Kapitel 3, Vers 50

Deutsche Übersetzung:

Nur durch die Verwirklichung des Unterschiedes zwischen sattva und purusha erlangt man die Beherrschung aller Daseinsformen und Allwissenheit.

Sanskrit Text:

sattva-puruṣa-anyatā-khyātimātrasya sarva-bhāvā-adhiṣṭhātṛtvaṁ sarva-jñātṛtvaṁ ca ||50||

सत्त्वपुरुषान्यताख्यातिमात्रस्य सर्वभावाधिष्ठातृत्वं सर्वज्ञातृत्वं च ॥५०॥

sattva purusha anyata khyatimatrasya sarva bhava adhishthatritvam sarva jnatritvam cha ||50||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • sattva = Reinheit, eine der drei guṇas, physische Welt
  • puruṣa = das wahre Selbst
  • anyata = Unterschied
  • khyāti = Erkenntnis, Verwirklichung
  • mātrasya = nur daraus
  • sarva = alle
  • bhāva = Gefühle, Emotionen
  • adhiṣṭhāṭṛtvaṁ = Vorherrschaft, Beherrschung, Allmacht
  • sarva = alle
  • jñātṛṭva = Weisheit, Wissen
  • ca = und

Kommentar

Diese Unterscheidung zwischen unserem wahren Selbst, purusha, und sattva, der Reinheit, hatten wir schon einmal. Reinheit ist das, womit man sich als spiritueller Aspirant gerne identifiziert: Freude, Wonne, Schönheit, Reinheit, Wissen, Licht, Liebe und all das. Sattva ist zwar positiver als rajas und tamas, aber auch die Identifikation mit sattva ist und bleibt eine Identifikation, die uns bindet. Und letztlich kann es einem nie gelingen , sein Leben wirklich in jeder Hinsicht und vollständig sattvig zu machen. Denn sattva ist eine guna (Eigenschaft der Natur), und die gunas sind parinama, d.h., in ständiger Veränderung. So ist alles im Leben mal schön, mal nicht so schön – sattva, rajas und tamas lösen sich ab. Man sollte also nach mehr sattva streben, aber unverhaftet bleiben.

Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen diesen wunderschönen sattvigen Visionen, den wunderschönen Wonneerfahrungen der anandamaya kosha oder auch samprajnata samadhi und unserem wahren Selbst. Indem wir uns auf diesen Unterschied zwischen sattva und purusha konzentrieren, erreichen wir Allwissenheit. Denn sattva gilt als erste Manifestation der prakriti (Schöpfung, Natur), die von purusha ausging. Indem wir den Unterschied zwischen sattva und purusha erfassen, kommen wir zurück zu diesem Urpunkt, von dem die Schöpfung und unsere eigene Verwicklung in prakriti ausgeht. Wir erkennen intuitiv das Prinzip, das Warum und Wie der Schöpfung. Was jetzt nicht notwendigerweise heißt, daß wir es wirklich in allen Details wissen – dazu müssen wir nochmals die spezifischen samyamas ausführen –, aber wir haben das generelle Wissen darüber, die richtige Antwort auf die Frage: Warum ist das Universum zustandegekommen? Was ist die Ursache für das Universum? Die richtige Antwort ist dann jedoch nicht in Worte zu fassen. Verwirkliche den Unterschied zwischen purusha und sattva, dann weißt du es!

Das zweite wichtige Stichwort ist Allmacht. Allmacht des purusha ist auf zwei Weisen zu verstehen. Einmal hat der routinierte Yogi jetzt alle siddhis, das ist der machtvollste Zustand. Er kehrt zurück zum Beginn der Schöpfung, ist in diesem Urprinzip, und hat von daher die Fähigkeit, alles in der Schöpfung zu ändern. Aber insbesondere hat er die Fähigkeit, die Schöpfung zu verlassen, wenn und wann er will, d.h., in nirvikalpa samadhi, asamprajnata samadhi, einzugehen oder auch wieder zurückzukehren, wenn er weiß, daß der Körper noch karma abzuarbeiten hat. Er hat diese ursprüngliche Macht zurückgewonnen, in die Welt hinein- und aus der Welt herauszugehen.

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