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11. Kapitel: Die Erfahrung der Kosmischen Gestalt

Arjunas VisionDas 11. Kapitel ist der Wendepunkt der Bhagavad Gita. Bis dahin einschließlich des Anfangs des 11. Kapitels fragt Arjuna immer wieder, stellt Krishnas Worte zum Teil fast respektlos in Frage. Er hat Zweifel, er glaubt nicht, dass er umsetzen kann, was Krishna ihm empfiehlt. Er weiß nicht, was er tun soll. Im 11. Kapitel hat Arjuna eine ganz besondere Erfahrung, nämlich die Erfahrung von Vishvarupa, der Kosmischen Gestalt Gottes. Mit anderen Worten, Arjuna macht die Erfahrung von Sarvikalpa Samadhi. Er sieht Gott in seiner Kosmischen Gestalt. Ab da sind die Zweifel von Arjuna erheblich schwächer. Wer einmal eine wirklich tiefe Gotteserfahrung hatte, für den wird der spirituelle Weg sehr viel klarer und sicherer. Zweifel werden viel schwächer. Darum war das 11. Kapitel auch eines der Lieblingskapitel von Swami Vishnu-devananda. Ich habe ihn mehrmals über dieses Kapitel sprechen hören. Swami Vishnu-devananda legte besonderen Wert auf die eigene Erfahrung. Er sagte, man kann das Pferd zur Tränke führen, aber trinken muss es selbst. So hat er uns auf den Weg zur Tränke geführt. Bis man das Wasser getrunken hat, mag man zweifeln, ob überhaupt Wasser zu finden ist. Wenn man es getrunken hat, weiß man, ja, da ist tatsächlich Wasser.
So ist es auch mit dem spirituellen Weg: Die Meister erzählen von der Großartigkeit Gottes, dass es möglich ist, Gott zu erfahren und dass nur die Erfahrung Gottes allen menschlichen Sehnsüchten wirklich gerecht wird. Dann zeigen sie uns den Weg dahin. Auf dem Weg mag man immer wieder Zweifel haben. Wenn man dann Sarvikalpa Samadhi, die Gotteserfahrung, gemacht hat, verschwinden diese Zweifel.

Arjuna hat im 11. Kapitel die Vision der Kosmischen Gestalt. Krishna gibt Arjuna diese Vision der Kosmischen Gestalt. Arjuna hatte vor dem Zwiegespräch in der Bhagavad Gita schon viele Jahre, ja Jahrzehnte praktiziert. In den ersten 10 Kapiteln hat Arjuna von Krishna die Weisheit bekommen, was Gott ist, was das Universum ist, was der Mensch ist. Er hat verstanden, worum es eigentlich geht. Anfang des 11. Kapitels bittet Arjuna Krishna: „Jetzt, wo ich alles verstanden habe, zeige es mir bitte auch. Bitte gib mir die Erfahrung. Ich will es nicht einfach nur verstehen, ich will es nicht einfach nur glauben, ich will es erfahren.“

Krishna öffnet ihm das 3. Auge, das Auge der Intuition (Trikuti). Arjuna hat diese Erfahrung von Vishvarupa, auch Viratsvarupa genannt. Man kann auch sagen, es ist eine der verschiedenen Stufen von Sarvikalpa Samadhi, also noch dem dualistischen Samadhi. Es ist die erste Stufe von Samadhi, wie es Patanjali in den Yoga Sutras beschreibt.

In den Yoga Sutras (I 17-18, 42-44) werden 6 Hauptstufen von Samprajnata Samadhi beschrieben: Savitarka, Nirvitarka, Savichara, Nirvichara, Sananda und Sasmita. Die 1. Stufe ist Savitarka: Man sieht das ganze Universum als miteinander verbunden. Man nimmt es als eine Einheit wahr. Zunächst sieht Arjuna das ganze physische Universum als einen Organismus, in dem alles miteinander verbunden ist. Das entspricht Savitarka Samadhi, der Erfahrung der Einheit auf der physischen Ebene. Dann sieht Arjuna alle Astralwesen, die verschiedenen Engelswesen, Naturgeister, Schöpfungskräfte. Damit hat er die Ebene von Savichara Samadhi erreicht, die Wahrnehmung des gesamten Astraluniversums einschließlich aller Feinstoffwesen als Kosmischer Geist (Hiranyagarbha). Dann nimmt er gleichzeitig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahr, also das Universum jenseits von Zeit und Raum. Das entspricht den Ebenen Nirvitarka und Nirvichara. Dabei erfährt er einiges, was nicht nur schön ist. Er sieht, dass Gott nicht nur das Schöne ist, das Liebevolle, das Angenehme. Denn Gott ist alles, auch die Zerstörung.

Und er sieht insbesondere auch, dass all diejenigen, mit denen er zu tun hat, bald sterben werden. Dabei gebraucht er eine recht plastische Ausdrucksweise. In den Versen 28–30 sagt er: „Wahrlich, so wie viele Flussläufe dem Ozean zufließen, betreten diese Helden der Welt deine flammenden Münder. Wie Motten eilends auf das lodernde Feuer und somit ihrem Untergang entgegenfliegen, so eilen auch diese Geschöpfe voller Hast deinen Mündern, ihrem Untergang entgegen. Du schlängelst hoch und verschlingst zu allen Zeiten alle Welten mit deinen flammenden Mündern. Dein unbändiges Strahlen, das die Welt erfüllt, versengt.“

Das Licht, was so schön ist, versengt letztlich auch. Und eines ist ziemlich sicher: jeder der Leser wird in 100 bis 200 Jahren nicht mehr diesen physischen Körper haben. Die physischen Körper werden vernichtet sein. Wenn die Wissenschaft weiter voranschreitet und karmisch nichts dagegen spricht, werden manche der Leser vielleicht 100-150 Jahre alt. Aber irgendwann wird der Körper sterben und höchstwahrscheinlich wird die Mehrzahl der Leser in 60 Jahren diesen physischen Körper nicht mehr besitzen.

(Vers 31) „Also sage mir, wer du bist, dessen Gestalt so grimmig ist. Ich verbeuge mich vor dir, oh erhabener Gott, habe Mitleid. Ich habe den Wunsch, dein Urwesen zu kennen, wahrlich dein Wirken verstehe ich nicht.“ Anfang des 10. Kapitels hat Krishna zu Arjuna gesagt: „Ich werde dir das nennen, nach dessen Erkenntnis es nichts mehr zu erkennen gibt.“ Dann hat er gesagt: „Das ist Erkenntnis gepaart mit Verwirklichung, beides gehört zusammen.“ Krishna hat erst Arjuna alles Mögliche erzählt und Arjuna hat es verstanden. Dann kommt die Verwirklichung. Krishna zeigt es Arjuna und lässt ihn das nicht nur intellektuell erkennen, nicht nur glauben, sondern erfahren. Nachdem Arjuna es erfahren hat, braucht er wieder eine Erklärung. So gehört beides zusammen: Erfahrung und Erkenntnis. Wenn jemand einfach so in eine Erfahrung von Transzendenz hineinstürzt, kann ihm das Probleme bringen. Wenn wir nur intellektuelle Erkenntnis haben, dann ist das auch nicht ausreichend. Beides gehört zusammen.

So geht es im 11. Kapitel erst um die Erkenntnis, dann folgt die Erfahrung, dann wieder die Erklärungen und damit wieder die Erkenntnis. Krishna wird gegen Ende des 11. Kapitels Arjuna erklären, was er gerade erfahren hat.