Viveka Chudamani – Vers 215

Deutsche Übersetzung:

215. Wenn auch immer etwas von jemandem wahrgenommen wird, muss es davon ein beobachtendes Prinzip geben. Wenn etwas von niemanden wahrgenommen wird, kann von Beobachtung nicht die Rede sein.

Sanskrit Text:

tat-sākṣikaṃ bhavet tat tad yad yad yenānubhūyate |
kasyāpy ananubhūtārthe sākṣitvaṃ nopayujyate || 215 ||

तत्साक्षिकं भवेत्तत्तद्यद्यद्येनानुभूयते |
कस्याप्यननुभूतार्थे साक्षित्वं नोपयुज्यते || २१५ ||

tat-sakshikam bhavet tat tad yad yad yenanubhuyate |
kasyapy ananubhutarthe sakshitvam nopayujyate || 215 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • tat-sākṣikam : dasjenige (Tad) zum Zeugen (Sakshika)
  • bhavet : hat („soll sein“, bhū)
  • tat tat : alles („all das“, Tad)
  • yad yat : jeweils („was alles“, Yad)
  • yena : wodurch (Yad)
  • anubhūyate : es wahrgenommen wird (anu + bhū)
  • kasyāpi : von irgend etwas, irgend jemandem (Ka Api)
  • ananubhūtārthe : in Bezug auf eine Sache (Artha), die nicht wahrgenommen wird (Ananubhuta)
  • sākṣitvam : ein Zeugesein (Sakshitva)
  • na : nicht (Na)
  • upayujyate : gibt es („eignet sich“, upa + yuj)     || 215 ||

Kommentar

Hier sagt Shankara, dass es einen Beobachter geben muss. Er hat zuvor davon gesprochen, dass du nicht das Beobachtete bist. Du bist nicht das, was du sehen kannst. Du bist nicht der Himmel, du bist nicht das Essen. Was du sehen, hören, schmecken, fühlen kannst, das bist du nicht.
Daher bist du auch nicht der Körper, denn du kannst den Körper sehen, auch im Spiegel sehen. Du kannst den Körper hören. Du kannst das Klatschen hören, die Stimme hören, das Streicheln hören. Du kannst den Körper riechen, den Körper schmecken und fühlen. Du nimmst wahr.
Du kannst auch die Emotionen und die Gedanken wahrnehmen. Das, was wahrgenommen wird, bist du nicht.
Wer bist du also? Gibt es mich überhaupt?
Shankara sagt, dass es jemanden geben muss, denn jemand beobachtet. Das ist so ähnlich, wie auch Descartes gesagt hat: „Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich.“ Descartes wollte in seiner Schrift „Meditationes“ herausfinden, ob es irgendetwas gibt, worauf er bauen kann. Er sagt auch, dass er an allem zweifeln kann, alles eine Illusion sein könnte. Die Welt könnte wie eine Traumwelt sein. Alles, was ich sehe, könnte eine Sinnestäuschung sein.
Aber es muss jemanden geben der denkt. Auch wenn ich zweifele muss es jemand geben, der zweifelt. Ohne, dass es jemanden gibt der zweifelt, gibt es auch keinen Zweifel. Also muss ich existieren. Und so sagt Shankara hier: Es muss jemanden geben, der Zeuge ist. Daher muss es das Selbst geben. Mache dir das bewusst. Ich bin der Wahrnehmende. Mich gibt es. Aber es gibt mich nicht als Individuum, denn das Individuum ist wahrnehmbar. Das, was wahrnehmbar ist, bin ich nicht. Wenn es Grenzen gibt, dann kann ich die Grenzen wahrnehmen. Das, was wahrgenommen wird, bin ich nicht. Also kann ich nicht begrenzt sein. Das ist auch etwas Wichtiges. Ich muss unbegrenzt sein, denn jede Grenze könnte ich wahrnehmen und wenn ich eine Grenze wahrnehmen kann, dann bin ich nicht die Grenze, also bin ich unbegrenzt. Logischerweise muss das Ich unbegrenzt sein. Denke mal darüber nach.

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