya) Glück (Sukha)
  • nirañjanam : reine („unbefleckte“, Niranjana)
  • yaḥ : wer (Yad)
  • svātma-tīrtham : die Pilgerstätte (Tirtha) seines eigenenen Selbstes (Svatman)
  • bhajate : verehrt (bhaj)
  • viniṣkriyaḥ : allen Handlungen entsagend („handlungslos“, Vinishkriya)
  • saḥ : der (Tad)
  • sarva-vit : allwissend (Sarvavid)
  • sarva-gataḥ : alldurchdringend („überall befindlich“, Sarvagata)
  • amṛtaḥ : (und) unsterblich (Amrita)
  • bhavet : wird (bhū)     ॥ 68 ॥

Kommentar von Sukadev Bretz

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Wer allen Handlungen entsagt, wer frei ist von allen Begrenzungen von Zeit, Raum und Richtung, verehrt seinen eigenen Atman, der überall gegenwärtig ist, der der Zerstörer von Hitze und Kälte ist, der ewige Glückseligkeit und unbefleckt ist und wird all-wissend und all-durchdringend und erreicht danach Unsterblichkeit.
Dies ist der letzte Vers des Atma Bodha. Im Atma Bodha ging es um die Frage: Wie kommen wir zur Erkenntnis des Selbst? Shankara hat gefragt: Was ist das Selbst? Er hat gefragt: Was ist Brahman? Er hat gefragt: Was ist die Welt? Er hat gefragt: Was sind die begrenzenden Attribute? Was ist der Körper? Was ist die Psyche? Was ist all das? Und jetzt beschreibt er nochmal: Wie erreichst du dieses Höchste? Wie kommst du wirklich zu Atma Bodha? Denn die Erkenntnis des Selbst ist nichts Intellektuelles. Und hier sagt er: „allen Handlungen entsagt“. „Allen Handlungen entsagt“ heißt jetzt nicht, dass man nichts mehr tut. Aber den Vorstellungen, durch Handlungen irgendetwas zu erreichen, und letztlich auch allen Wünschen entsagt nach weiteren Erfahrungen. Das ist eine notwendige Bedingung. Wenn du Gott verwirklichen willst, dann höre auf zu glauben, dass durch Handlungen du glücklich sein kannst. Du handelst, um zu dienen. Du handelst, um deine Pflicht zu erfüllen. Du handelst, um das zu tun, was zu tun ist. Wenn du handelst, um deine Wünsche zu erfüllen, wenn du handelst, weil du glaubst, dadurch glücklich zu werden, dann bedingst du dein Glück. Wenn du Gott verwirklichen willst, dann entsage den Handlungen, d. h. entsage der Vorstellung, dass du selbst der Handelnde bist und entsage der Vorstellung, dass du glücklicher wirst, wenn du nur geschickt genug Dinge so änderst, wie du es gerne hättest.
Das zweite ist: Wer frei ist von allen Begrenzungen von Zeit, Raum und Richtung oder Zeit, Raum und Kausalität. Dig Desa Kala – Zeit frei von Zeit, von Raum, von Richtung. Frei sein von Zeit und Raum und Richtung heißt: Höre auf, dir zu denken, du bist begrenzt. Höre auf zu denken, du bist nur so und so viel Jahre alt. Höre auf zu denken, dass du in einem begrenzten Zeitfeld bist. Löse dich davon. Du löst dich natürlich von Zeit, Raum und Richtung. Zum einen, indem du dir bewusst machst, hinter allem ist die höchste göttliche Wirklichkeit. Du löst dich davon, indem du Yoga praktizierst. Denn Yoga-Praktiken verhelfen dazu, Bewusstsein in einen Bewusstseinszustand zu bringen, der jenseits ist von Zeit und Raum. In höheren Bewusstseinsebenen spürst du nicht mehr den Körper. Du spürst dich unendlich und weit. Du spürst nicht mehr die Begrenzungen der Psyche. Du fühlst dich als unendlich und weit. So verehrst du deinen eigenen Atman. So verehrst du das höchste Selbst. So verehrst du Gott. Denn Gott ist überall und gegenwärtig. Und indem du so Gott verehrst, kommst du auch jenseits der Dualitäten. Er nennt hier Hitze und Kälte. Aber alle Dualitäten. In dieser begrenzten Welt ist es dir mal zu heiß und mal zu kalt. Mal ist dein Essen zu salzig oder zu süß. Mal sind Menschen dir irgendwie oberflächlich freundlich, oder sie sind rücksichtslos. Mal bekommst du Tadel, mal bekommst du Lob. All das sind nur Grenzen. Erfahre dich selbst als das Selbst. Und dieses Selbst, sagt er hier, gibt dir Glückseligkeit. Es ist unbefleckt, allwissend, alldurchdringend. Und so erfährst du Unsterblichkeit.
Also nochmals diese Schritte: Entsage allen Handlungen, die du machst, um etwas Begrenztes zu bekommen. Gehe jenseits der Grenzen von Zeit, Raum, Richtung. Verehre das Göttliche überall. Gehe jenseits aller Dualitäten. Erfahre Glückseligkeit. Erfahre dich selbst als absolute Reinheit. Erfahre so: Alles Wissen sei alldurchdringend. So erfährst du Glückseligkeit. Denke darüber nach, meditiere darüber, verwirkliche es im Alltag. Ich werde zwar noch einmal etwas schreiben über Atma Bodha, aber das war jetzt der letzte Vers.
Einen Moment lang gehe vielleicht in die Stille. Einen Moment lang nimm dir vor, über alle Bedingtheiten hinaus zu wachsen. Einen Moment lang nimm dir vor, dich selbst als unsterbliches Selbst zu erfahren. Und egal, was sonst an der Oberfläche deines Geistes sein mag, spüre: Ich bin das unsterbliche Selbst. Unbedingt, allgegenwärtig, allwissend, ewig.

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