Atma Bodha – Vers 49

Die Natur des lebendig befreiten Weisen

Atma Bodha – Vers 49

Deutsche Übersetzung:

Ein Befreiter, der mit Selbsterkenntnis ausgestattet ist, gibt die Charakterzüge seiner vorher erklärten Instrumente (Upadhis) auf und aufgrund seiner Natur von Sat-Chit-Ananda wird er wahrlich Brahman wie die Larve, die wächst, um eine Wespe zu sein.

Sanskrit Text:

jīvanmuktas tu tadvidvān pūrvopādhiguṇāns tyajet ।
saccidānandarūpatvāt bhaved bhramarakīṭavat ॥ 49 ॥

जीवन्मुक्तस्तु तद्विद्वान्पूर्वोपाधिगुणान्स्त्यजेत् ।
सच्चिदानन्दरूपत्वाद्भवेद् भ्रमरकीटवत् ॥ ४९ ॥

jivanmuktas tu tadvidvan purvopadhigunans tyajet |
sachchidanandarupatvat bhaved bhramarakitavat || 49 ||

Wort-für-Wort-Übersetzung:

  • jīvan-muktaḥ : ein Lebendbefreiter (Jivanmukta)
  • tu : aber, jedoch (Tu)
  • tad-vidvān : der das (Brahman bzw. die Wirklichkeit, Tad) erfahren hat („wissend“, Vidvams)
  • pūrvopādhi-guṇān : die Eigenschaften (Guna) der vorher(genannten, Purva) Begrenzungen (Upadhi)
  • tyajet : gibt auf (tyaj )
  • sac-cid-ānanda-rūpatvāt : da seine wahre Natur („Form“, Rupa) Sein (Sat), Bewusstsein (Chit) und Glückseligkeit (Ananda) ist
  • bhavet : er wird (das Brahman, bhū)
  • bhramara-kīṭa-vat : wie (Vat) sich eine Schabe (Kita) in eine Schlupfwespe (verwandelt, Bhramara)*     ॥ 49 ॥

*Anmerkung: Die Schlupfwespe (Bhramara) legt ihre Eier in eine lebende Schabe (Kita), aus der am Ende die ausgewachsene Schlupfwespe hervorkommt, so dass sich die Schabe scheinbar in eine Schlupfwespe verwandelt hat. Der Vergleich zielt in der indischen Tradition darauf ab, dass man zu dem wird (in diesem Falle das Brahman), worüber man intensiv meditiert. In einem ähnlichen Vers Shankaras (Aparokshanubhuti 140) wird diese Vorstellung noch deutlicher ausgeführt:

bhāvitaṃ tīvravegena yad vastu niścayātmanā ।
pumāṃs tad dhi bhavec chīghraṃ jñeyaṃ bhramarakīṭavat ॥ 140॥

Übersetzung: Worüber ein Mensch aus intensivem Antrieb und mit entschlossenem Geist meditiert, dazu wird er gewiss bald selbst – so ist (die Maxime) „wie die Schlupfwespe aus einer Schabe“ (bhramara-kīṭa-vat) zu verstehen.

Die indischen Kommentatoren erläutern die volkstümliche Vorstellung, dass die Kakerlake (die durch den Wespenstich gelähmt bzw. „willenlos“ ist) aus Angst vor der Schlupfwespe nur noch an diese denkt, d.h. über sie „meditiert“, bis sie schließlich selbst zu einer solchen – gewissermaßen dem Objekt ihrer Meditation – wird.

Derselbe Vergleich erscheint auch in den Versen 359 und 360 der Viveka Chudamani.

Kommentar von Sukadev Bretz

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